Ist eine weitere Spielstätte wirklich nötig?
In der Freien Szene sorgt man sich um Abstriche bei der kulturellen Vielfalt.

Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Stimmen die Zahlen, dann stimmt auch der Rest. Nach dieser simplen Formel beurteilt die Mehrheit im Heilbronner Gemeinderat und ebenso die Verwaltung das Theater Heilbronn. Liegt dessen Jahresbericht vor, wird er meist nur durchgewinkt, es ist ja alles ok. Bestenfalls am Rand der Wahrnehmung im Rathaus findet sich das, was man die "Freie" oder auch "Alternative" Kunstszene nennt, fatal minimiert als "Kleinkunst". Ohne Theater ist eine Stadt ziemlich tot, es darf und soll auch Geld kosten; es ist auch nicht zu inkriminieren, dass das Theater Heilbronn als große Institution über eine komfortable pekuniäre Basis verfügt, wohl aber das, was sich randständig dazu tut.
Einmal schon, in den 1960er- und vor allem den 70er-Jahren, hat das Theater die Bevölkerung gespalten. Damals ging es darum, wo und wie und ob überhaupt die Stadt ein neues Theater erhalten soll. Eine knappe, doch umso erbitterter ablehnende Mehrheit im Gemeinderat, vor allem aus der CDU, konnte dann doch nicht verhindern, dass das Theater mit der einzigen notwendigen Mehrheitsstimme – sie kam ausgerechnet aus deren Reihen – doch gebaut wurde. An dieses gern vergessene Kapitel erinnert man sich jetzt wieder – unter umgekehrten Vorzeichen: zu viel Geld und Raum für die einen und zu wenig davon für die anderen.
Hintergrund
> Zuschüsse für die Freie Szene: Das "Heilbronner Leibgerücht" um Hanne Jacobi residiert im Kulturkeller (im DGB-Haus) und erhält einen jährlichen Barzuschuss in Höhe von 2500 Euro, der Jazzclub "Cave61" erhält einen jährlichen Barzuschuss von 27.000 Euro für die
> Zuschüsse für die Freie Szene: Das "Heilbronner Leibgerücht" um Hanne Jacobi residiert im Kulturkeller (im DGB-Haus) und erhält einen jährlichen Barzuschuss in Höhe von 2500 Euro, der Jazzclub "Cave61" erhält einen jährlichen Barzuschuss von 27.000 Euro für die Gastspiele (hat keine eigene Band). Das Kindertheater "Radelrutsch" bekommt jährlich 115.000 Euro, es spielt in der "Boxx" des Theaters Heilbronn. Die "Zigarre" in der Bahnhofsvorstadt wird mit einem Sachleistungszuschuss in Höhe von 93.500 Euro unterstützt. Selbst der Interessenkreis "Heimatgeschichte" bekommt 5000 Euro und "Heimat und Brauchtumspflege 6500 Euro. Diese Zahlen hat Erhard Jöst als Stadtrat mit entsprechendem Einblick zusammengetragen. (bfk)
Von den Protagonisten der Freien Szene reagieren nun einige – nachdem Corona ihre Existenz ganz oder fast vernichtet hat – besonders empfindlich darauf, dass das Theater Heilbronn, als krisenfest subventioniertes Haus, als vierte Spielstätte, die Räume erhält, die ihnen bislang zur Verfügung standen: Aus der "Ebene 3" im Komplex K 3, seit 2004 ein Ort von Musik-, Kabarett- und Kneipenkultur, wird jetzt der "Salon 3" des Theaters. Damit geht wieder ein Stück Kulturvielfalt flöten, und das spaltet.
Erhard Jöst, Stadtrat der Linken, erklärt die bislang verbreitete Stummheit der Vertreter aus dieser Kulturszene so: " ... und diese (die finanziellen Hilfen) wollen sie durch kritische Stellungnahmen zur Heilbronner Kulturpolitik ja nicht aufs Spiel setzen!" Nun aber melden sich doch Stimmen, das Wechselspiel im K 3 war wohl doch etwas zu viel und in der häppchenweisen Publizierung irritierend: Erst hieß es, man brauche Räume für den Theaterclub, jetzt entsteht nun doch eine "vollwertige" Spielstätte – und das, ohne mit einem Pieps den zuständigen Kulturausschuss zu informieren.
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Elke Bauschert, seit mehr als 40 Jahren nicht aus der alternativen Kultur- und Kneipenszene wegzudenken, musste die "Ebene 3" – ihren Club gab es hier seit 2004 – wegen Corona aufgeben. Für die "GAUWahnen", das Kabarett von Jöst, war die "Ebene 3" angestammte Spielstätte: Ohne Rücksprache wurden ihm die seit Jahren genutzten Räume entzogen, wurde nach einigem Hin und Her als Spielstätte der Deutschhofkeller angeboten. Den oft gehörten Vorwurf, man habe Bauschert nicht geholfen, wies die Stadt auf RNZ-Nachfrage schon im Dezember zurück: "Die Stadt ist der Pächterin des K 3 bei den Mietkosten durchaus entgegengekommen." Demnächst wird der "Salon 3" des Theaters eben das bieten, was man auch vorher schon bot.
Hintergrund
Auch gegenüber dem WKO (Württembergisches Kammerorchester) zeigte man sich nicht zum ersten Mal knickrig. Das Orchester überbrückte die Corona-Zeit unter anderem mit einer Reihe von CD-Einspielungen, eine davon – die Werke von Nikolai Kapustin –, erhielt den "International
Auch gegenüber dem WKO (Württembergisches Kammerorchester) zeigte man sich nicht zum ersten Mal knickrig. Das Orchester überbrückte die Corona-Zeit unter anderem mit einer Reihe von CD-Einspielungen, eine davon – die Werke von Nikolai Kapustin –, erhielt den "International Classical Music Award 2022". Die meisten von etlichen CD-Aufnahmen fanden im Winter statt, nur eine "daheim" im Harmoniesaal, die übrigen auf dem "Dorf", teils auch in ungeheizten Sälen. Die beschönigende Darstellung der Stadt zu ihrer Weigerung auf Miete-Erlass entbehrt nicht gewisser Komik: "Auch für das WKO gab es städtische Unterstützung. Die Stadt hat zumindest für eine Aufnahme die Mietkosten für die Harmonie übernommen. Das WKO hat in den Umlandgemeinden auf Einladung der dortigen Bürgermeister auch dort in verschiedenen Hallen Aufnahmen durchgeführt. Wir wissen beispielsweise von der Nutzung der Halle in Erlenbach. Von unbeheizten Sälen ist uns nichts bekannt." Hat sich die Heilbronner Stadtverwaltung eigentlich schon bei den Bürgermeistern bedankt? (bfk)
Von Hilfsangeboten des Theaters, die eine menschliche Note in die Nöte der "Freien" hätten bringen können, gerade während der Corona-Auszeit, ist nichts bekannt. Das Staatstheater Stuttgart verleiht Kostüme und Requisiten aus seinem Fundus, vom Theater Heilbronn soll da stets nur ein Nein kommen. Die Kritik an ihm ist kein Kulissengeflüster mehr, sie geht auch dahin, dass es anderen, im konkreten und im übertragenen, keinen Raum lässt. 2017 erhielt das Theater Heilbronn ein Probenzentrum in der Christophstraße für mehr als sechs Millionen Euro. Zu den zwei Bühnen im Theater – Großes Haus und Kammerspiele, heute "Boxx" – kam im K 3 noch das Komödienhaus hinzu, dank der Kooperation mit der "Experimenta" gibt es auch die neue Sparte "Science and Theatre". Schon in den seitherigen Intendanzen hat sich das Theater Heilbronn so fest etabliert, dass man von ihm statt so verbissen verfolgter Besitzstandswahrung, beziehungsweise -erweiterung, doch auch Souveränität und "Kollegialität", erwartet hätte. Oder dass diese notfalls vom Gemeinderat und der Verwaltung eingefordert wird.
Das Kabarett "Die GAUWahnen" hatte es nie leicht. Linke-Stadtrat Jöst, der bei seinen politischen Positionen aus der 68er-Zeit geblieben ist, streut offenbar zu viel Salz in die Heilbronner Suppe. Das mag man auch nicht im Kulturausschuss: Mit Händen und Füßen wehrt man sich dagegen, sachkundige Bürger (ohne Stimmrecht) zu berufen, was sich in anderen Fachausschüssen längst bewährt. Der "Arbeitskreis Kultur" hat noch keine Zähne gezeigt, wenn es um den Erhalt kultureller Vielfalt ging.
Für diese steht auch das Theaterschiff, geleitet vom früheren Chefdramaturgen am Theater Heilbronn, Christian Marten-Molnar. Er tauschte seine sichere "Beamten-Existenz" nicht ohne Grund mit der Freiheit der Freien Szene, weiß es durchaus zu schätzen, dass das Theaterschiff dank Hilfe von Stadt und Land in der Corona-Zeit nicht leck geschlagen ist, bekundet aber trotzdem offen seine Bedenken zu den neuesten Entwicklungen.
Einblick in seinen "Kulturkampf" gibt Jöst so: "Ich beantrage seit Jahren beim Kulturamt keine Mittel mehr. Zuletzt hatte ich mal vor vielen Jahren Geld für ein CD-Projekt beantragt – ich glaube, es waren 5000 Euro. Frau Christner (die Kulturbürgermeisterin) hat mir dann, wenn ich mich richtig erinnere, 500 Euro genehmigt. Diese ’Spende’ habe ich dann abgelehnt und das Projekt nicht realisiert." Nicht realisieren konnte er, mangels Unterstützung, auch eine CD zum Pfau-Jubiläum. Für frühere Gastspiele, beispielsweise der "OderHähne" aus der Partnerstadt Frankfurt/Oder, habe er auch in die eigene Tasche gegriffen – bis diese durch das "System Ausfallbürgschaften" verunmöglicht wurden.