Macherin mit Mut zum Risiko
Die CDU-Spitzenkandidatin im Portrait

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Susanne Eisenmann drückt mal wieder aufs Tempo. Sie ist an diesem Freitag Ende Februar beim Verband der Familienunternehmer zu Gast. In einem Saal der Werkzeugfabrik Paul Dümmel im prosperierenden 3000-Einwohner-Ort Hülben (Landkreis Reutlingen) stellt sie sich den Fragen eines Moderators, die Veranstaltung wird in die Chefetagen der Verbandsunternehmen gestreamt. Was sie von der Forderung des Unions-Fraktionschefs im Bundestag, Ralph Brinkhaus, nach einer "Jahrhundert-Reform" der Verwaltung halte, fragt der Moderator. "Wenn wir 100 Jahre brauchen, dann gute Nacht", erwidert die CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl. An anderer Stelle, als es um die Öffnung der Schulen geht, sagt sie: "Ich habe schon Ende Dezember gesagt, der reine Blick auf die Inzidenzen reicht nicht. Da war die Aufregung aber groß!" Dann folgt ein Satz, der auch ihr politisches Credo sein könnte: "Es muss mehr sein als zu sagen, wir warten mal noch!"
Susanne Eisenmann, 56, seit 2016 Kultusministerin in der grün-schwarzen Koalition, soll der CDU den Weg zurück in die Villa Reitzenstein ebnen, den Stuttgarter Regierungssitz, auf den die Partei bis zum Einzug von Winfried Kretschmann vor zehn Jahren ein Dauerabonnement zu haben schien. Die gebürtige Stuttgarterin war von 1991 bis 2005 Büroleiterin des damaligen CDU-Fraktionschefs Günther Oettinger. Wie ihr ehemaliger Chef, der für die Südwest-CDU 2006 als bislang Letzter eine Landtagswahl gewonnen hat, und mit dessen früherem Regierungssprecher sie verheiratet ist, will Eisenmann viele Dinge anstoßen, Tempo machen. Mit ihrer resoluten Art hat sie erst die CDU-Fraktion für sich eingenommen und dann machtbewusst CDU-Vize-Regierungschef Thomas Strobl dazu gebracht, ihr die Spitzenkandidatur zu überlassen. Das hat die seit gemeinsamen Tagen in der Jungen Union bestehende Freundschaft zeitweise ziemlich getrübt, die Partei aber in einer Phase der Unsicherheit auch befriedet. Strobl wollte hier und da ein konservatives Ausrufezeichen setzen, ansonsten aber harmonisch mit den Grünen regieren. Eisenmanns Versprechen lautete, öfter mal Kante zu zeigen in der Koalition mit Kretschmann. Die Partei nahm das dankbar auf.
Die promovierte Germanistin zählt eigentlich zum liberalen Spektrum der Südwest-CDU. Mit 16 Jahren trat sie in die Junge Union ein, kämpfte erfolgreich für die Sanierung eines Sportplatzes im Stuttgarter Ortsteil Heumaden. Mit 26 Bezirksbeirat, mit 30 Einzug in den Stadtrat, zwei Mal Stimmenkönigin bei Gemeinderatswahlen, Fraktionsvorsitz. 2005 wechselte sie auf die Bürgermeisterbank mit Zuständigkeit für die Stuttgarter Schulen. Sie eröffnete in ihrer elfjährigen Amtszeit Gemeinschaftsschulen, die nicht zu den Lieblingsprojekten der Landes-CDU zählen. Sie leistete sich 2010 im Streit um Stuttgart 21 auch eine Minderheitsmeinung innerhalb der CDU, als sie noch vor dem "Schwarzen Donnerstag" einen befristeten Baustopp anregte, um den Konflikt zu entschärfen.
Als Strobl sie zur Kultusministerin berief, stieß das in der konservativen CDU-Fraktion auf Missfallen. Eisenmann schaffte es aber, die Abgeordneten nach und nach für sich einzunehmen, indem sie sie früh in Entscheidungen einband und auch kleine Gesten wie Anrufe zu Geburtstagen nicht vergaß. Den ersehnten Erfolg im Windschatten der Popularität von Kanzlerin Angela Merkel vor Augen schien es, als könne sie die parteiinternen Lager einen. Im November 2020 rangierte die Südwest-CDU in einer Umfrage sogar vor den Grünen.
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Vergangenen Freitag, Foyer des Landtags. Eine Etage weiter oben endet gerade die letzte Sondersitzung vor der Wahl, es geht um die neuesten Corona-Beschlüsse, auf den Fluren aber werden noch aufgeregter aktuelle Umfragen debattiert, die die CDU weit hinter den Grünen sehen. "Ach", sagt Eisenmann, "in diesen unsicheren Zeiten kann man nichts verlässlich vorhersagen." Die Partei sei geschlossen und zuversichtlich, lasse sich von den Zahlen nicht beeindrucken. Noch schneller als sie spricht, wippt sie mit dem rechten Bein. Ein paar Stunden später ploppt die Maskenaffäre des – inzwischen ehemaligen – CDU-Bundestagsabgeordneten Nikolas Löbel auf. Eisenmann verurteilt dessen Deal als unanständig und inakzeptabel. Solche Parteigänger kann sie nicht gebrauchen. Schon gar nicht jetzt, wo in den eigenen Reihen angesichts der drohenden Niederlage bereits aufgelistet wird, welche Fehler die Kandidatin gemacht haben soll: von der Festlegung auf Friedrich Merz im Kampf um den CDU-Bundesvorsitz über den Satz mit den Öffnungen der Grundschulen "unabhängig von den Inzidenzen" bis zur Kritik an der Wissenschaftsakademie Leopoldina. Ihre im Kampf gegen die Grünen gefragte Robustheit, wird nun geklagt, bekämen inzwischen auch Parteifreunde zu spüren, die kritische Anmerkungen wagten.
Eisenmann hat sich früh bei erfolgreichen Wahlkämpfern im In- und Ausland informiert. Einen Ratschlag haben alle mitgegeben: auf den letzten Metern zählt Geschlossenheit, ja kein Kurswechsel, kein Verzagen. Wie Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer wollte Eisenmann den direkten Austausch mit den Bürgern vor Ort suchen, Frage, Antwort, Politik auf den Punkt. Nun muss das Format unter den Bedingungen der Pandemie ins Internet abwandern. Auf ihren Wahlplakaten stehen rhetorische Fragen, weil die Wähler angeblich keine Ausrufezeichen-Ansagen mehr lesen wollen.
Zur Klartext-Politikerin Eisenmann, die sich als entscheidungsfreudige Macherin und damit als Gegenmodell zum aus CDU-Sicht wenig tatkräftigen Ministerpräsidenten präsentieren will, passt das nur bedingt. Die 56-Jährige hat sich von den Fesseln der Wahlkampfführung seit dem Jahreswechsel befreit. Sie wollte mehr Tempo reinbringen, in die Impfstrategie des Landes, die Öffnungsperspektiven, auch den Wahlkampf.
Ob zum Nutzen der Südwest-Christdemokraten, wird sich am Sonntag weisen. Wenn sie wider Erwarten im Endspurt die Grünen noch einholen sollte, wird ihr die Partei ein Denkmal bauen. Landet sie unter den 27 Prozent von 2016, steht ihr politische Zukunft in den Sternen. Dann bestimmen womöglich andere das Tempo.



