Landtagspräsidentin Muhterem Aras unterschrieb die Gründungsurkunde von „Konsequent e.V.“. Neben ihr sitzen Wolfgang Reinhart (CDU, l.) und Guido Rebstock, Initiator der Vereinsgründung, dahinter (v.l.) Sascha Straub (Volksbank Heilbronn), Hans-Ulrich Rülke (FDP), Andreas Stoch (SPD), Hans-Ulrich Sckerl (Grüne), Heilbronns OB Harry Mergel und Antisemitismusbeauftragter Michael Blume. Foto: S. Gollnow/dpa
Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Es gibt sie noch, die Orte, in denen Straßen und Plätze nach dem ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg heißen, sich Bürger und ihre Vertreter in den Rathäusern schwer damit tun, wie man die Last unliebsamer Ehrenbürgerschaften aus dem Dritten Reich los wird oder deren Euthanasie-Opfern gerecht wird. Nur rational lässt sich diese Thematik offenbar nicht bewältigen, das zeigte sich auch beim dritten "Kaffeehausgespräch" der Reihe "Wehret den Anfängen".
Die Räume des Kaffeehauses Hagen im Heilbronner Industriebetrieb – Inhaber Hanspeter Hagen ist mit Ministerialdirektor Guido Rebstock und Autor Gunter Haug einer der Initiatoren – fassten die Besucher kaum, als es nun um das Thema ging, dass es "direkt vor unserer Haustür" immer noch Ehrenbürgerschaften von Hitler, Straßennamen für Hindenburg oder verweigertes Gedenken für Euthanasie-Opfer gibt. Da das Thema an konkreten Beispielen der Orte Schwaigern, Zaisenhausen und Kirchardt behandelt wurde, waren von hier viele Besucher gekommen: Engagierte in der Thematik und persönlich Betroffene, dazu Bürgermeisterin Sabine Rotermund, Schwaigern, Gemeinderat Hartmut Hensgen, Zaisenhausen, und Bürgermeister Gerd Kreiter, Kirchardt.
Dass Geschichtsbilder auch heute noch einer Revision bedürfen, hatte zuvor Professor Wolfram Pyta vom Historischen Institut der Uni Stuttgart und Direktor der Forschungsstelle Ludwigsburg in einem Kurzreferat zu Paul von Hindenburg erläutert. Dessen aktive Rolle bei der Machtergreifung Hitlers war ihm – ganz legal – durch die Weimarer Verfassung möglich und persönlich ein ausdrückliches, nie bereutes Anliegen.
Die Problematik: Ehrenbürgerschaften erlöschen per se mit dem Tod, aber sie lassen sich nicht so einfach "ad acta" legen angesichts der historischen Brisanz. Deshalb hat es in einigen Kommunen auch eine formelle Aberkennung gegeben, etwa in Zaisenhausen, wohingegen man in Kirchardt keine Notwenigkeit für den symbolischen Akt einer posthumen Aberkennung sieht. Nach der Gemeindeordnung wäre es möglich, darin heißt es im Paragrafen 22 kurz und knapp: "Das Ehrenbürgerrecht kann wegen unwürdigen Verhaltens entzogen werden."
Auch wenn sich in den Diskussionen des Abends vieles allein um diese Formalie drehte, so wurde doch auch klar, dass das Bedürfnis nach Aufarbeitung und die Art, wie diese geschehen soll, durchaus unterschiedlich und in manchen Fällen auch nicht frei von dem Wunsch ist, die Vergangenheit ruhen zulassen.
Die divergierenden Einstellungen zu Straßennamen gelten auch, wenn es darum geht, beispielsweise die Opfer der Euthanasie zu benennen. Während man im Heilbronner Stadtarchiv eine gute Lösung gefunden hat – hier gibt es in einem Raum eine vollständige Namensliste aller Opfer, unterschiedslos, ob sie als geistig Behinderte in Grafeneck oder als jüdische Mitbürger in Auschwitz ermordet wurden – läuft zum Beispiel eine Initiative in Schwaigern, die Namen von behinderten Euthanasie-Opfern zu benennen, bisher nur sehr schwierig an – auch wenn sich die Bürgermeisterin dazu ausdrücklich bekennt und in dem 85-jährigen Günter Walter einen Mitstreiter dafür hat.
Als sich bei diesem Thema eine persönlich Betroffene unter den Zuhörern dagegen verwahrte, man unterstelle der Familie Vertuschung, sie aber das Recht für sich reklamierte, ein in Grafeneck getötetes Familienmitglied nicht weiter namentlich zu benennen, war das ein Augenblick, in dem Geschichte ganz lebendig und konkret wurde. Und es zeigte sich, dass es in der Erinnerungskultur keinen "Königsweg" gibt, aber, wie viele unterschiedliche und gute Ansätze und Beispiele andernorts. "Nicht wegsehen, aber dahinter schauen", sagte Rotermund dazu. Das wird man auch in Heilbronn tun. Hartmut Seitz-Bay von den "Offenen Hilfen" in Heilbronn kündigte an, dass es dazu im Herbst eine Ausstellung in der Kilianskirche geben wird.
Als Nächstes steht bei "Wehret den Anfängen" am 11. März ein Filmabend an. "Blut muss fließen – undercover unter Nazis" heißt der dann unter anderem bei der Berlinale gezeigte und mehrfach preisgekrönte Dokumentation von Peter Ohlendorf. Der Filmemacher, der ihn mit Kameramann Thomas Kuban auch unter konkreter Lebensgefahr in der rechten Musikszene produziert hat, nennt ihn "ein bedrückendes Dokument über eine gewaltbereite, enthemmte Masse, die längst nicht mehr im Verborgenen agiert, sondern ihre faschistischen Parolen und Symbole immer offener und aggressiver zur Schau stellt".
Ohlendorf wird zur Einführung in den Film und für eine anschließende Diskussion nach Heilbronn kommen und dabei auch nach jahrelangen Recherchen in der Neonazi-Szene neueste Erkenntnisse zum Mord an Michèle Kiesewetter präsentieren, "die sich absolut nicht mit den bislang bekannten offiziellen Ermittlungsergebnissen decken."