Für Touristinnen in Ordnung, im Klassenzimmer unerwünscht: Niqab-Trägerinnen in London. Foto: dpa
Von Sören S. Sgries
Heidelberg/Stuttgart. Den Impuls gab ein Gerichtsurteil in Hamburg. Doch für die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann war klar: "Wir dulden keine Vollverschleierung an unseren Schulen." Hintergründe.
Worum ging es bei dem Fall in Hamburg? Die Schulbehörde in Hamburg hatte der Mutter einer 16-Jährigen aufgetragen, dafür zu sorgen, dass die Tochter in der Berufsschule ihr Gesicht zeige und ein Zwangsgeld von 500 Euro angedroht. Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht wiesen das jedoch zurück. Für eine solche Anordnung fehle die rechtliche Grundlage im Schulgesetz. Dort ist bisher nicht explizit geregelt, dass eine Verhüllung des Gesichts verboten ist. Schulsenator Ties Rabe (SPD) kündigte daraufhin an, das Gesetz ändern zu wollen.
Wie will Baden-Württemberg das Thema regeln? Auch in Baden-Württemberg fehlt derzeit offenbar eine gerichtsfeste Regelung gegen die Vollverschleierung an Schulen. Zunächst hatte Kultusministerin Eisenmann (CDU) angekündigt, das Schulgesetz entsprechend ändern zu wollen. Später stellte sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hinter den unabgesprochenen Vorstoß. "Das finde ich gut", sagte Kretschmann am Dienstag. In einer offenen Gesellschaft müsse man sein Gesicht zeigen.
Unterstützt der grüne Koalitionspartner Eisenmanns Pläne? Nur zum Teil. Sandra Boser, bildungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, erklärte: "Wir lehnen die Vollverschleierung in der Schule ab." Deshalb unterstützten die Grünen "eine praktikable und rechtssichere Lösung", die der religiösen und weltanschaulichen Freiheit in der Schule weiterhin Raum gebe. Keinesfalls allerdings sehe man bestimmte religiöse Kleidung "als generelle, abstrakte Gefahr für den Schulfrieden" an, so Boser. "Die Kippa, das Kopftuch, die Schwesterntracht und andere Kleidungsstücke sind Ausdruck unserer Religionsfreiheit."
Die Parteichefs der Grünen, Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand, hatten zwar ebenfalls erklärt, "Burka und Niqab sind Unterdrückungssymbole". Daher lehne man sie ab. Gleichzeitig bezweifelten sie die Relevanz des Vorstoßes bei "Fallzahlen nahe null". Kultusministerin Eisenmann führe eine "Scheindebatte" und lenke mit "Nischenthemen" von ihren wahren Problemen ab. "Die CDU-Kandidatin kann der Versuchung nicht widerstehen, Themen nachzulaufen, die letztlich nur die Rechten stärken", so der Vorwurf.
Wie gehen andere Bundesländer vor? Auch Schleswig-Holstein plant eine Verschärfung des Schulgesetzes. Andere Länder sehen hingegen keinen Handlungsbedarf – darunter beispielsweise Sachsen, Bremen und Thüringen. Hessens Kultusministerium sieht es schon jetzt als nicht zulässig an, mit verschleiertem Gesicht am Unterricht teilzunehmen. Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) warnte, man müsse aufpassen, Einzelfälle nicht aufzubauschen.
In welchen Bereichen gibt es schon ein Kopftuch- bzw. Verschleierungsverbot? Diskussionen über das Verbot von Kleidung, die muslimisch geprägt ist, gibt es immer wieder. In Baden-Württemberg wurde zuletzt im Mai 2019 über ein Kopftuchverbot für Grundschüler diskutiert, als in Österreich ein entsprechendes Verbot beschlossen wurde. In der Alpenrepublik gilt übrigens auch seit Oktober 2017 ein "Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz".
Für Lehrerinnen und Lehrer hat das Bundesverfassungsgericht 2015 geurteilt, dass ein landesweites pauschales Kopftuchverbot verfassungswidrig sei. In Einzelfällen gibt es aber immer wieder juristische Auseinandersetzung, wie sehr das Kopftuch der einzelnen Lehrerin tatsächlich den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet – das ist in vielen Schulgesetzen das Ausschlusskriterium.
In der baden-württembergischen Justiz gilt zudem seit Mai 2017 ein Gesetz, das religiöse und politische Symbole bei Richtern und Staatsanwälten verbietet.