Heumilch ist so etwas wie ein Retrotrend: Die Nachfrage nach den Produkten wächst. Foto: dpa
Unterreichenbach. (dpa/lsw) Carsten Göz und seine Frau Nadine wagen ein heutzutage eher seltenes Unterfangen: Das Paar gründet einen Bauernhof. In Unterreichenbach (Landkreis Calw) entstehen gerade die Gebäude für den Leimenäckerhof. Die ersten Kühe sollen Ende Februar einziehen. Ihr Futter wird allerdings ohne Silage auskommen, also ohne die herkömmlichen konservierten Futtermittel für Rinder. Stattdessen setzen die Eheleute Göz auf den Trend Heumilch.
Es ist gewissermaßen ein Retrotrend, sagt der 33-Jährige. Denn zu fressen bekommen die Tiere das, was früher schon üblich war: frisches oder getrocknetes Gras, Kräuter und andere Pflanzen. "Jahrelang ging es nur um mehr Milchleistung", sagt Göz. Bei Heumilch stehe neben der ursprünglichen Art der Milchgewinnung die Tiergesundheit im Fokus.
Heumilch hat nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums Baden-Württemberg im Trinkmilchsektor noch eine geringe, aber stetig wachsende Bedeutung. Gegenwärtig gebe es rund 200 zertifizierte Erzeugerbetriebe, die Heumilch produzieren. Markus Albrecht vom Milchwirtschaftlichen Verein Baden-Württemberg sagt, drei bis fünf Prozent der Milch im Südwesten könne als Heumilch verarbeitet werden. Eine Ausweitung auf etwa sieben Prozent sei realistisch. "Das ist ein feiner Markt, aber das Potenzial ist da." Die Vermarktung läuft laut Ministerium insbesondere über die Verarbeitung zu Käse.
Heumilch ist europaweit per Verordnung als "garantiert traditionelle Spezialität" geschützt. Seit März 2018 darf Milch unter der Bezeichnung Heumilch g.t.S. vermarktet werden, wenn Anforderungen an die Produktion wie der Verzicht auf Gärfuttermittel (Silage) erfüllt werden und sich der Hersteller einem Kontrollsystem unterstellt. Heumilch-Produkte gibt es aber deutlich länger: So wird zum Beispiel Allgäuer Emmentaler schon immer aus silagefreier Rohmilch hergestellt, um etwa eine Spätblähung des Käses zu vermeiden.
Wenn Bauern sich für eine Heu- statt Silagefütterung entscheiden, müssen sie mit deutlich höheren Kosten rechnen. So ist laut Ministerium unter anderem eine Unterdach-Heutrockungsanlage nötig. Aber es gibt Fördergelder bei Silageverzicht. Seit Jahren steigen die Zahl der Anträge, die bewilligten Mittel und geförderten Flächen. Das waren 2019 den Angaben nach 8339 Hektar, vor allem in den Landkreisen Ravensburg und Breisgau-Hochschwarzwald sowie dem Bodenseekreis. Mit insgesamt 659 229 Euro seien 222 Antragsteller bezuschusst worden.
Nach Angaben des Milchwirtschaftlichen Vereins liegen die Ausgaben für die Landwirte bei Heumilch-Herstellung um bis zu zehn Prozent höher als im konventionellen Betrieb. Mit Aufschlägen etwa der Molkereien seien die Preise im Laden für den Kunden am Ende noch einmal höher als bei herkömmlich hergestelltem Käse, sagt Albrecht.
Auch für den Leimenäckerhof rechnet Göz mit 150 000 Euro Mehrkosten als wenn er sich für Silagefütterung entschieden hätte. 2500 Kubikmeter fasst das Heulager, aus dem rund 70 Tiere ernährt werden sollen, darunter neben 30 Milchkühen auch Rinder für die Nachzucht. "Ich gehe absolut davon aus, dass sich das rentiert", sagt Göz.
Nach zwei Jahren Mitarbeit auf einem Hof mit eigener Käserei hätten sich der Landwirtschaftsmeister und die Arzthelferin entschieden, in ihrer Heimat im Nordschwarzwald einen eigenen Betrieb zu gründen und dort auch selbst Käse herzustellen. "Unser Konzept kann nur leben, weil wir die Direktvermarktung auf dem Hof haben", sagt Göz.
Er setzt dabei auf das steigende Interesse an Heumilch-Produkten. Man merke, dass die Gesellschaft umdenke. "Nicht nur ältere Menschen geben heutzutage mehr Geld für hochwertige Lebensmittel aus als früher", sagt er. "Sondern auch jüngere Familien fragen sich, wo die Lebensmittel herkommen."
Die wachsende Nachfrage sei nicht nur auf den allgemeinen Trend zu gesunder Ernährung zurückzuführen, sagt Branchen-Experte Albrecht. Meist seien es kleine Betriebe, die Heumilch produzieren und anbieten. Das gehe oftmals einher mit weiteren Verkaufsargumenten wie Regionalität und Handwerk. "Es ist schwer einzuschätzen, wie ausschlaggebend allein der Faktor Heumilch dabei ist."
Die Heumilch-Zertifizierung ist nach Einschätzung des Kontrollvereins Ökologischer Landbau aus Karlsruhe besonders in Grünlandregionen, in denen einige Betriebe schon größtenteils oder vollständig gärfutterfrei arbeiten, gut umzusetzen und bei entsprechenden Abnehmern sinnvoll. Insbesondere in Kombination mit der Bio-Zertifizierung könne die Auslobung zusätzlich als "Heumilch g.t.S." weitere Vermarktungsmöglichkeiten bieten.
Die Nachfrage spürt das Ehepaar Göz schon jetzt, bevor es richtig losgeht: Eltern kämen vorbei und wollten ihren Kindern erklären, wie Milch entsteht. Ein Anliegen, das Göz teilt: "Was heißt es, gesunde Lebensmittel zu produzieren? Wir wollen der nächsten Generation zeigen, was man tun muss, damit am Ende ein Laib Käse rausrollt."