Stuttgart. (dpa) Die SPD ist mit ihrem geplanten Volksbegehren für gebührenfreie Kitas in Baden-Württemberg vor dem Landesverfassungsgericht gescheitert. Das geplante Begehren sei unzulässig, entschied das Gericht am heutigen Montag. Der Vorsitzende Richter Malte Graßhof sagte, der dem Volksbegehren zugrundeliegende Gesetzentwurf sei mit der Landesverfassung nicht vereinbar.
Wie eine Gerichtssprecherin erklärte, verbiete die Landesverfassung Volksbegehren über Abgaben. Der Gesetzentwurf falle darunter, weil er den Kita-Trägern einen Anspruch auf Erstattung geben wolle, wenn sie auf Elternbeiträge verzichteten. Der Entwurf sehe vor, dass die Kita-Träger die Beträge vom Land erstattet bekämen.
Zudem verstoße der Gesetzentwurf gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, der verlangt, dass staatliches Handeln messbar und berechenbar sei. Der Gesetzentwurf sei unklar und widersprüchlich. Das Volk sei nicht in der Lage zu erkennen, über was es genau abstimme. So ergebe sich aus dem Entwurf nicht, wie der Ausgleichsbetrag für den nicht erhobenen Elternbeitrag zu bemessen sei. Ob der Entwurf auch gegen das Staatshaushaltsgesetz verstößt, prüfte das Gericht nicht mehr.
Die SPD hat Anfang 2019 den Startschuss für das Volksbegehren gegeben, um Kitas im Land gebührenfrei zu machen. Sie sammelte die nötigen Unterschriften und reichte einen Antrag auf ein Volksbegehren ein. Das Innenministerium schob dem aber einen Riegel vor und führte damals rechtliche Gründe an: Sollte das Volksbegehren erfolgreich sein, würde dies den Etat des Landes wesentlich beeinflussen. Das Vorhaben der SPD widerspreche dem Grundgesetz und der Landesverfassung, so das Ministerium damals.
Bislang zahlen die Eltern in den Kommunen in Baden-Württemberg für die Betreuung ihrer Kinder unterschiedlich hohe Beiträge. Gäbe es keine Gebühren mehr, müsste das Geld vom Land kommen. Nach Angaben der SPD geht es um etwa 529 Millionen Euro im Jahr, der Gemeindetag geht von einem höheren Betrag aus. Die grün-schwarze Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann lehnte eine generelle Gebührenfreiheit für Kitas ab, weil sie fürs Land zu teuer sei.
SPD-Landeschef Andreas Stoch hatte bereits angekündigt, dass seine Partei das Thema gebührenfreie Kitas weiter vorantreiben will - unabhängig vom Ausgang des gerichtlichen Verfahrens. "Die Gebührenfreiheit bleibt auf unserer politischen Agenda ganz oben und darf auch nicht gegen den weiteren Ausbau von Kitaplätzen und die Qualitätsentwicklung ausgespielt werden", sagte er. "Familien müssen entlastet werden, das gilt nach der Corona-Krise umso mehr."
Stoch zum Streit um Kita-Kosten: "Wir werden nicht Ruhe geben"
Die SPD will trotz der Schlappe weiter für gebührenfreie Kitas kämpfen. Man müsse nun einen Weg suchen, die Gebührenfreiheit über parlamentarische Mehrheiten zu erreichen, sagte Storch. Die SPD wolle in den nächsten Wochen über einen parlamentarischen Vorstoß entscheiden. Mit dem Thema wolle man auch in den Landtagswahlkampf ziehen.
Gerade in Coronazeiten merke man, wie wichtig die Rolle der Kindergärten und Kitas für Familien und die Gesellschaft sei, sagte Stoch. Warum Kitas von Eltern Geld verlangen müssten, sei nicht nachvollziehbar. Er teile die Rechtsauffassung des Gerichts nicht und bedauere das Urteil. Kaum ein Gesetzentwurf, der Volksgesetzgebung sein soll, würde den Anforderungen des Verfassungsgerichts genügen, sagte Stoch. Er befürchte, dass die direkte Demokratie keinen guten Tag erlebt habe.
Update: Montag, 18. Mai 2020, 12.29 Uhr
Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Im Streit um einen Verzicht auf Kita-Gebühren hat der Landes-Verfassungsgerichtshof am Montag beide Seiten gehört. In der Verhandlung befragten Baden-Württembergs oberste Richter einerseits Vertreter der SPD, die Elternbeiträge per Volksbegehren abschaffen will. Auf der anderen Seite erklärte das Innenministerium, warum es das Projekt für unzulässig hält. Das Urteil soll Ende März verkündet werden.
Wenn sie kein Recht bekommen, wollen sie mit den Kita-Gebühren in den Landtagswahlkampf: SPD-Generalsekretär Sascha Binder (l.) und Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch (r.). Foto: Sebastian GollnowEltern in Baden-Württemberg zahlen bislang je nach Kommune unterschiedlich hohe Gebühren für frühkindliche Bildung und Betreuung. Das sei selbst bei sozialer Staffelung ungerecht, erklärte SPD-Landes- und Landtagsfraktionschef Andreas Stoch. Seine Partei hat vor einem Jahr ein Volksbegehren für kostenlose Kinderbetreuung gestartet. Ein Gesetzentwurf soll ermöglichen, dass Kitas und Tagespflegeeinrichtungen eine Grundbetreuung von 35 Wochenstunden gratis anbieten. Die Kosten soll das Land den Trägern erstatten.
Im ersten Schritt hatten 17.000 Menschen das Anliegen unterstützt. Das Ressort von Innenminister Thomas Strobl (CDU) lehnte das Begehren im März 2019 allerdings als rechtlich unzulässig ab. Es verstoße gegen Grundgesetz und Landesverfassung. Gegen diesen Bescheid hat die SPD vor dem Verfassungsgerichtshof geklagt.
In der Verhandlung ging es über weite Strecken um den Begriff "Staatshaushaltsgesetz". Die Landesverfassung nimmt nämlich "das Staatshaushaltsgesetz" von der Volksgesetzgebung aus. Das Innenministerium folgert daraus, dass Vorhaben, die wesentliche Folgen für die Landesfinanzen haben, per se nicht zulässig sind.
Anwalt Winfried Porsch verwies auf Urteile in anderen Bundesländern – in denen, wie Stoch konterte, die Ausnahmen aber allgemeiner formuliert sind. "Das Staatshaushaltsgesetz" hingegen sei eben nicht die Menge aller Gesetze, die etwas kosten, sondern lediglich das Gesetz, in dem der Landtag den Haushalt beschließt.
Wo das Gericht sich hier positionieren wird, war dem Verhandlungsverlauf nicht zu entnehmen. "Ganz einfach ist das sicherlich nicht", erklärte der Vorsitzende Richter Malte Graßhof, Präsident des Verfassungsgerichtshofs. Für ihren Plan kalkuliert die SPD mit Kosten von 529 Millionen Euro im Jahr, die Kommunen rechnen eher mit 730 Millionen.
Gerungen wurde auch um die Definition des Begriffs "Abgabengesetz", denn auch ein solches wäre der Volksgesetzgebung entzogen. Der SPD-Entwurf schreibt den Kommunen nicht vor, wie sie mit Kita-Gebühren umzugehen haben. Er macht lediglich ein Angebot für den Fall, dass sie darauf verzichten. Die Partei sieht deshalb darin ein Finanzierungs- und kein Abgabengesetz.
Größeren Raum in Anspruch nahm schließlich die Debatte darüber, ob der Gesetzentwurf hinlänglich bestimmt ausgeführt sei. Der Text lässt zwar vermuten, dass Kita-Träger einen Anspruch auf tatsächliche Gebührenerstattung hätten. Stoch räumte aber ein, dass zumindest mittelfristig kaum ein Weg an pauschalen Berechnungsverfahren vorbeiführt.
In der Praxis soll die gemeinsame Finanzkommission Regelungen finden, also das Verhandlungsgremium von Land und Kommunen. Bei Volksbegehren sei es vollkommen legitim, die Lösung von Folgeproblemen dem parlamentarischen Gesetzgeber und dem Verwaltungsapparat anzuvertrauen, sagte SPD-Anwalt Joachim Wieland.
Der Verfassungsgerichtshof will seine Entscheidung voraussichtlich am 30. März verkünden. Sollte er das Volksbegehren für zulässig erklären, könnte es in eine Volksabstimmung münden. Wenn die SPD vor Gericht scheitert, will sie die Kita-Gebühren im Landtagswahlkampf zum Thema machen.
Das müssen Sie kompakt wissen
Die wichtigsten Argumente, Fragen und Antworten rund um das Volksbegehren kompakt auf einen Blick:
> Was sind Volksbegehren und Volksabstimmungen? Mit einem Volksbegehren können Bürger ein Thema anstoßen. Ein Volksbegehren kann in eine Volksabstimmung münden, also in die Befragung der Bürger. Die Hürden dafür hat die grün-rote Vorgängerregierung 2015 gesenkt, um mehr direkte Demokratie in Baden-Württemberg zu ermöglichen. Bislang gab es im Südwesten keine von Bürgern initiierte Volksabstimmung. Die Abstimmung über das Bahnprojekt Stuttgart 21 im Jahr 2011 hatte die Landesregierung selbst auf den Weg gebracht.
> Was will die SPD? Die SPD hat vor einem Jahr den Startschuss für ein Volksbegehren gegeben, um Kitas gebührenfrei zu machen. Sie sammelte rund 10 000 Unterschriften und reichte einen Antrag auf ein Volksbegehren beim Innenministerium ein. Bislang zahlen die Eltern in den Kommunen im Südwesten für die Betreuung ihrer Kinder unterschiedlich hohe Beiträge. Hingegen sind die Kitas etwa in Rheinland-Pfalz für Kinder ab zwei Jahren gebührenfrei. Gäbe es keine Gebühren mehr, müsste das Geld aus dem Landesetat kommen. Nach Angaben der SPD geht es um etwa 529 Millionen Euro im Jahr - der Gemeindetag geht von einem höheren Betrag aus. Fallen die Gebühren weg, sollen nach dem Willen der SPD sowohl kommunale, als auch kirchliche und private Kita-Träger die finanziellen Beträge vom Land erstattet bekommen.
> Wie entschied das Innenministerium? Die grün-schwarze Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) lehnt eine generelle Gebührenfreiheit für Kitas ab, weil das fürs Land zu teuer sei. Das CDU-geführte Innenministerium schob dem Volksbegehren einen Riegel vor und führte rechtliche Gründe an: Sollte das Volksbegehren erfolgreich sein, würde das den Etat des Landes wesentlich beeinflussen. Zudem seien auch keine Volksbegehren über Abgabengesetze möglich. Das Vorhaben der SPD widerspreche dem Grundgesetz und der Landesverfassung. Denn in der Landesverfassung heißt es im Artikel 59: "Über Abgabengesetze, Besoldungsgesetze und das Staatshaushaltsgesetz findet keine Volksabstimmung statt."
> Was hält die SPD dagegen? Die SPD argumentiert, dass es bei der von ihr angepeilten Gesetzesänderung für kostenlose Kitas im Südwesten nicht um das Staatshaushaltsgesetz gehe. Das von der SPD formulierte Änderungsgesetz sei auch kein Abgabengesetz. Landeschef Andreas Stoch erklärte mehrfach: "Wenn direkte Demokratie kein Geld kosten darf, können Sie sie gleich abschaffen."
> Was passierte vor Gericht? Die beiden Seiten tauschten noch einmal ihre Argumente aus. Die Richter stellten dabei auch viele Fragen zur konkreten Umsetzung des Gesetzentwurfs, der dem geplanten Volksbegehren zugrunde liegt. Was ist, wenn eine Kita teuer modernisiert wird und mehr Leistungen anbietet? Was ist, wenn eine Gemeinde heute schon keine Kita-Gebühren erhebt - bekommt die dann keinen finanziellen Ausgleich? Die SPD erklärte, dass es ihr erst einmal nur grundsätzlich um die Gebührenfreiheit gehe. Details müssten dann ausgehandelt werden.
> Wann gibt es eine Entscheidung? Das Gericht will am 30. März dieses Jahres eine Entscheidung verkündet werden. Sollte der Verfassungsgerichtshof der SPD recht geben, will die Partei nach Angaben ihres Generalsekretärs Sascha Binder so schnell wie möglich das Volksbegehren auf den Weg bringen. Unter Beachtung diverser Fristen würde eine mögliche Volksabstimmung dann in die Zeit des Landtagswahlkampfes fallen. Sollte die SPD vor Gericht scheitern, will sie das Thema Kita-Gebühren ebenfalls in den Landtagswahlkampf ziehen. Die Wahl ist im März 2021.