Es darf wieder gemessen werden: Die bei einem Brandanschlag beschädigte Messstation am Stuttgarter Neckartor wurde am Mittwoch ausgetauscht. Foto: Verkehrsministerium
Von Roland Muschel, RNZ Szuttgart
Stuttgart/Mannheim. Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, spricht von einer "Ohrfeige für die Bundesregierung". Doch das von der DUH am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg erwirkte Urteil zu Dieselfahrverboten in Reutlingen bringt auch die grün-schwarze Landesregierung in Bedrängnis: Die erst wenige Tage alte Ankündigung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und seinem Vize Thomas Strobl (CDU), dass in Stuttgart keine flächendeckenden Fahrverbote für Euro-5-Diesel mehr eingeplant werden müssten, könnte hinfällig sein.
Denn der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshof hat die Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes auseinandergenommen, mit der die Bundesregierung in solchen Städten Dieselfahrverbote verhindern wollte, in denen die Belastung mit Stickstoffdioxid nur knapp über dem Grenzwert liegt. Der Bundestag hatte dazu erst im März eine "Toleranzgrenze" von 50 statt der gesetzlich festgelegten 40 Mikrogramm Stickoxide pro Kubikmeter Luft beschlossen. Demnach müssten die Luftreinhaltepläne für die Städte, die den Grenzwert 40 um bis zu zehn Mikrogramm verfehlen, keine Fahrverbote enthalten.
Der VGH in Mannheim wertet diese Regelung als "klaren Verstoß" gegen europäisches Recht. Laut der Urteilsbegründung halten es die Richter für nicht akzeptabel, "massive Überschreitungen des Grenzwerts um bis zu 25 Prozent zu tolerieren". Reutlingen - wo die Messstelle Lederstraße-Ost 2018 im Mittel eine Stickstoffdioxid-Belastung von 53 Mikrogramm anzeigte - soll daher noch dieses Jahr Zufahrtsbeschränkungen für Dieselfahrzeuge umsetzen.
Das Land will die Rechtsmittel ausschöpfen und gegen das Urteil Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen. "Wir wollen rechtliche Klarheit. Das neue Immissionsschutzrecht des Bundes muss aus unserer Sicht höchstrichterlich geprüft werden", sagte der Amtschef von Landesverkehrsminister Winfried Hermann, Uwe Lahl (beide Grüne). Der Minister selbst sagte, er habe immer auf das Risiko hingewiesen, dass das EU-Recht Vorrang habe. Der Koalitionspartner CDU hatte massiv darauf gedrängt, in der Landeshauptstadt flächendeckende Fahrverboten für Euro-5-Diesel ab 2020 auszuschließen. Der VGH habe "die grüne Position vollumfänglich bestätigt und Fahrverbote als ultima ratio zur Luftreinhaltung wiederholt legitimiert. Auch die Kapriolen der Bundesregierung zur Vermeidung von Fahrverboten sind in die Tonne getreten worden", schrieb Grünen-Landeschefin Sandra Detzer.
Da die Revision aufschiebende Wirkung hat, verschafft sie der Landesregierung zunächst einmal Luft. Ob die Ankündigung, zonale Fahrverbote für Euro-5-Diesel in Stuttgart abzulehnen, Bestand haben wird, bleibt damit offen.
Nach einer kürzlich vorgelegten Neuberechnung soll die Stickstoffdioxid-Belastung am Neckartor von 71 Mikrogramm (Jahresmittel 2018) in diesem Jahr auf 57,6 sinken. Als weiteres Problem könnte sich die Feinstaub-Konzentration erweisen: 2018 sind die zulässigen Grenzwerte am Neckartor nur an 21 Tagen überschritten worden, zulässig sind 35 Tage. In diesem Jahr indes hat die zuständige Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) bereits jetzt 20 Überschreitungstage gezählt.