"Kretschmann profitiert immer noch von der Zeit, als er einer grün-roten Regierung vorstand", sagt Stoch. Foto: F. Sommer
Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Das Besprechungszimmer des Chefs der Südwest-SPD wird von einem Porträt Willy Brandts dominiert, der Pop-Art-Version von Andy Warhol. Doch die Zeiten, als die SPD angesagt war, sind vorbei: Gerade mal 12,8 Prozent der Wähler würden ihr aktuell ihre Stimme geben; im Land waren es zuletzt nur elf Prozent. An den Inhalten liegt das nicht, glaubt Andreas Stoch (49).
Herr Stoch, im Juli haben Sie beim Landesparteitag gesagt, die SPD sei immer noch eine große Partei, habe aber keinen Erfolg mehr bei Wahlen. Warum ist das so?
Die politische Wahrnehmung der Menschen wird sehr stark durch Bundespolitik geprägt. Und die SPD hat als Teil der Großen Koalition in Berlin zwar viel Gutes getan, das kommt aber nicht bei den Menschen an. Dazu kommen innerparteilicher Streit und Nervosität. In diesem Prozess hat die Bundes-SPD nicht nur eine Fraktionsvorsitzende, sondern auch eine Parteivorsitzende verloren. Leider benötigt der Prozess, eine neue Parteispitze zu finden, Zeit, weil man sich bewusst für eine Mitgliederbefragung entschieden hat. Aber wir müssen endlich auch wieder über Inhalte wahrgenommen werden.
Die SPD hat einen klaren Markenkern: soziale Gerechtigkeit. Sie wird aber nicht gewählt. Geht es den Menschen zu gut?
Die Frage stelle ich mir auch häufiger. Ich glaube, wir alle nehmen wahr, dass wir in einer Gesellschaft unterwegs sind, in der die individuellen Interessen der Menschen immer dominanter werden und die Frage nach dem Gemeinwohl in den Hintergrund rückt. In einer solchen Gesellschaft droht der gesellschaftliche Zusammenhalt verloren zu gehen. Das bereitet mir Sorgen, gegen diesen Trend müssen wir unsere Politik ausrichten.
Inwiefern?
Der Staat ist die Organisation des Gemeinwesens. Und die SPD steht für einen handlungsfähigen Staat. Wo zum Beispiel nicht mehr für alle Schichten unserer Gesellschaft Wohnraum generiert werden kann, da muss ein Gemeinwesen Verantwortung übernehmen. Da sind wir mit unserer Forderung nach einer Landeswohnungsbaugesellschaft auf der Höhe der Zeit, während ich von CDU und Grünen immer nur etwas vom Marktversagen höre. Mit Verlaub, der Markt versagt nicht, er optimiert seinen Gewinn. Aber das heißt eben nicht, dass jeder Menschen auch bezahlbaren Wohnraum findet.
Die grün-schwarze Landesregierung hat zum Thema Gesellschaftlicher Zusammenhalt schon eine eigene Kampagne lanciert. Lassen Sie sich zu oft die Butter vom Brot nehmen?
Dieses Staatsministerium und diese Landesregierung sind hervorragend, wenn es darum geht, Überschriften zu kreieren und Hochglanzbroschüren zu drucken. Wenn Sie aber nach echten Konzepten fragen und danach, was diese Regierung tatsächlich zum Beispiel für mehr Wohnraum in Baden-Württemberg getan hat, dann werden Sie ganz schnell feststellen, dass die sich ideologisch zerstreiten und keine Lösungen präsentieren. Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu proklamieren, wie Ministerpräsident Kretschmann das macht, aber nichts dafür zu tun, ist aus meiner Sicht zynisch.
Wie erklären Sie sich dann, dass die Popularität des Ministerpräsidenten auch nach acht Jahren noch anhält? Dass die Grünen mittlerweile auch auf Bundesebene im Höhenflug sind?
Winfried Kretschmann profitiert immer noch von der Zeit, als er einer grün-roten Regierung vorstand. Da ist politisch gehandelt worden. Wir stellen jetzt aber fest, dass Kretschmann seine Energie nur noch darauf verwendet, diese Regierung irgendwie zusammenzuhalten. Wirklich große Entscheidungen sind unter Grün-Schwarz nicht getroffen worden, weil die auseinanderdriftenden Kräfte einfach zu stark sind.
Und im Bund?
Beide Regierungsparteien sind in der Defensive. Da sind dann Menschen bereit, in den Grünen Lösungskompetenz zu erkennen, die es nicht gibt. Wer grün wählt, wählt weniger den Inhalt, sondern vor allem Image. Möglicherweise ist es auch populär, die Grünen zu wählen, weil man dann das Gefühl hat, man tue damit selber auch ein bisschen was für die Umwelt. Ein Wahlgang sollte kein Ablasshandel sein, sondern sich danach entscheiden, wo man eine Lösungskompetenz sieht. Die sehen die Menschen im Moment zu wenig bei uns, da liegt unsere Aufgabe.
Soll die Bundes-SPD zur Halbzeitbilanz die Große Koalition in Berlin beenden?
Das hängt davon ab, ob man mit diesem Regierungspartner noch bedeutende Themen umsetzen kann oder nicht. Der Prozess muss jetzt in der SPD geklärt werden. Das wird nicht zu trennen sein von der Frage, wer Vorsitzender wird. Ganz wichtig ist zum Beispiel das Klimaschutzgesetz.