Hart erkämpfter Sieg: Der gewählte Chef der Landes-SPD, Andreas Stoch (r.) mit aufgeblasenen Backen, Verlierer Lars Castellucci mit schmalem Gesicht. Foto: Marijan Murat/dpa
Von Sören S. Sgries
Sindelfingen. Spitze Angriffe auf offener Bühne, böses Gerede auf den Gängen: Die baden-württembergische SPD gibt ein hässliches Bild ab an diesem Samstag. Den über 300 Delegierten und zahlreichen Gästen in der Sindelfinger Stadthalle ist das durchaus bewusst. Ebenso, dass die Genossen gerade unter massiver Beobachtung stehen. Es ändert allerdings kaum etwas an den Debattenbeiträgen. Die Stimmung ist explosiv.
Soll der 44-jährige Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci künftig die Landespartei führen? Oder doch der 49-jährige Landtagsfraktionschef Andreas Stoch? Das ist die zentrale Frage am Wochenende. Eine einfache Personalwahl - doch nach einer turbulenten Woche sitzt der Hass tief. Die Facebook-Schmutzkampagnen werden auf die große Bühne gespült.
Screenshot: RNZonlineGanz vorne mit dabei: die enttäuschten Anhänger der scheidenden Parteichefin Leni Breymaier. Diese hatte zwar den Mitgliederentscheid zwischen ihr und Herausforderer Castellucci eigentlich gewonnen, mit einem Vorsprung von 39 Stimmen. Allerdings hatte die 58-Jährige bereits hingeworfen, noch bevor die endgültige Auszählung der über 18.000 Stimmen abgeschlossen war.
Dass Castellucci, als Verlierer, nicht auch zurückzog - es wird ihm massiv verübelt. "Wenn der Lars heute Landesvorsitzender wird, haben wir zu dem politischen Problem auch ein Glaubwürdigkeitsproblem", ruft etwa der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup von der Bühne. In den Reihen der Delegierten wird erbost über den "Putschisten" gezischelt.
Wetten auf den Sieger mag dennoch kaum einer abgeben. "Die wären doch verrückt, wenn sie den Fraktionsvorsitzenden nicht mit einer klaren Mehrheit ausstatten", sagt zwar der Ladenburger Landtagsabgeordnete Gerhard Kleinböck noch am Morgen. Doch das ist vor allem Wunschdenken. Realistischerweise werden die Chancen bei 50:50 gesehen. Im Stoch-Lager fürchtet man durchaus eine Niederlage, die ihn beschädigen könnte. Castellucci konnte im Mitgliederentscheid einigen Rückhalt gewinnen, vor allem die Jüngeren in der SPD hatten sich für ihn ausgesprochen.
Beide Kandidaten wissen jedenfalls, dass es für sie um alles geht. Und entsprechend leidenschaftlich fallen die Bewerbungen aus. "Zwei gute Reden, zwei gute Kandidaten", lobt der Mosbacher Landtagsabgeordnete Georg Nelius hinterher anerkennend.
Castellucci greift offensiv die Kritik an seiner Kandidatur auf. "Es ist euer gutes Recht, anderer Meinung zu sein". Er sehe es aber als "meine verdammte Pflicht", anzutreten: "Weil ich in tiefer Sorge bin um unsere SPD, weil ich nicht tatenlos zusehen kann, wie sie weiter zerbröselt." Gegen Kinderarmut, gegen Rüstungsexporte, für Umweltschutz: Das sind die inhaltlichen Aspekte, mit denen er wirbt.
Stoch fokussiert sich auf seinen Arbeitsbereich, die Landespolitik. Gründung einer Landeswohnraumgesellschaft, gerechte Mobilität, Volksbegehren für beitragsfreie Kitas: Das sind seine Vorhaben. Vor allem aber wirbt auch er in die Partei hinein um Versöhnung. "Die Solidarität ist ein Wert der Sozialdemokratie: Warum leben wir sie nicht gegen uns selbst?", fragt er. Man müsse dringend einen Kulturwandel schaffen: "Weggehen von einer Kultur des Misstrauens und des Vorwurfs, hin zu einer Kultur der Wertschätzung und der Solidarität."
Als Fürsprecher treten vollkommen unterschiedliche Persönlichkeiten auf die Bühne: Der 74-jährige Gernot Erler wirbt für Stoch. Machtkampf, Krise, Chaos: "Das muss endlich aufhören, und zwar sofort. Noch auf diesem Parteitag!" Die 35-jährige Daniela Harsch stellt sich einfühlsam hinter Castellucci: "Die Anfeindungen sind enorm. Und ehrlich: Du hättest es leichter haben können."
Dann geht es in die Abstimmung, in die Auszählung. Und das Ergebnis ist wieder ein Donnerschlag. Mit 50,64 Prozent, einem hauchdünnen Vorsprung von 159 zu 151 Stimmen, liegt Stoch am Ende vor Castellucci. "Tonnenlasten" fallen ihm von den Schultern. Kann er die Partei einen? Castellucci jedenfalls hält Wort, tritt auf die Bühne: "Ich rufe alle auf: Jetzt stehen wir zusammen hinter Andi Stoch und dem neuen Landesvorstand."
Und verkündet dann, sich selbst auf den Bundestag konzentrieren zu wollen. Ob die Niederlage sehr schmerzt? "Natürlich habe ich das noch nicht verarbeitet", sagt er später. Jetzt müsse es aber um die Einigung der Partei gehen. "Die, die jetzt gewählt sind, müssen es hinkriegen."
Stoch ist das bewusst. "Wenn wir Solidarität als einen unserer Grundwerte vertreten, fängt das damit an, dass wir diese Solidarität auch nach innen leben", fordert er. "Jetzt ist auch gut", will Sascha Binder, neu gewählter Generalsekretär, die Personaldebatten endlich beendet sehen.
Ob das wirklich klappt? In der Aussprache hatte die Ehinger Sozialdemokratin Rebecca Hummel erzählt, wie sie 2001 in der Partei begrüßt wurde: "Mädle, wer Genossen hat, braucht keine Feinde." Streitpartei SPD - offenbar schon länger der eigentliche Markenkern.