Kontaktnachverfolgung, Hygieneberatung, Betreuung von Infizierten oder – wie hier in Berlin – die Einrichtung von Corona-Abstrichzentren: Die Mitarbeiter der Gesundheitsämter haben inmitten der Pandemie extrem viel zu tun. Und viele Stellen sind unbesetzt. Foto: Britta Pedersen
Von Sören S. Sgries
Stuttgart/Heidelberg. Wer sich derzeit auf dem offiziellen Stellenportal des Landes Baden-Württemberg umsieht, darf staunen: Im Zollernalbkreis, in Ulm, in Ludwigsburg, in Böblingen werden neue Leiter für die Gesundheitsämter gesucht. Eine Stellvertreterstelle ist unter anderem in Mosbach ausgeschrieben. Und auch sonst fehlt offenbar reichlich medizinisches Personal auf diversen Ebenen der Landesverwaltung. Hintergründe zur Lage in den Gesundheitsämtern.
Warum gibt es derzeit so viele offene Stellen bei den Gesundheitsämtern? Viele Stellen waren schon zuvor unbesetzt. So waren bereits im September 2019 von 406,5 Stellen Arztstellen im höheren Dienst nur 345,4 Stellen besetzt, 61,1 Stellen nicht. Hinzu kommt, dass im Rahmen des Corona-Krisenmanagements zahlreiche neue Stellen geschaffen werden, die jetzt besetzt werden sollen. Gerade in der Führungsebene ist es laut Sozialministerium zudem schon seit geraumer Zeit nicht einfach, die vakanten Stellen zu besetzen. Das sei durch Corona nicht einfacher geworden.
Gab es viele Personalabgänge, die die Lage zusätzlich verschärfen? Nein, sagt das Sozialministerium. Eine ungewöhnlich hohe Fluktuation habe es während der Corona-Zeit in den Gesundheitsämtern nicht gegeben – auch nicht auf Führungsebene.
Wie sieht die personelle Ausstattung der Gesundheitsämter derzeit aus? Zum Stichtag 31. März waren in den Gesundheitsämtern insgesamt 52,5 Stellen für ärztliches Personal unbesetzt – 13 Prozent der Stellen. Inzwischen sind laut Ministerium von 421,5 Ärztestellen 41,6 unbesetzt – also 9,8 Prozent.
Ist eine Aufstockung notwendig? Ja, sagt das Sozialministerium. In einer Kabinettsvorlage zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), mit der sich der Ministerrat am 21. Juli befasste, heißt es: "Eine zweite Pandemiewelle kann vom ÖGD nicht bewältigt werden." Schon in der Hochphase der ersten Welle konnte demnach die Kontaktpersonennachverfolgung – trotz Personalverstärkung aus anderen Behörden und Überstunden "in kaum vertretbarem Umfang" – "nicht mehr umfassend gewährleistet werden". Dies sei "eine der wesentlichen Ursachen für die allgemeinen Beschränkungsmaßnahmen" gewesen. "Um ein solches Szenario zukünftig zu verhindern ist eine sofortige Verstärkung des ÖGD nötig."
Wie viele Stellen werden geschaffen? Mit dem Beschluss vom 21. Juli machte das Kabinett den Weg frei für insgesamt 227,5 neue Stellen, die den Gesundheitsdienst stufenweise stärken sollen. 16 weitere Stellen wurden bereits "im Rahmen des Notbewilligungsrechts" geschafft. Bei den neuen Stellen liegt der Schwerpunkt in den Gesundheitsämtern, aber auch die Regierungspräsidien, das Landesgesundheitsamt und das Sozialministerium selbst sollen gestärkt werden. In einer ersten Stufe sollen noch vor dem Herbst (für die Einarbeitung vor der zweiten Pandemiewelle) insgesamt 96,5 neue Stellen besetzt werden – davon 74 in den Gesundheitsämtern der Stadt- und Landkreise, die je nach Einwohnerzahl zwischen 1,5 und 3,0 neue Stellen schaffen sollen. Das Ministerium bekommt 15,5 Stellen. Für den nächsten Nachtragshaushalt 2020/21 sind weitere 131 Stellen in den Gesundheitsämtern vorgesehen.
Gibt es ausreichend Bewerber für die Stellen? Vermutlich nicht. Das Sozialministerium warnt bereits in der Kabinettsvorlage vor der "extrem schwierigen Personalgewinnung" in diesem Bereich. Es gebe eine "weitüberdurchschnittlich hohe Fluktuation aufgrund attraktiver Angebote außerhalb der Landesverwaltung". Ein Job im Gesundheitsamt galt für ausgebildete Ärzte bisher nicht unbedingt als attraktives Karriereziel. Die Vorzüge, mit denen der öffentliche Dienst werben könne – "regelmäßige und flexible Arbeitszeiten, Telearbeit, frei gestaltbarer Teilzeitumfang" –, würden inzwischen auch in Kliniken angeboten, erklärte das Ministerium bereits vor einem Jahr. Und damals spielte die Corona-Belastung noch keinerlei Rolle.
Wie soll dann Personal gefunden werden?Schon jetzt gibt es konkrete Überlegungen, wie das weitere Vorgehen aussieht, sollte eine aktuelle Ausschreibung für die Nachbesetzung von insgesamt 84 Stellen, die in Kürze im Ärzteblatt erscheinen soll, nicht erfolgreich sein: Dann werde diese weiter gefasst, so dass auch andere Professionen wie Biologen und Gesundheitswissenschaftler sich bewerben können. Laut einer Sprecherin des Sozialministeriums seien zudem Gespräch mit dem Finanzministerium vorgesehen, wie der öffentliche Gesundheitsdienst auch finanziell attraktiver werden könnte für Mediziner.
Was kostet die Personalaufstockung? Funktioniert alles wie geplant, geht das Land von jährlichen strukturellen Mehrkosten von rund 19 Millionen Euro aus – überwiegend sind das Personalkosten.