"Transparenz hat ihre Grenzen": Ministerpräsident Kretschmann. Archiv-Foto: dpa
Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Irgendwann wird es Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) zu viel mit den kritischen Fragen nach den zunächst geheim gehaltenen "Nebenabreden" zum Koalitionsvertrag. Den Fragen nach dem Warum. Danach, ob sich seine auf Transparenz bedachte Partei dem Verdacht der Mauschelei aussetze.
"Schreiben Sie’s: Auch Kretschmann mauschelt!", platzt es da aus dem 68-Jährigen heraus. In der Politik müsse man auch mal "dealen" und Absprachen "hinter den Kulissen treffen, anders geht’s halt nicht!" Man müsse das eben klein halten, und das tue er. "Ich mauschele schon immer", sagt er. "Ich habe da kein schlechtes Gewissen."
Am Montagabend hatten sich Grüne und CDU für die Flucht nach vorn entschieden und die Zusatzvereinbarung ins Netz gestellt - nachdem unsere Zeitung wesentliche Inhalte bereits veröffentlicht hatte. Die hatten bei Opposition, Gewerkschaften und Verbänden genauso für Kritik gesorgt wie das Verfahren selbst: Im Mai hatten Grüne und CDU der Öffentlichkeit ihren Koalitionsvertrag präsentiert, der viele Vorhaben enthält, die dort aber alle unter "Haushaltsvorbehalt" gestellt werden. In den Nebenabreden sind dagegen 43 Projekte aufgelistet, die ausdrücklich vom Haushaltsvorbehalt "ausgenommen" sind.
Solche Nebenabreden, sagt Kretsch᠆mann, seien durchaus üblich. In Hessen, wo sie weit umfangreicher seien, habe Schwarz-Grün damit gute Erfahrungen gemacht. Dagegen hätten es die Grünen im Land 2011 versäumt, mit der SPD finanzrelevante Konkretisierungen zu treffen - was im Laufe der Legislaturperiode immer wieder zu Ärger geführt habe. "Beim Geld hört die Freundschaft ja auf. Das gilt auch für Koalitionen." Insofern dienten die Nebenabreden der Vermeidung von Konflikten. Dabei handele es sich sowieso nur um eine "innerkoalitionäre Absichtserklärung" über die Größenordnung wichtiger Vorhaben, für die selbstverständlich auch der Haushaltsvorbehalt gelte. Angesichts der in dem Dokument aufgeführten Summen - Einmalausgaben von über 1,3 Milliarden Euro und jährlich anfallende Zusatzausgaben von gut 750 Millionen Euro - sei die Liste ohnehin "überzeichnet". Sprich: nicht in Gänze umsetzbar.
Vertrauen, so wird Kretschmann nicht müde zu erklären, ist ein hohes Gut, das schnell verspielt werden kann und schwer wieder herzustellen ist. Da passen geheime Nebenabreden nicht so recht ins Bild. Kretschmann wirkt am Dienstag reichlich zerknirscht, aber er verteidigt das Dokument. "Transparenz ist wichtig, aber sie hat auch ihre Grenzen."
Trotz aller Erklärungsversuche reißt die Kritik nicht ab. "Wenn man einerseits vorgibt, sparen zu müssen, um den Landeshaushalt zu konsolidieren, wie kann man dann eine solche Liste mit Wunschausgaben machen?", meldet sich Gemeindetagspräsident Roger Kehle am Dienstag zu Wort. Die einzige eigene Sparleistung, die die Regierung bisher vorweise, sei "das Sparen an der Transparenz". Für heute hat die SPD im Landtag eine Debatte beantragt. Als Juniorpartner der Grünen hatten sich die Genossen in der vergangenen Legislaturperiode noch vergeblich bemüht, an Kretschmanns Image zu kratzen. Nun, hoffen sie, könnte der Lack bröckeln.
Schon taucht der Verdacht auf, dass es weitere Geheimabsprachen geben könnte. Juso-Landeschef Leon Hahn forderte Grün-Schwarz auf, auszuschließen, dass es weitere nicht-öffentliche Nebenabsprachen zu Spar- oder Ausgabenplänen gebe. Der Gemeindetag vermutet konkret, dass es eine geheime "Giftliste" zur Gegenfinanzierung der Projekte auf der nun bekannt geworden Liste der Wunschvorhaben gebe.
Natürlich, sagt Kretschmann, gebe es Absprachen zu Einsparzielen und -instrumenten. Wenn er die aber öffentlich mache, schwäche das die Verhandlungsposition des Landes gegenüber den Verbänden. Die Nebenabreden habe man nur "veröffentlicht, weil’s eh schon öffentlich ist. Aber es erleichtert das Geschäft mitnichten."