„Der ewige Kompromiss nimmt uns alle Luft zum Atmen“, schimpft Saskia Esken über die Arbeit in der Großen Koalition. Foto: Kay Nietfeld
Von Bettina Grachtrup
Stuttgart. Ist sie bald Co-Parteichefin von rund 430.000 SPD-Mitgliedern in ganz Deutschland? Der Baden-Württembergerin Saskia Esken (58) werden Chancen zugerechnet, im Tandem mit dem früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans (67) die Mitgliederbefragung zu gewinnen. Die beiden haben es in die Stichwahl geschafft, in der die SPD-Basis vom 19. bis zum 29. November abstimmen kann.
"Ich habe heute nicht nur Geburtstag, ich hab Euch auch was zu sagen", leitete Esken am 28. August auf Twitter ihre Ankündigung ein, für den Vorsitz antreten zu wollen. Seit dem Rücktritt der bisherigen Parteichefin Andrea Nahles Anfang Juni hatte sich Esken viele Gedanken über den Zustand der SPD gemacht. Die Bundestagsabgeordnete und Digitalexpertin erzählt, dass sie auch von vielen angesprochen worden sei mit dem Tenor, sie müsse jetzt Verantwortung übernehmen.
Eskens Eltern waren sozial und politisch engagiert. Zur SPD kam sie über ihre Begeisterung für Willy Brandt. "Das war schon eine Figur, die junge und ältere Menschen aus allen Bereichen ungemein bewegt hat." Auch den SPD-Vordenker Erhard Eppler erwähnt Esken als für sie beeindruckende Figur. "Sein Ministeramt hat er nicht weitergeführt, weil er die Grundsätze der Sozialdemokratie verraten sah. Und er stand trotzdem solidarisch zur alten Tante SPD", erklärt sie.
Esken trat 1990 der Partei bei. Beruflich arbeitete sie unter anderem in der Gastronomie, als Fahrerin und Schreibkraft. Später schloss sie eine Ausbildung zur Informatikerin ab und entwickelte Software. Erfahrungen sammelte sie im Landeselternbeirat, in der Politik auf Kommunal- und Kreisebene. Sie ist Mutter dreier Kinder und sitzt seit 2013 für den Wahlkreis Calw/Freudenstadt im Bundestag, wo sie zur Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion gehört. Esken tritt für gleiche Chancen und Gerechtigkeit ein und für einen starken Staat.
Esken steht der Großen Koalition kritisch gegenüber. "Der ewige Kompromiss nimmt uns alle Luft zum Atmen. Schluss mit den Deals, die mehr kosten als sie nützen", schrieb sie schon im August zu ihrer Bewerbung auf Twitter. Ein Kardinalfehler der SPD waren für sie die Hartz-IV-Reformen unter Ex-Kanzler Gerhard Schröder. "Wir haben heute zum Beispiel Leiharbeiter, die für die Hälfte des Lohns der Stammbelegschaft arbeiten", erklärt sie. Doch diese Menschen machten das mit, weil sie Angst vor Hartz IV und Armut hätten.
Wer sich in der Südwest-SPD umhört, bekommt hinter vorgehaltener Hand allerdings große Zweifel daran zu hören, ob Esken der Aufgabe als Parteichefin gewachsen wäre. Ein Grund: Weder in der Bundes- noch in der Landespartei und auch nicht im Bundestag hatte sie je eine Führungsposition inne. Auf dem Landesparteitag der Südwest-SPD Mitte Oktober wurde Esken mit einem eher mittelprächtigen Ergebnis zur Delegierten für den Bundesparteitag gewählt – für den Parteikonvent ist sie nur Ersatzdelegierte, und das, obwohl das Rennen um den Parteivorsitz zum Zeitpunkt des Parteitags bereits lief.
Aufgestellt wurde das Team Borjans/Esken vom mitgliederstarken Landesverband Nordrhein-Westfalen, offen unterstützt werden die beiden von den Jusos. Die baden-württembergische Landesparteispitze hält sich indes mit Wahlempfehlungen zurück. Man wolle die Mitglieder nicht beeinflussen, heißt es.
Die frühere Landesparteichefin Leni Breymaier positioniert sich klar pro Esken. "Sie hat die richtigen Inhalte und weiß, sie zu vertreten." Wer jetzt ihre Fähigkeit fürs höchste Parteiamt infrage stelle, tue Esken Unrecht. Mit solchen Äußerungen schade man der Partei, mahnt Breymaier, die selbst reichlich Erfahrungen mit innerparteilichen Auseinandersetzungen hat. "Es ist schlicht unanständig, wenn man so im Vorhinein versucht, eine künftige Vorsitzende zu demontieren." Sie würde sich wünschen, dass man in dieser Phase als SPD gut über Kandidaten rede, sagt Breymaier, die wie Esken Parteilinke ist. "Wer nicht gut reden will über Frau Esken, hält einfach den Mund."
Angesprochen auf die Kritik an ihrer Person sagt Esken: "Ich gehe davon aus, dass ich manches mitbringe und mir anderes aneignen werde, um gemeinsam mit Norbert-Walter Borjans und einem Team die Partei zu führen." Dass die Partei mit ihrer Führung zuweilen nicht zimperlich umgeht, schreckt sie nach eigenem Bekunden nicht. "Ich habe wenig Angst und kann als einigermaßen furchtlos gelten."