Von Sören S. Sgries
Heidelberg/Stuttgart. Winfried Kretschmann klang unglücklich. "Mir fehlt der öffentliche Auftritt", sagte der Ministerpräsident kurz vor Weihnachten den "Stuttgarter Nachrichten". Videoformate hätten "immer etwas Steriles".
Die Lust auf den persönlichen Kontakt zum Bürger mag bei einem Politiker, erst recht bei einem Spitzenpolitiker, sympathisch sein. Nur: Im Wahljahr 2021 wird es absehbar keine direkten Begegnungen geben können – nicht bis zur Landtagswahl am 14. März. Werden es also "Wahlen ohne echten Wahlkampf", wie Kretschmann orakelte?
Einer, der lebhaft und ausdauernd von den Wahlkampfvorbereitungen erzählen kann, ist CDU-Generalsekretär Manuel Hagel. Der 32-Jährige schaltet sich direkt von der verschneiten Alb zu, aus seinem Heimatwahlkreis. Pressesprecherin Susanne Stehle (25) verfolgt das Gespräch vom Schreibtisch in der Stuttgarter Parteizentrale aus.
Ein Kreuz, zwei Stimmen - Folge 1: Ein ganz besonderer Wahlkampf – mit "Facebook-Politiker" Boris Palmer
Moderation: Sören Sgries und Alexander Rechner / Schnitt und Produktion: Reinhard Lask
Für Hagel wäre dieser Wahlkampf auch ohne Corona ein penibel vorbereiteter Feldzug. Unmittelbar nach der Wahlpleite 2016, als die Südwest-CDU plötzlich hinter den Grünen nur noch zweitstärkste Kraft im Ländle war, habe man mit der Vorbereitung begonnen, berichtet er. Der frisch gewählte "General", gelernter Banker, ließ zunächst die Wahlen 2011 und 2016 analysieren. "Dieser ehrliche Blick hat uns etwas zugemutet", so Hagel.
Zerschlagen wurde die Illusion, lediglich Fukushima (2011) und die Flüchtlingskrise (2016) hätten die CDU aus den Regierungsämtern getrieben. Eine weitere Erkenntnis: Ein klassischer "Oppositionswahlkampf" funktioniert für die Partei nicht – dafür trägt und trug man zu viele Jahrzehnte selbst die Verantwortung. Als klar war, was nicht gut lief, stand auch die erste Konsequenz fest: "Wir haben uns eine neue und andere Struktur gegeben."
Die Parteizentrale, die Landesgeschäftsstelle in Stuttgart, wurde komplett umgebaut. Zentrale Neuerung: Hier wird jetzt auch "strategisch" gearbeitet, also an den großen Linien. Was selbstverständlich klingt, war es nicht: Die Regierungspartei, die seit 1953 die Ministerpräsidenten stellte, hatte sich daran gewöhnt, dass viele Vorarbeiten im Staatsministerium und den CDU-geführten Fachressorts geleistet wurden. Mit dem Regierungswechsel 2011 brachen diese Verbindungen ab.
Die personellen Konsequenzen: Das insgesamt 15 Personen starke Team wird in den letzten Jahren jünger, weiblicher. Engagierte Wahlkämpfer werden aus der ganzen Bundesrepublik abgeworben, um die neuen Strukturen auch mit neuen Ideen zu füllen. Und, in Pandemiezeiten besonders wichtig: Es gibt jetzt auch eine fünf Köpfe starke "Digitalabteilung".
Noch im letzten Wahlkampf hatten Verantwortliche selbst Facebook für irrelevant gehalten. CDU-Wähler seien da eh nicht zu finden, hieß es schulterzuckend. "Die Welt hat sich verändert und die CDU mit ihr", bleibt Hagel diplomatisch. Das Digitalbudget hat sich im Vergleich zu 2016 verzwanzigfacht. Insgesamt stehen seitens des Landesverbands für den kompletten Wahlkampf rund 2,5 Millionen Euro zur Verfügung.
Zeit für einen Blick zur Konkurrenz, zu den Grünen. Auch Parteichefin Sandra Detzer (40), ihre Sprecherin Silvie Wemper und Tim Kohlen trifft man – zeitgemäß – digital. Der 28-Jährige betreut für die Ökopartei die Sozialen Netzwerke. Die Grünen sind mit einem festen Online-Team von drei Personen zwar nicht ganz so stark aufgestellt wie die CDU. Auch das Budget ist etwas kleiner – rund 1,6 Millionen Euro nimmt die Partei für den Wahlkampf in die Hand. Ein bisschen etwas davon für die Einrichtung eines kleinen "TV-Studios", das auch Kandidierenden aus dem ganzen Land für professionelle Videos und Veranstaltungen zur Verfügung stehen soll. Guter Sound. Gutes Bild. Auch CDU und SPD setzen auf solche Angebote.
Ja, am Online-Wahlkampf führt in diesem Winter kein Weg vorbei. "Der Zweck des Wahlkampfs bleibt aber der selbe", sagt Detzer. "Bürgerinnen und Bürger von grünen Visionen überzeugen. Was sich ändert, sind die Wege."
Eine der Herausforderungen für die Grünen: Ihr 72-jähriger Spitzenkandidat ist alles andere als ein "digital native". Kretschmann philosophiert lieber, als dass er twittert. Dort, wo er sich online präsentiert, übernimmt das der Mitarbeiterstab – beispielsweise auf der Facebook-Seite mit 74.000 Abonnenten. Aber es gebe auch Formate für "Kretsch", ist Detzer überzeugt. Sie müssten halt unterstreichen, was ihn als Person ausmache. Ein Beispiel? Detzer verweist auf den Podcast "Sonntagsausflug". "Dieser Podcast ist Gold wert", schwärmt sie. "Da kann er ausführlich Dinge erklären – das wäre in der analogen Welt bei keiner Veranstaltung möglich." Und auch andere digitale Formate will sie nicht verdammen. Im Gegenteil. "Online-Formate bieten die Chance, einfach mal vorbeizuschauen." Man erreiche mehr Leute. Und andere Leute.
Zurück zu Kretschmanns Herausfordererin. Susanne Eisenmann ist zwar 16 Jahre jünger, doch auch sie fremdelte lange mit den Sozialen Netzwerken – zumindest als öffentliche Person. Ein Facebook-Profil? Gibt es erst seit Oktober 2019, seit sie Spitzenkandidatin ist. Kretschmann war neun Jahre eher online. Dafür ist die CDU-Frau inzwischen umso präsenter. Zahlreiche Kampagnen hat ihr Team auf die Beine gestellt, um die Reichweite zu stärken – auch bei Instagram. Über 30.000 Euro, das verrät die Facebook-Werbebibliothek, sind auf den Portalen in den letzten zwei Jahren in Anzeigen geflossen. Bei den Grünen war es nur ein Drittel der Summe.
Zunächst wurde die Werbung, so verrät CDU-Generalsekretär Hagel, sehr breit gestreut. Um viele Menschen zu erreichen. Dann nutzte man die Möglichkeiten zum passgenaueren Werben, ließ etwa Kampagnenbeiträge zur Stuttgarter Krawallnacht oder zur Ganztagsbetreuung ganz gezielt Leuten anzeigen, die sich dafür interessieren könnten. "Wenn uns Leute aus Hamburg oder Schleswig-Holstein unterstützen, freuen wir uns", so Hagel. "Wir haben aber eine Landtagswahl in Baden-Württemberg zu gewinnen."
Die Zahlen jedenfalls stimmen: 21.000 Abonnenten bei Facebook, 2500 bei Instagram. Für einen Start bei Null passt das. Und Hagel verweist auch auf einzelne Abgeordnete, beispielsweise Willi Stächele, mit 69 Jahre ältester CDU-Kandidat im Land: "Wenn Sie sich die Facebook-Seite anschauen, wie die sich entwickelt hat in den letzten Monaten: Da geht richtig was!"
Doch was, wenn die gewünschte Botschaft im Netz nicht verfängt? Wenn es also nicht heißt, Eisenmann sei "klug, intelligent, jemand, der die Ärmel hochkrempelt und anpackt"? Eine "Macherin"? Was, wenn statt wohlmeinender "Likes" nur gehässige "Shitstorms" auf die Kandidaten niederprasseln?
"Dass uns ein Thema wie die Schuldebatte dort begegnet, ist völlig normal", gibt sich Hagel gelassen. Gelöscht werde "seltenst". "Wir ducken uns vor der Kritik nicht weg. Wir gehen zum Beispiel bei unseren Live-Formaten direkt darauf ein." Ähnlich die Haltung der Grünen.
Ob das hält? Denn bei aller Vorbereitung: Welche Dynamiken ein Wahlkampf entwickelt, lässt sich schwer vorhersehen – erst recht nicht im Internet.