Der falsche Weg? Während zahlreiche Einfamilienhäuser an den Ortsrändern entstehen, gibt es bei den innerstädtischen Mietshäusern zu wenig Bewegung, beklagen die Grünen. Foto: dpa
Von Sören S. Sgries
Heidelberg/Berlin. Es fehlen Wohnungen für Senioren, Wohnungen für Studenten, Wohnungen in städtischen Ballungsräumen: Die Bedarfsliste ist lang, die Baubranche kommt kaum hinterher - und das, obwohl die Politik die Not erkannt hat. "Wohnraumförderung hat Vorfahrt", heißt es beim baden-württembergischen Wirtschaftsministerium. Und: "Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum kann nur gedeckt werden, wenn die Politik geeignete Rahmenbedingungen schafft."
Doch was, wenn an den falschen Schrauben gedreht wird? Diesen Verdacht äußern die baden-württembergischen Grünen-Baupolitiker Susanne Bay und Chris Kühn. Hintergrund ihres Vorstoßes ist die Lockerung des Paragrafen 13b im Baugesetzbuch, der beschleunigte Genehmigungsverfahren für Wohnbebauung auch im Außenbereich, also nicht nur zur innerstädtischen Nachverdichtung, ermöglichen sollte. Seit Mai 2017 ist dieser in Kraft, aufgehoben wurde beispielsweise die Pflicht zur Durchführung einer Umweltprüfung. Aktuell wird diskutiert, ob die Regelung, die Ende des Jahres ausläuft, verlängert werden muss.
Die Landtagsabgeordnete Bay ist überzeugt: "Weiterhin planlos zu zersiedeln, ist der falsche Weg in der Wohnungskrise." Sie fordert, dass "da, wo der Bedarf besteht, zielgerichtet und nachhaltig bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird". Und dazu habe, so die Meinung der Grünen-Politiker, die Baugesetzbuch-Novelle nicht beigetragen.
Die Bauexperten der Grünen: die Landtagsabgeordnete Susanne Bay... Foto: zg
Aus Zahlen, die die Abgeordneten beim für den Bau-Bereich zuständigen Bundes-Innenministerium abfragten und die der RNZ exklusiv vorliegen, geht hervor, dass seit 2017 zwar viel in vereinfachten Verfahren gebaut wurde - aber kaum im Bereich der Mehrfamilienhäuser und auch sehr wenig im städtischen Bereich.
"Dort, wo gebaut wird, wird der wertvolle Boden im Hau-Ruck-Verfahren fast nur mit Ein- und Zweifamilienhäusern bebaut", sagt der Bundestagsabgeordnete Kühn. "Wenn schon auf diesem fragwürdigen Weg zusätzlich Bauland mobilisiert wird, dann muss wenigstens verdichtet gebaut werden", fordert er.
Im Bundesvergleich wurden die vereinfachten Verfahren vor allem in den großen Flächenländern gut genutzt. Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg, Bremen mit ihren sehr angespannten Wohnungsmärkten nutzten die Möglichkeiten überhaupt nicht.
So listet das Bundesinnenministerium für Baden-Württemberg rund 300 Bebauungspläne (teilweise noch in Aufstellung) mit bis zu 11.700 Wohneinheiten auf. In Bayern sind es rund 550 Pläne mit 2339 Einheiten. In Niedersachsen 145 Pläne (3700 Einheiten), in Rheinland-Pfalz 136 (3800), in Schleswig-Holstein 127 (2250) und in Brandenburg 126 Pläne. Hier wurden keine Daten zu den Einheiten gemeldet.
...und der Bundestagsabgeordnete Chris Kühn. Foto: zg
Setzt man diese Daten in Bezug zur überplanten Fläche (die allerdings nur aus wenigen Ländern vorliegen), so kommt man beispielsweise in Baden-Württemberg zu dem Ergebnis, dass pro Wohneinheit rund 380 Quadratmeter Fläche angesetzt werden. In Schleswig-Holstein sogar stolze 670 Quadratmeter.
Schon diese Flächen zeigen: Das ist zu viel Platz für die Mietwohnung im Mehrfamilienhaus. Auf 400 Quadratmetern kann man sich eher das Häuschen mit kleinem Garten vorstellen - und tatsächlich sind das auch die Informationen, die die Bundesländern weitergeben. Überwiegend wurden Ein- und Zweifamilienhäuser im vereinfachten Verfahren gebaut. In Bayern beispielsweise rund 1500 solcher Häuser, aber nur 53 Mehrfamilienhäuser. In Rheinland-Pfalz "fast ausschließlich" einzelstehende Häuser und nur "vereinzelt" Mehrparteien-Einheiten.
Landespolitikerin Bay warnt: Es dürfe nicht sein, dass "im Ergebnis trotz Wohnraummangel relativ wenige Wohneinheiten viel Fläche verbrauchen". Kühn ergänzt: "Die ungebremste Zersiedelung unserer Städte und Gemeinden ist nicht nur baupolitisch, sondern auch ökologisch grundfalsch." Im Schnitt seien seit Inkrafttreten der Baugesetz-Novelle rund 2 Hektar pro Tag "überplant" worden - und das, obwohl die Bundesregierung als ein Nachhaltigkeitsziel ausgegeben hat, bis zum Jahr 2020 die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungen und Verkehr auf 30 Hektar pro Tag zu begrenzen. Zuletzt lag der tägliche Flächenverbrauch noch doppelt so hoch.
Schon im Sommer hatte daher die Präsidentin des Umweltbundesamts, Maria Krautzberger, dafür geworben, den Paragrafen 13b des Baugesetzbuches auslaufen zu lassen. "Das ist ein Flächenverbrauch, den wir nicht zwingend brauchen, um die Wohnraum-Problematik in den großen Städten zu lösen", sagte sie.