Fachkräftemangel bereitet große Sorgen
Die Landesregierung greift dem Handwerk in Baden-Württemberg unter die Arme.
Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Als Baden-Württembergs grün-schwarze Koalition zum Jahreswechsel den Haushalt für 2022 verabschiedet hat, überwogen die kritischen Stimmen: Lehrergewerkschaften beklagten zu wenige neue Deputate, Sozialverbände zu wenig Geld für Bedürftige, Oppositionspolitiker zu wenig Aufbruch. Auffallend wohlwollend äußerte sich dagegen der Baden-Württembergische Handwerkstag. "Viel Unterstützung für das Handwerk", konstatierte der Verband zufrieden. Es sei erfreulich, dass die Zukunftsinitiative "Handwerk 2025" ausgeweitet werde, das sei "ein starkes Zeichen, dass die Politik die Situation der Betriebe ernst nimmt", begrüßte Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold die im Haushalt hinterlegten Pläne zur Stärkung der Branche.
Das Lob kommt nicht von ungefähr: Die Initiative Handwerk 2025 ist ein gemeinsames Projekt der Stuttgarter Regierungskoalition und des Handwerkstags. Dafür nimmt das Land in diesem Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag in die Hand. Aus guten Gründen: Die ambitionierten Ziele in der Energie- und Klimapolitik kann Grün-Schwarz nur verwirklichen, wenn für energetische Gebäudesanierungen oder für die praktische Umsetzung der Solarpflicht vor Ort auch genügend Handwerker bereitstehen. Gleichzeitig wissen viele Handwerksbetriebe im Land aktuell weder, wie sie die in den nächsten Jahren anstehende Unternehmensnachfolge regeln können noch wie sie den Bedarf an Fachkräften decken sollen. Dem Sprichwort nach hat das Handwerk goldenen Boden, die Auftragslage stützt die These durchaus. Doch angesichts der Personalsorgen ist dieser Boden inzwischen löchriger als es der Politik lieb sein kann.
"Eins ist klar: Das Handwerk hat die Aufgabe, die politischen Ziele vor Ort umzusetzen", sagt der Heidenheimer Grünen-Abgeordnete Martin Grath. So könne die jüngst beschlossene Solarpflicht ohne das Handwerk nicht umgesetzt werden, auch energieeffizientes Bauen wäre nicht möglich. Die Wohnungsknappheit würde weiter steigen, die Klimaziele würden mit hoher Wahrscheinlichkeit verfehlt werden, verweist er auf die drohenden Folgen. "Erst das Handwerk setzt die Pläne in die Tat um: von Wohnen, Holzbau, Gebäudesanierung bis zur Nahversorgung." Um dies Mammutaufgaben zu bewältigen, wolle man das Handwerk auf stabile Beine stellen, so Grath. Dabei soll die in Zusammenarbeit mit den Handwerksbetrieben entwickelte Initiative helfen. "Mit dem Programm ‚Handwerk 2025‘ entwickeln wir Leitplanken für die Arbeitswelt der Zukunft. Dahinter stecken gemeinsame Tools, Beratungsleistungen und Marketingideen, die insbesondere kleinen und mittleren Handwerksbetrieben helfen sollen", sagt der Biberacher CDU-Abgeordnete Thomas Dörflinger.
Das aktuell größte Problem ist der Fachkräftemangel. Laut einer im dritten Quartal 2021 durchgeführten Umfrage des Handwerkstags wollen 37 Prozent der baden-württembergischen Betriebe – im Baugewerbe sind es sogar 53 Prozent – 2022 Fachkräfte einstellen. Doch der Markt ist leergefegt: Drei Viertel der Befragten gaben an, dass geeignetes Personal trotz starker Bemühungen nicht zu finden sei. Dazu kommt die offene Frage der Unternehmensnachfolge: Nach einer aktuellen Studie des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen brauchen 2022 im Handwerk bundesweit bis zu 24.000 Betriebe eine Nachfolgeregelung, bis 2025 wird die Zahl auf bis zu 125.000 wachsen. Dabei schätzen viele Inhaber die Chancen für eine Übernahme ihres Betriebs eher niedrig ein.
Auch interessant
Das Land will hier mit der Meistergründerprämie gegensteuern. Die Prämie können Jungmeister beantragen, die sich in Baden-Württemberg selbstständig machen und innerhalb von 24 Monaten nach ihrer Meisterprüfung die Darlehensförderung bei der L-Bank beantragen. Dafür sowie für die Meisterprämie für Absolventen einer Meisterprüfung in Höhe von 1500 Euro sind im Haushalt 2022 insgesamt 5,5 Millionen Euro eingestellt. Weitere 9,0 Millionen Euro sind an Zuschüssen für die außer- und überbetriebliche Berufsausbildung eingeplant.