Nachdem zunächst eine Abschiebung gescheitert war, rückten am 3. Mai 2018 mehrere Hundert Polizisten in der Lea Ellwangen an. Foto: dpa
Stuttgart. (dpa/lsw) Die Klage eines Flüchtlings gegen das Land Baden-Württemberg wegen ungerechtfertigter Polizeigewalt hatte teilweise Erfolg (Az.: 1 K 9602/18). So stellte das Gericht in einer Entscheidung am Freitag fest, dass die "Personenfeststellung, das Betreten und Durchsuchen des Zimmers des Klägers, das Durchsuchen und das Festsetzen des Klägers unter Anlegen von Einmal-Handschließen", rechtswidrig gewesen sei, wie es in einer Mitteilung des Verwaltungsgerichts Stuttgart hieß.
Die Maßnahmen der Polizei bei der Razzia in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Ellwangen im Mai 2018 seien unverhältnismäßig gewesen, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Sie stellten fest, dass das Zimmer des Mannes in der Flüchtlingsunterkunft für sie keine Wohnung im Sinne des Grundgesetzes darstelle. Der Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht sei dennoch "nicht angemessen" gewesen. Dabei habe das Gericht auch berücksichtigt, dass die Polizei das Zimmer des Mannes um 5.19 Uhr und damit nachts betreten habe.
Die Klage des Mannes gegen die polizeilichen Maßnahmen bei seiner Abschiebung im Juni 2018 hatte dagegen keinen Erfolg. Auch hier war die Polizei in das Zimmer des 31-jährigen Flüchtlings gekommen und hatte ihn später mit Gewalt in ein Polizeiauto gebracht. Diese Maßnahmen waren aus Sicht des Gerichts "zur Durchsetzung der Ausreisepflicht gerechtfertigt".
Lediglich das zeitweise Einbehalten des Geldbeutels des Mannes rügten die Richter in ihrer Entscheidung. In einer mündlichen Verhandlung hatten am Donnerstag der Kläger und als Zeugen an den Einsätzen beteiligte Polizisten ihre Eindrücke der beiden Einsätze geschildert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Update: Freitag, 19. Februar 2021, 15.28 Uhr
War die Razzia der Polizei rechtmäßig?
Von Thomas Burmeister
Ellwangen. Einsatz im Morgengrauen. Hunderte Polizisten rücken in der Ellwanger Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (Lea) an. Am 3. Mai 2018 demonstrieren sie Stärke und machen klar: Widerstand gegen Abschiebungen ist zwecklos. Kurz zuvor hatten rund 150 Lea-Bewohner die Abholung eines aus Afrika stammenden Mannes verhindert, der nach Italien zurückgebracht werden sollte. Doch inzwischen, zehn Monate danach, sind die Behörden in Erklärungsnot geraten. War die Großrazzia möglicherweise in Teilen rechtswidrig?
Das jedenfalls scheint die Entscheidung eines Jugendrichters am Amtsgericht Ellwangen nahezulegen. Auf seinen Einspruch hin setzte das Gericht ein Verfahren gegen die Flüchtlinge aus, denen die Staatsanwaltschaft Widerstand gegen Vollzugsbeamte bei der Razzia vorwirft.
Es bestünden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens einiger Polizisten, wurde der Staatsanwaltschaft Ellwangen durch das Amtsgericht bedeutet. Es geht um die Frage, ob sie Türen aufbrechen und die Wohnräume von Flüchtlingen durchsuchen durften - ohne dass es dafür einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gab.
Nach Worten des Sprechers des zuständigen Präsidiums in Aalen, Robert Kreidler, sei dies zulässig gewesen: "Wir stützen unsere Maßnahme auf das Polizeigesetz", sagte er am Dienstag. Er verwies darauf, dass das Regierungspräsidium Stuttgart Eigentümer der Lea ist. "Von dort gab es die Zustimmung zum Betreten und Durchsuchen."
Das klingt jedoch beim Regierungspräsidium sowie im Innenministerium nicht mehr ganz so klar. In wortgleichen Stellungnahmen erklärten die Behörden: "Der Polizeieinsatz in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen am 3. Mai 2018 wurde - entsprechend der bei der Polizei Baden-Württemberg geübten Verfahrensweise - durch das Polizeipräsidium Aalen als einsatzführende Dienststelle sowohl geplant als auch verantwortlich durchgeführt."
Und weiter: Es sei bekannt, dass gegen einzelne Maßnahmen des Einsatzes Klagen vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart anhängig seien. Dessen Entscheidung sei abzuwarten - und das könnte dauern. Denn das Verwaltungsgericht hat bereits mit einem Berg von Klagen von Flüchtlingen zu kämpfen. Unter anderem geht es um die Klage eines Mannes aus dem westafrikanischen Staat Kamerun, der sich gegen das Eindringen von Polizisten in sein Zimmer an jenem 3. Mai beschwerte - eingereicht wurde seine Klage bereits am 25. September 2018.
"Für Klagen haben wir derzeit eine Laufzeit von etwa einem Jahr", sagte die Vorsitzende Richterin des Verwaltungsgerichts, Ulrike Zeitler, am Dienstag. Derzeit seien noch 13.000 Klagen von Flüchtlingen anhängig, zumeist im Zusammenhang mit ihren Asylverfahren. "Das ist gegenwärtig die Hauptlast, die wir tragen."
Von der Entscheidung in Sachen Lea dürfte abhängen, ob die Staatsanwaltschaft weitere Flüchtlinge vor Gericht bringen kann, die sich damals mutmaßlich der Polizei widersetzten.
Die Staatsanwaltschaft sei um weitere Ermittlungen und Klärung gebeten worden, bestätigte Sprecher Armin Burger. Auch die Anklagebehörde schaut nun mit Interesse in Richtung Verwaltungsgericht. Zu klären sei, inwieweit das Hausrecht (des Regierungspräsidiums) innerhalb einer Einrichtung wie der Lea ausreiche, meinte Burger. Klar sei dabei: "Wer sich gegen eine rechtswidrige Polizeimaßnahme wehrt, kann dies unter Umständen straffrei tun."
Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat sich zu den jüngsten Entwicklungen noch nicht geäußert. 100 Tage nach der Razzia war er noch voll des Lobes für die Arbeit der Beamten: "Die Polizei hat das einzig Richtige getan: Sie hat die Lage umfassend bewertet und dann mit ganzer Konsequenz geantwortet."