Von Sören S. Sgries
Stuttgart/Heidelberg. Seit 2009 steht Hans-Ulrich Rülke (59) an der Spitze der FDP-Landtagsfraktion – damals regierte seine Partei nach gemeinsam mit der CDU, zunächst unter Günther Oettinger, dann mit Stefan Mappus. 2011 endeten auch für die Liberalen 15 Jahre als Regierungspartei. Nach der Landtagswahl am 14. März soll das anders werden – zur Not auch in einer Koalition mit den Grünen. Spitzenkandidat Rülke erklärt im digital geführten Interview, warum er Winfried Kretschmann durchaus schätzt – und er selbst durchaus gerne Wirtschaftsminister wäre.
Herr Rülke, vor der Corona-Pandemie war der Klimawandel das zentrale Thema. Warum fremdelt die FDP mit "Fridays for Future"?
Die FDP ist klassischerweise keine Partei, die auf der Straße protestiert. Aber natürlich ist das Thema Klimawandel und die Frage, wie erreichen wir Klimaziele, ein wesentliches Thema für uns. Junge Menschen setzen den Klimaschutz absolut und sagen: Wir müssen das 1,5-Grad-Ziel erreichen, alles andere ist uns eigentlich ziemlich. So kann man aber nicht Politik machen. So können nicht einmal die Grünen Politik machen.
Ein Kreuz, zwei Stimmen - Folge 3: Die FDP will ins Wirtschaftsministerium – mit Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke
Moderation: Sören Sgries und Alexander Rechner / Schnitt und Produktion: Reinhard Lask
Was wäre Ihr Politikansatz?
Man muss sehen, dass man wirtschaftliche Erwägungen und auch die Akzeptanz der Bevölkerung in ihrer Breite mitnimmt. Deshalb ist es notwendig, Klimaschutz und wirtschaftliche Prosperität zu verbinden. Das tun wir, indem wir beispielsweise sagen, es ergibt keinen Sinn, einzig und allein auf eine batterieelektrische Mobilität zu setzen. Die hat eine Klimabilanz, die erst weit oberhalb von 100.000 Kilometer besser ist als ein Diesel der Euronorm 6d. Nicht der Verbrennungsmotor ist das Problem, sondern der CO2-Ausstoß. Wenn es uns gelingt – mithilfe von synthetischen Kraftstoffen und von Wasserstofftechnologie – den Verbrennungsmotor umweltfreundlicher zu machen, tun wir mehr für das Klima, als wenn wir uns mit der batterieelektrischen Mobilität in die Tasche lügen.
Wie bekommen Sie denn die alternativen Kraftstoffe CO2-neutral produziert? Der Strombedarf ist enorm.
Dadurch, dass wir globaler denken. Selbst der linksgrüne Verkehrsminister Winfried Herrmann räumt ja inzwischen ein, dass die Lösung nicht sein kann, dass wir Baden-Württemberg von Norden nach Süden, von Osten nach Westen mit Windrädern zupflastern. Es ist notwendig, die erneuerbaren Energien dort zu produzieren, wo sie Sinn ergeben. Beispielsweise mit Wasserkraft in Skandinavien, mit Windkraft im Meer oder mit Sonne im Süden.
Will die Automobilindustrie das denn? Mein Eindruck: Die Konzerne setzen massiv auf Batterie-Antriebe, weil dort schnell ein Markt da ist.
Nein, man sieht nicht das schnelle Potenzial, sondern man wird von der Politik dazu gezwungen. Die Politik setzt fest: Das batterieelektrische Auto habe einen CO2-Ausstoß von Null. Das ist schlicht gelogen. Wenn eine solche Politik gemacht wird, ist klar, dass die Automobilindustrie nicht anders kann, als sich diesen politischen Vorgaben zu beugen. Wenn doch versucht wird, mithilfe synthetischer Kraftstoffe zu einer vernünftigen Politik zu kommen, ist es das SPD-geführte Bundesumweltministerium, das das verbietet.
In Ihren Wahlprüfsteinen entwerfen Sie die Vision eines "Superministeriums" für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Infrastruktur. Ihr Traumressort?
Ich werde sicher nicht sagen, ich will das und das Ressort persönlich übernehmen. Sollte ein solches Ressort bei Koalitionsverhandlungen für die FDP durchsetzbar sein, dann kann ich bestätigen, dass ich ein wenig Interesse daran hätte.
Auffällig: Das derzeit sehr kleine Wirtschaftsministerium würde massiv aufgewertet. Weil Sie das aktuelle Ressort als ineffizient ansehen?
Ich glaube, dass die Zuständigkeiten nicht so sind, wie ein wirtschaftsstarkes Land wie Baden-Württemberg es eigentlich erfordern würde.
Ist dieser Zuschnitt auch eine Kampfansage an Winne Hermann, den grünen Verkehrsminister, mit dem Sie nicht am Kabinettstisch sitzen wollen?
Ich habe keine persönlichen Vorbehalte gegenüber Herrn Hermann. Ich habe inhaltliche Differenzen. Vor dem gemeinsamen Platznehmen am Kabinettstisch stehen Koalitionsverhandlungen und ein Koalitionsvertrag. Wenn der Koalitionsvertrag stimmt, werden wir eine Regierung mit Sicherheit nicht daran scheitern lassen, dass wir sagen: Bei dem und dem passt uns aber die Nase nicht. Was von Herrn Hermann in letzter Zeit zu synthetischen Kraftstoffen kommt, gefällt mir besser als das, was vom SPD-geführten Bundesumweltministerium kommt.
Ihr liebster Koalitionspartner bleibt aber die CDU, Ihre Wunsch-Ministerpräsidentin Susanne Eisenmann?
Wie gesagt: Koalitionen sollte man nicht an der Nase von Personen festmachen. Sollte die CDU bis zum Wahltag ein Wahlprogramm verabschieden, habe ich die Vermutung, dass es mehr Berührungspunkte mit unserem Wahlprogramm gibt als mit dem Wahlprogramm der Grünen.
Bei der Bildungspolitik werben Sie unter anderem massiv für die berufliche Bildung. Warum?
Die berufliche Bildung muss gleichwertig sein. Ein Handwerker oder eine qualifizierte Facharbeiterin ist genauso wichtig für unseren wirtschaftlichen Erfolg wie ein Ingenieur oder eine Betriebswirtin. Deshalb ist es notwendig, hier stärker auf eine Differenzierung zu setzten und nicht zu sagen, wir setzen auf eine Einheitsschule und alle machen Abitur.
Das deckt sich mit den Ansagen der CDU.
Mit den Ansagen schon, aber nicht mit der Praxis. Frau Eisenmann hat ja beispielsweise auch erklärt, sie wäre für die Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung – geschafft hat sie es nicht. Frau Eisenmann war zwar Kultusministerin, aber die Schulpolitik haben die Grünen gemacht.
Susanne Eisenmanns Corona-Krisenmanagement begeistert Sie vermutlich auch nicht?
Der tiefere Grund, dass Frau Eisenmann so verbissen für Schulöffnungen kämpft, ist, dass sie einsehen muss, dass die digitale Ausstattung der Schulen so schlecht ist, dass nicht allen Kindern ein adäquates Bildungsangebot gemacht werden kann, wenn Fernunterricht gemacht wird. Das ist ein Offenbarungseid nicht nur von Frau Eisenmann, sondern auch des Digitalisierungsministers.
Und beim "Impfchaos": Warum sehen Sie da eigentlich politisches Versagen? Liegt es nicht vor allem daran, dass die Impfstoff-Mengen einfach fehlen?
Erstens glaube ich, ist es ein Fehler gewesen, zu sagen, wir verlassen uns auf diese "Hühnerleiter": die Europäische Union bestellt, dann kriegt der Bund irgendwas und verteilt, und wir sind mit allem zufrieden. In einer ersten Charge hat das Land Baden-Württemberg genau so viel Impfstoff bekommen wie das Saarland. Damit hätte ich mich als Ministerpräsident oder Gesundheitsminister niemals einverstanden erklärt. Und: 15 Bundesländer haben bisher erfolgreicher geimpft als Baden-Württemberg. Die einzige Ausrede, die Manne Lucha immer einfällt: Er legt 50 Prozent des Impfstoffs zurück. Das ist zwar richtig, aber das machen andere Bundesländer auch und haben dennoch eine höhere Impfquote.
Spielt Ministerpräsident Winfried Kretschmann denn für Sie, auch im Bundesvergleich, eine gute Rolle?
Ich habe den Eindruck, dass der Ministerpräsident guten Willens ist. Dass er ehrlich darum ringt, Lösungen zu finden, die das Land Baden-Württemberg aus der Pandemie herausbringen. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass er ständig im Blick hat: Was bringt mir das bei der Wahl? Im Unterschied zu Frau Eisenmann. Sie stellt Forderungen auf, von denen sie weiß, dass sie am Ende nicht umgesetzt werden, um Wahlkampf zu machen. Dann erklärt sie: Der böse Ministerpräsident hat nicht mitgemacht.
Aber richtig zufrieden sind Sie mit Winfried Kretschmann auch nicht?
Ich erkenne nicht wirklich eine Strategie. Er hat sich monatelang als Hardliner gegeben, im "Club der Umsichtigen" mit Angela Merkel und Markus Söder. Seit einiger Zeit hat er das umgedreht und neigt zu Alleingängen in Baden-Württemberg. Jetzt schert er wieder aus, wenn er ab dem 1. Februar Grundschulen öffnen will. Das halte ich nicht für falsch. Aber es passt nicht zu seiner bisherigen Linie. Ich vermute, er hat keine Strategie.
Also Übereinstimmung in der Sache, Kritik am Auftritt?
Nein, wir haben eine völlig andere Strategie vorgeschlagen, ähnlich wie es in Tübingen praktiziert wird. Wir sind der Überzeugung, dass es notwendig ist, Risikogruppen stärker zu schützen: durch Schnelltests, durch FFP2-Masken in Alten- und Pflegeheimen. Es ergibt keinen Sinn, in Gaststätten, bei Sportveranstaltungen, bei der Kultur, dort, wo funktionierende Hygienekonzepte vorzufinden sind, alles zu schließen. Man hat die Menschen in die Anonymität der Privatheit gedrängt. Die Zahl der Infizierten ist nicht gesunken, sondern gestiegen.
Eine etwas gemeine Abschlussfrage: Was ist Ihnen wichtiger: Dass Sie im Sommer wieder in vollen Biergärten sitzen können, oder dass Sie als Liberale im Wirtschaftsministerium sitzen?
Wenn ich Wirtschaftsminister werden sollte, werde ich mich darum bemühen, den Parkplatz vor dem Wirtschaftsministerium in einen Biergarten umzuwandeln.
Info: Dieses Interview ist die gekürzte und autorisierte Variante eines Gesprächs im Rahmen des RNZ-Podcasts "Ein Kreuz, zwei Stimmen". Das gesamte Gespräch hören Sie in der aktuellen Folge. Alle Folgen des Podcasts finden sie auf www.rnz.de/zweistimmen.