Erst berät der Arzt am Smartphone, dann geht das Rezept digital direkt in die Apotheke: So sieht es das neue Modellprojekt vor, das jetzt in Baden-Württemberg gestartet wurde. F.: dpa
Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Nach Pionierarbeit beim Bildschirm-Arzt geht Baden-Württemberg den nächsten Schritt: Seit diesem Monat können gesetzlich Versicherte in Modellregionen ein elektronisches Rezept empfangen und an eine örtliche Apotheke ihrer Wahl weiterleiten. 2020 soll das im ganzen Land möglich werden. Mit der Initiative wollen Kassen, Apotheker und Politik bundesweit Standards setzen.
Das Projekt heißt "Gerda" (Geschützer E-Rezept-Dienst der Apotheken) und die Beteiligten sind erkennbar zufrieden: "Eine historische Stunde", erklärte Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) bei der Vorstellung am Donnerstag in Stuttgart. "Wir schreiben heute Geschichte", pflichtete Johannes Fechner bei, Vizevorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg: "Als erstes Bundesland in Deutschland können wir den gesetzlich Krankenversicherten jetzt telemedizinische Beratung und bei Bedarf gleichzeitig auch ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel zukommen lassen."
Tatjana Zambo, Vizepräsidentin des Landesapothekerverbandes, erkannte "eine neue Ära in der Arzneimittelversorgung". Der Präsident der Landesapothekerkammer, Günther Hanke betonte: "Die Technologie hat das Potenzial, Vorlage für eine bundeseinheitliche Lösung zu sein."
Das Verfahren ist zunächst an das Telemedizinangebot "docdirect" gekoppelt, das im vergangenen Jahr gestartet ist. Über eine App auf dem Smartphone können gesetzlich Versicherte dort Ärzte per Video konsultieren. Für ein Rezept mussten sie bislang aber weiterhin eine Praxis aufsuchen. Mit der neuen Technik können Ärzte das Dokument auf einen Server schicken. Patienten können es dort einsehen und anschließend einer teilnehmenden Apotheke ihrer Wahl zugänglich machen. Über eine Chatfunktion können sich Apotheke und Kunde auch verständigen, beispielsweise zum Abholtermin oder einem Botendienst.
Fechner zufolge gibt es aktuell bei "DocDirect" 40 Telemedizinärzte. Bei einem Drittel der Gespräche hätten die Mediziner bislang gern ein elektronisches Rezept ausgestellt, wenn das schon möglich gewesen wäre. "Gerda" wird nun zunächst in den Landkreisen Stuttgart und Tuttlingen getestet. Zambo zufolge nehmen daran bislang zehn Apotheken teil. Zahlreiche weitere hätten sich aber schon angemeldet und seien im Prozess der Softwareanpassung. Wenn alles glattgeht, kommt 2020 die Ausweitung auf ganz Baden-Württemberg.
Die Beteiligten betonten, sie wollten bei Ausstellung und Transport von Rezepten bewusst eine Vorreiterrolle einnehmen. Das elektronische Rezept komme so oder so. Es gebe aber inzwischen zahlreiche Vorstöße mit Eigeninteressen auch kapitalgesteuerter Firmen. "Gerda" soll dem Bund eine Blaupause bieten und gleichzeitig Standards setzen: für ein einheitliches System mit neutralen Akteuren und staatlicher Kontrolle; für fairen Wettbewerb zwischen Versandhandel und ortsgebundenen Apotheken. Letztere seien ein fester Bestandteil von wohnortnaher Versorgung so Lucha.
Das Land finanziert diesen Vorstoß mit einer Million Euro. "Der Bund hinkt hinterher, guckt aber auf Baden-Württemberg", bekräftigte der Minister. Als Nebeneffekt sieht er Baden-Württemberg nicht nur in der Telesprechstunde, bei medizinischen Apps oder der elektronischen Patientenakte in der Vorreiterrolle. Der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink sei im Rahmen der gemeinsamen Arbeit "mittlerweile in Deutschland die Kernkompetenz" und zum Gesundheitswesen-Datenschutzexperten schlechthin gereift.