Ashwaq Al-D. Foto: Sardar sattar/YouTube/dpa
Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Die Geschichte schockierte die Welt: Ein IS-Kämpfer stellt in der Kleinstadt Schwäbisch Gmünd seinem Missbrauchsopfer aus dem Irak nach - und die Polizei findet ihn nicht. Das Opfer, die 19-jährige Ashwaq Al-D., flieht daraufhin zurück in ihre Heimat. Dort macht die Jesidin die Angelegenheit via Youtube öffentlich, bedankt sich für die Aufnahme in Deutschland, wirft aber in Interviews der deutschen Polizei Versäumnisse vor.
Der Fall erregte große Aufmerksamkeit, Medien aus der ganzen Welt berichteten. Doch die Geschichte ist mindestens unvollständig. Wie gut informierte Quellen übereinstimmend berichten, hegen Behörden Zweifel am geschilderten Hergang.
"Ashwaq wird von einem Teil ihrer Familie als Hebel benutzt", sagt ein Insider, der nicht namentlich genannt werden will. Der Vater der 19-Jährigen habe von der Landesregierung Visa für etwa 20 weitere Angehörige gefordert - und mit einer Medienkampagne gedroht, sollte das Land ablehnen. Zuvor habe er erfolglos versucht, mit der Familie nach Australien auszuwandern. Die Landesregierung habe aber nicht nachgegeben. Der Vater habe schließlich eingelenkt und die Tochter zurück nach Deutschland begleitet.
Das Staatsministerium bestätigt auf Anfrage nur: "Ein Vertreter des Landes hat im Zusammenhang mit der Rückkehr von Ashwaq mit dem Vater gesprochen. Verhandlungen gab es keine." Die Frau befinde sich "auf ihren Wunsch hin seit Ende September wieder in Deutschland", sagt eine Sprecherin. Sie werde medizinisch und psychologisch behandelt.
Fragen zur Rolle des Vaters und zum mutmaßlichen Erpressungsversuch beträfen "alle direkt oder indirekt das laufende Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof und können deshalb aktuell nur von dort beantwortet werden".
Doch auch die Bundesanwaltschaft mauert. Eine Sprecherin bestätigt, man ermittle seit Juni 2018 gegen Unbekannt, wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das Völkerstrafrecht. Alles Weitere kommentiere man nicht. "Das könnte unsere Ermittlungen gefährden", erklärt die Sprecherin. In welche Richtungen die Behörde ermittelt, die für Terror- und Kriegsverbrecherfälle zuständig ist, bleibt daher vorerst unklar. Genau wie die Qualität der Schilderungen von Ashwaq Al-D.
Fest steht: Die Frau, die im "Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder" ins Land kam, ist schwer traumatisiert. Und es gibt mehrere Fälle, in denen missbrauchte Jesidinnen über Kontakte mit Tätern berichteten. Al-D. meldete im August, ihr habe im Februar 2018 in Schwäbisch Gmünd ein Mann nachgestellt. Er habe sie auf Arabisch angesprochen und bedrängt. Es sei ihr Peiniger aus dem Irak gewesen, den sie als "Abu Hamam" kennengelernt hatte.
Al-D. wurde nach eigenen Angaben 2014 in ihrer Heimat vom IS verschleppt und an "Abu Hamam" verkauft. Der Mann habe sie gefangen gehalten und missbraucht. Nach drei Monaten sei ihr die Flucht gelungen. Sie wurde für das Sonderkontingent ausgewählt, kam mit ihrer Mutter und einem Bruder nach Deutschland, erhielt psychologische Hilfe. Doch nicht die ganze Familie durfte kommen. Ein Teil, darunter der Vater, blieb im Irak, im Lager Esyan nahe der Stadt Dohuk. Offenbar ist diese Trennung mit ursächlich für die Geschichte.
Ob es das Treffen mit "Abu Hamam" wirklich gab, ist weiterhin unklar. Der Psychologe Ilhan Kizilhan, der das Jesiden-Sonderprogramm leitet, nannte es im August auch möglich, dass Al-D. aufgrund ihres Traumas einen fremden Mann für "Abu Hamam" halte.
Jedenfalls ging Al-D. fünf Tage nach dem geschilderten Vorfall zur Polizei. Beamte vor Ort nahmen den Fall auf und banden das LKA in die Ermittlungen ein. Laut Bundesanwaltschaft gelang es aber nicht, eine konkrete Person zu identifizieren. Man ermittle bis heute weiter.
Der Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold (CDU), wies den Vorwurf zurück, die Behörden hätten sich nicht genug gekümmert. Al-D. sei auch ein Wohnungswechsel angeboten worden, den sie aber ablehnte.
Al-D. und ihr Vater waren für Stellungnahmen nicht zu erreichen.