Ranghöchstem Landespolizisten wird sexuelle Belästigung vorgeworfen
Ruckzuck sind die Vorwürfe um Machtmissbrauch bei der baden-württembergischen Polizei ein Politikum gewesen. Nun will der Innenminister den Landtagsabgeordneten Rede und Antwort stehen.

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Stuttgart. (dpa) Innenminister Thomas Strobl will die Vorwürfe sexueller Belästigung innerhalb der baden-württembergischen Polizei umfassend und lückenlos aufklären. "Ich werde alles dafür tun, dass das rückstandsfrei aufgeklärt wird", sagte der CDU-Politiker am Mittwoch in einer Sondersitzung des Innenausschusses zu dem Thema im Stuttgarter Landtag. Strobl sagte aber auch in Richtung Opposition, dass nicht versucht werden dürfe, auf dem Rücken der Polizei politische Geländegewinne zu erzielen.
Die Opposition hatte das Thema auf die Tagesordnung der Sitzung am Mittwoch gesetzt. Es geht vor allem um Vorwürfe von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung einer Mitarbeiterin des Landespolizeipräsidiums. Ein hochrangiger Beamter soll seine Machtstellung unter Inaussichtstellung von Beförderung und Besetzung ausgenutzt haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt in dem Fall. Gegen den Mann wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet und das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ausgesprochen.
Die Vorwürfe gegen den hochrangigen Beamten seien eine "extreme Belastung für die Polizei", sagte Strobl - auch für das mutmaßliche Opfer. "Allein der Verdacht gegen einen herausgehobenen Polizeibeamten ist ein schwerer Rückschlag für das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit." Jeder Fall, in dem sexuelles Fehlverhalten im Raum stehe, sei einer zu viel. Ein mögliches Fehlverhalten Einzelner dürfe aber nicht dazu führen, dass eine ganze Organisation in Frage gestellt werde. 35 000 Männer und Frauen verrichteten jeden Tag korrekt ihren Dienst, sagte Strobl.
Die FDP-Abgeordnete Julia Goll sagte, sie sei fassungslos, dass es bislang keine zentrale Erfassung sexueller Belästigung bei der Polizei gebe. Wenn man nichts erfasse, könne man auch nicht von Einzelfällen sprechen. SPD-Innenpolitiker Sascha Binder forderte Akteneinsicht und mehr Transparenz vom Ministerium. Strobl betonte, dass es bislang keinerlei Hinweise auf Einflussnahme im Hinblick auf Beurteilungen und Beförderungen durch nicht-fachliche Kriterien von dem Beamten - außerhalb des Falles - gegeben habe.
Es ist nicht der einzige Fall dieser Art: Ein ehemaliger Ausbilder der baden-württembergischen Polizei ist mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert. Auch hier ermittelt die Staatsanwaltschaft.
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Laut Innenministerium gab es von Januar 2017 bis November 2021 insgesamt 27 Anzeigen beziehungsweise Beschwerden im Zusammenhang mit sexuellen Belästigungen von Vorgesetzten. 25 Mal wurde demnach die Staatsanwaltschaft eingebunden. Mangels strafrechtlichen Anfangsverdachts sei in acht Fällen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, teilte ein Sprecher mit. Zwölf Ermittlungsverfahren seien eingestellt worden, zwei hätten mit dem Erlass eines Strafbefehls geendet und drei liefen noch. In 21 Fällen seien Disziplinarverfahren eingeleitet worden.
Update: Mittwoch, 19. Januar 2022, 19.15 Uhr
Ranghöchstem Landespolizisten wird sexuelle Belästigung vorgeworfen
Der Inspekteur wurde mittlerweile suspendiert und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Dient ein Videotelefonat als Beweis?
Von Theo Westermann, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Wenn Thomas Strobl mit "seinen" Polizisten im Land zusammentrifft, blüht er auf. Hier ist der CDU-Innenminister locker, findet den richtigen Ton, das gilt nicht nur für seine Treffen mit den Würdenträgern, sondern auch für die Polizisten an der Basis. Besonders peinlich ist es nun für Strobl, dass ein von ihm geförderter Karrierepolizist unter Verdacht steht, klare Grenzen überschritten zu haben. Das Innenministerium selbst hat die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Dort sieht man inzwischen einen Anfangsverdacht gegen den "hochrangigen Mitarbeiter der Polizei", bestätigt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart unserer Redaktion, ermittelt wird nun wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung. Ob es um einen oder mehrere Fälle geht, wollte man nicht ausführen. Zwar gilt die Unschuldsvermutung, doch die Vorwürfe wiegen schwer und haben politische Sprengkraft.
Am Dienstagnachmittag machte Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz alles öffentlich, ohne aber den Namen zu benennen. Im kleinsten Kreis wurden kurz vorher die Führungskräfte bei einer Videokonferenz über den Fall informiert.
Es stünden "Vorwürfe von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung einer Mitarbeiterin des Landespolizeipräsidiums im Raum", hieß es in der Pressemitteilung des Innenministeriums. Und weiter: Das Landespolizeipräsidium habe zur Aufklärung die Staatsanwaltschaft eingebunden. Diese werde nun prüfen, ob die Vorwürfe zutreffen und ein Anfangsverdacht für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen "hochrangigen Mitarbeiter der Polizei" besteht. Was inzwischen geschehen ist. Der Beamte wurde suspendiert, ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Die "Stuttgarter Nachrichten" berichteten als erstes darüber, dass es sich dabei um den Inspekteur der Polizei, Andreas Renner, handelt. Daran besteht inzwischen kein Zweifel mehr, der Name wird unserer Redaktion mehrfach aus Polizeikreisen sowie aus der Landespolitik bestätigt. Renner, der ranghöchste Polizeivollzugsbeamte im Land und auf einer Ebene mit der Landespolizeipräsidentin angesiedelt, soll, so der Vorwurf, eine Hauptkommissarin zum Sex aufgefordert und auf seinen Einfluss auf ihre weitere Karriere verwiesen haben.
Nach Informationen unserer Zeitung soll dies unter anderem bei einem Videotelefonat geschehen sein, davon soll es eine Aufnahme geben. Die Polizistin meldete dies und brachte den Stein ins Rollen. Das Innenministerium will keine Stellung mehr nehmen, es sei mit der Mitteilung alles gesagt. Renners dienstliche E-Mail-Adresse meldet nach einer Anfrage um Stellungnahme zurück, dass dieser "Eingang nicht mehr gesichtet wird".
Bei vielen Polizisten habe die Nachricht "Erschütterung" ausgelöst, berichten Insider. Im Landespolizeipräsidium sieht man sich vor einen "riesigen Scherbenhaufen" stehen, vor allem für die jüngst angestoßene Wertekampagne "Nicht bei uns", für die Renner in erster Linie stand und für die er durch Polizeidienststellen und Medien tourte.
Für Polizeipräsidentin Hinz ist dies ein gnadenloser Schlag ins Kontor. Die Juristin und einstige Abteilungsleiterin im Wirtschaftsministerium war Anfang 2020 an die Polizeispitze gewechselt, Renner war der engste Vertraute der Juristin, wie man hört. Sie hat nun in einem Brief, der unserer Redaktion vorliegt, alle Polizeiangehörigen "über diesen sehr ernsten und für mich persönlich auch sehr enttäuschenden Hintergrund" informiert. Dabei nimmt sie ausführlich zur Wertekampagne Stellung. "Diese Werte und Grundsätze sind nicht nur schöne Worte, sondern werden bei uns gelebt". Deshalb gehe man jedem internen Verdachtsfall eines gegen diese Werte stehenden Verhaltens nach, dies gelte auch für "Sexismus jeglicher Art".
Außerdem fordert Hinz auf, entsprechende Fälle zu melden. An eine eigens eingerichtete Stelle im Landespolizeipräsidium könnten sich "Betroffene im Zusammenhang mit dem aktuellen Fall, aber auch darüber hinaus vertrauensvoll wenden".
Renner wurde bei seiner Amtseinführung 2020 mit damals 47 Jahren als der jüngste Inspekteur, den die baden-württembergische Polizei je hatte, von Strobl gefeiert. Davor war der Karrierepolizist ein Jahr Vizepräsident des Landeskriminalamts. Wie alle Polizisten auf dem Weg nach oben war er mehrere Jahre Referent im Innenministerium. Die mit ihm zu tun hatten, schildern ihn als "vernünftig und gründlich", als einen Mann mit "Charme" und von "Zielstrebigkeit", mancher spricht aber von einer gewissen Arroganz – und dass er massiv aus der Politik, sprich der CDU, protegiert wurde.