Kleinunternehmer wehren sich gegen Rückforderungs-Bescheide
Ist der Ehrliche am Ende der Dumme? Es liegen schon mehrere Tausend Widersprüche vor.

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Als Mitte März 2020 der erste Corona-Lockdown begann, fing für Kim Burkhardt und unzählige weitere Selbstständige und Kleinunternehmer das große Zittern an. Ihren Laden für handgefertigte Dekorationsartikel, "Kim’s kleine Glückswerkstatt" in Niefern-Öschelbronn (Enzkreis), musste Kim Burkhardt aufgrund der staatlichen Vorgaben bis Anfang Mai 2020 schließen. Für sie hieß das: 1,5 Monate ohne Umsätze bei weiterlaufenden Kosten.
Etwas Hoffnung versprach da die von der Landesregierung aufgelegte Corona-Soforthilfe: Bis zu 9000 Euro konnten Soloselbstständige und Kleinunternehmer mit bis zu fünf Angestellten beantragen. Bei sechs bis zehn Angestellten waren bis zu 15.000 Euro Soforthilfe möglich, bei mehr als zehn Angestellten bis zu 30.000 Euro.
Die Dankbarkeit über die Unterstützung ist bei vielen Kleinunternehmern in Enttäuschung und Wut umgeschlagen, seitdem das Land über die damit betraute L-Bank eine Schlussabrechnung angefordert und in der Folge in rund der Hälfte der Fälle Rückzahlungsbedarf reklamiert hat. Auch Kim Burkhardt ist betroffen. Sie soll die vollen 9000 Euro zurückzahlen, weil sie wie viele andere die Umsatzausfälle des Lockdown-Monats März 2020 gar nicht geltend machen konnte.
Als Beginn des dreimonatigen Förderzeitraums gilt in Baden-Württemberg – abweichend von anderen Bundesländern – frühestens der Tag der Antragstellung. Viele warteten in der neuen, ungewissen Lage 2020 aber erstmal ab. Jeder zweite Empfänger beantragte die Hilfe erst im April 2020 oder später, wie aus einer Antwort von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) auf eine Anfrage des FDP-Wirtschaftsexperten Erik Schweickert hervorgeht.
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Die Corona-Soforthilfen waren zudem das einzige der vielen Hilfsprogramme, das nicht durch prüfende Dritte, sprich Steuerberater, beantragt werden mussten. Vielen mit solchen Anträgen unerfahrenen Kleinunternehmern war aber unklar, dass überhaupt eine Rückzahlung vorgesehen war.
Kim Burkhardt hat die Umsätze vom Frühjahr nie wieder reingeholt, sie findet das ganze Verfahren unfair und ungerecht. "Für die Großunternehmen stellt die Politik Milliarden bereit, uns Kleinunternehmen gängelt man." Andere Bundesländer seien kulanter, und im Handel laufe es immer noch nicht rund. "Jetzt kommt schon die nächste Krise." Sie will sich aber nicht unterkriegen lassen. Gegen die Rückzahlungsaufforderung hat sie Widerspruch eingelegt.
Die Selbstständige aus dem Enzkreis ist damit nicht allein, es liegen schon mehrere Tausend Widersprüche vor. Laut Wirtschaftsministerium sind die Corona-Soforthilfen des Landes 248.000 Mal beantragt worden, das Volumen betrug 2,4 Milliarden Euro. Bis zum Stichtag 31. August 2022 haben 178.000 Betroffene eine Rückmeldung in Form einer Abschlussrechnung abgegeben. Bei 90.000 davon, also gut der Hälfte, hat die L-Bank ein Rückzahlungsbedarf im Gesamtvolumen von rund 600 Millionen Euro festgestellt.
Wie viele Kollegen habe er allen Mandanten geraten, vorsorglich Widerspruch gegen Rückzahlungsforderungen einzulegen, sagte der Präsident der Steuerberaterkammer Nordbaden, Johannes Hurst, dieser Zeitung. Auch bundesweit sind viele Klagen anhängig, allein 500 am Verwaltungsgerichtshof Düsseldorf. Das Gericht hat in ersten Urteilen Rückzahlungsbescheide des Landes Nordrhein-Westfalen für rechtswidrig erklärt. Kritiker halten die Sachverhalte in NRW und Baden-Württemberg für vergleichbar.
Ein weiterer Angriffspunkt ist der Umgang mit den rund 60.000 Corona-Soforthilfe-Empfängern, die keine Schlussabrechnung vorgelegt haben. "Nach aktuellem Planungsstand" soll dieser Kreis "Gegenstand einer nachträglichen Prüfung werden, über die es derzeit Abstimmungen der Länder mit dem Bund gibt", so Hoffmeister-Kraut in ihrer Antwort auf die FDP-Anfrage. Kritiker bezweifeln indes, dass die L-Bank im Zweifel überhaupt die Kapazitäten hätte, alle 60.000 Nicht-Rückmelder zu prüfen.
"Der Ehrliche ist der Dumme!", fürchtet deshalb FDP-Wirtschaftsexperte Schweickert. "Wer pflichtgemäß eine Abschlussrechnung zu seiner Soforthilfe vorgelegt hat und ein Rückzahlungsbedarf festgestellt wurde, muss nun zahlen. Wer aber die Aufforderung ignoriert hat, kommt vermutlich um eine Rückzahlung umhin." Bisher sei nämlich völlig unklar, was die Landesregierung mit diesen Fällen vorhabe oder wie sie die vorgelegten Berechnungen überprüfen wolle.



