Schmetterlinge sammeln: Grausam – oder wichtig, um Interesse an den Arten zu entwickeln? Das Bild zeigt die Sammlung im Naturhistorischen Museum auf der Heidecksburg in Rudolstadt (Thüringen). Foto: Jan-Peter Kasper
Von Martin Oversohl
Stuttgart. Vielleicht erinnern Sie sich noch, wie Sie früher mal einen Frosch gefangen und mit nach Hause genommen haben, um ihn im Einmachglas zu beobachten. Eventuell hatten Ihre Eltern ja auch einmal eine eingerahmte Schmetterlingssammlung an der Wand, gefüllt mit Exemplaren, die sie zuvor gesammelt, bestimmt und dokumentiert hatten. Heute untersagt das Artenschutzgesetz diese Ausflüge in die eigene Erforschung der Natur.
Genau das könnte nach Ansicht von Wissenschaftlern ein Grund sein, warum immer weniger Menschen eine Ahnung haben von der Artenvielfalt und einen Distelfalter nicht von einem Bläuling unterscheiden können.
Eine Lappalie? Nein, ein gewaltiges Problem, meint der baden-württembergische Landesnaturschutzverband (LNV). "Die Lehre der Arten ist das Einmaleins der gesamten Biologie", erklärt der Dachverband von 33 Umwelt- und Naturschutzgruppen. Der Zustand der Natur könne ohne fundierte Artenkenntnis nicht beurteilt werden. "Nur was man kennt, kann man wertschätzen und schützen", mahnt der LNV.
Doch das Wissen um die Vögel und Amphibien, Insekten und Pflanzen haben nur noch wenige. "Artenkenner stehen heute auf der "Roten Liste" aussterbender Berufe", beklagt Albert Reif, ehemaliger Experte für Standorts- und Vegetationskunde der Universität Freiburg. Eine vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Auftrag gegebene Befragung von 70 Artenkennern ergab bereits 2014 einen Rückgang der Artenkenner um 21 Prozent in den vergangenen 20 Jahren. Kaum ein Artenkenner ist unter 30 Jahre alt.
Bei Kindern und Jugendlichen werde eine frühe Begeisterung oft im Keim erstickt, es gebe viel zu wenige Förderer und Angebote, bemängelt der Karlsruher Schmetterlingsforscher Robert Trusch. Außerdem fehlten die Erlebnisräume zum Entdecken. In den Schulen und Universitäten werde der speziellen Kenntnis von Pflanzen und Tieren immer weniger Bedeutung beigemessen.
Trusch klagt vor allem über das Artenschutzgesetz des Bundes, das die Entnahme besonders geschützter Arten ohne Behördenerlaubnis verbietet. Kinder und Jugendliche könnten sich heute nicht mehr unbeschwert mit freilebenden Tieren befassen und sie mit nach Hause nehmen. Eltern machten sich sogar strafbar, wenn sie dies bei ihren Kindern zuließen.
Die Wirtschaft bekommt diese Folgen ebenfalls zu spüren: Denn bei großen Bauprojekten wie Stuttgart 21 und bei der Entwicklung von Schutzgebieten sind Fachleute mit Artenkenntnissen wichtig. "Behörden und Gutachterbüros suchen händeringend nach Spezialisten, die in der Lage sind, artenreiche Tiergruppen zum Beispiel für ein Insekten-Monitoring zu bearbeiten", sagt der Stuttgarter Insektenkundler Lars Krogmann.
Das Wissen um die Arten soll jetzt per Förderprogramm wiederbelebt werden. "Zentral ist die Vermittlung von Artenkenntnis in Schulen", kündigte LNV-Verbandspräsident Gerhard Bronner am Montag an. Mit Schulgärten und Exkursionen, Lehrerfortbildungen und im Dialog mit Hochschulen wollen die Naturschützer das Wissen verbessern.
Mit einem Kompetenzzentrum für Artenvielfalt will auch die grün-schwarze Landesregierung das Bewusstsein stärken. Getragen werden soll die Einrichtung vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart und der Universität Hohenheim. Ziel ist es, Forschung und Lehre zu fördern und das Wissen einem breiten gesellschaftlichen Publikum zu vermitteln.