Wer im Heim lebt, gilt als besonders gefährdet bei einer Corona-Infektion. Foto: dpa
Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Die Lage in Baden-Württembergs Pflegeheimen ist prekär. 144 von ihnen haben in den vergangenen vier Wochen zusammen 2248 Corona-Infektionen gemeldet. Ihre Bewohner gehören zu den gefährdetsten Personen überhaupt. Ausgerechnet hier jedoch weicht der deutsche Südwesten Schutzvorgaben der Bund-Länder-Konferenz auf.
Dabei war der Beschluss der Regierungschefs vom 13. Dezember eindeutig: "In Regionen mit erhöhter Inzidenz soll der Nachweis eines aktuellen negativen Coronatests für die Besucherinnen und Besucher verbindlich werden." Auf eine SPD-Landtagsanfrage zur Umsetzung in Baden-Württemberg bestätigte Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) wenig später: "In Regionen mit erhöhter Inzidenz wird ein negativer Coronatest für Besucherinnen und Besucher verbindlich".
Dienstag dieser Woche korrigierte sich das Ministerium allerdings: Es habe sich um einen "Übertragungsfehler" gehandelt, schrieb Luchas Haus an den Landtag, man bitte um Änderungen im Protokoll. Die E-Mail liegt unserer Redaktion vor. Zur Begründung heißt es, die Aussage stehe nicht im Einklang mit der Landes-Corona-Verordnung vom 16. Dezember. Sie setzt andere Bund-Länder Beschlüsse um, akzeptiert für Besuche in Pflegeheimen aber neben einem negativen Antigentest auch FFP2-Masken. Für Heime in Regionen mit erhöhter Inzidenz ist keine Verschärfung definiert.
Die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Wölfle, staunt. Vergangene Woche hatte sie Lucha in einem Brief noch gefragt, wann er seiner Ankündigung einen Erlass folgen lasse. Doch Lucha will offenbar über die allgemeine Corona-Verordnung gar nicht hinausgehen. "Dafür habe ich absolut kein Verständnis", sagt Wölfle. Die Bedrohungslage in Heimen sei dramatisch, der Beschluss von Kanzlerin und Länderchefs mehr als sinnvoll.
"Lucha hat es verpasst, genügend Tests, aber vor allem vom Land organisiertes Personal für Testteams bereitzustellen", glaubt die Emmendinger Abgeordnete. "Dass er sein Versäumnis kaschiert, indem er die Testpflicht nicht umsetzt, ist grob fahrlässig. Schließlich geht es hier um Menschenleben." Baden-Württembergs Heime hatten bis Mittwochabend aus den vergangenen vier Wochen 195 Covid-Tote gemeldet.
Heime können eine Testpflicht auch selbst erlassen, tun sich aber leichter, wenn es rechtssichere Vorgaben gibt.
Wölfle verweist darauf, dass andere Bundesländer den Länder-Beschluss umgesetzt haben. "Allerdings sollte die Pflicht zur Testung nicht auf die Heime übertragen werden", betont sie. Diese stünden oft schon am Rand ihrer Leistungsfähigkeit. "Die Tests für Pflegeheimbesucher sind auch bei den Hausärzten abrechenbar", so Wölfle. Apotheken wiederum böten sie gegen Bezahlung an. Auch Kreise und Gemeinden könnten entsprechende Teststellen einrichten. "Wenn dies gemeinsam mit den Heimen gemacht wird, könnten die Kosten für die Testkits auch von den Kassen übernommen werden."
Das zu organisieren sei Luchas Aufgabe, der sich aber lieber "einen schlanken Fuß" mache. "Seine aktuelle Weihnachtstestaktion, zu der sich alle anmelden konnten, war allenfalls gut gemeint", sagt die SPD-Politikerin. Die Anzahl der zur Verfügung gestellten Tests reiche bei Weitem nicht aus, setzte falsche Prioritäten.
Das Sozialministerium nannte gestern auf Nachfrage keine Gründe dafür, dass Baden-Württemberg von den Vorgaben der Länderchefs abgewichen ist. Die Landesverordnung gelte bis zum 10. Januar, erklärte ein Sprecher. Für die Zeit vom 11. Januar an werde nach erneuter Beurteilung der Lage entschieden.