Landeschefin Breymaier gewinnt und zieht sich zurück - Castellucci kandidiert (Update)
Schwieriges Ergebnis - Nicht die Unterstützung, die sich die Vorsitzende gewünscht hatte

Von Sören S. Sgries
Heidelberg/Stuttgart. Am Montagabend herrscht noch angespannt gute Laune in Stuttgart. In einer langen Menschenkette werden die gelben Postkisten mit über 23.000 Stimmzetteln in die SPD-Landesgeschäftsstelle in Stuttgart gereicht. Auf Facebook wird die "Hochleistungsschlitzmaschine" ("Öffnet über 18.000 Briefe in einer Stunde") präsentiert. Dann geht es ans Stimmenzählen.
Die Nacht der Entscheidung nach wochenlangem Duell um die SPD-Spitze, zwischen Amtsinhaberin Leni Breymaier und Herausforderer Lars Castellucci? Offiziell ja, tatsächlich steht am Ende mehr Verunsicherung als Klärung.
Um 0.08 Uhr geht die offizielle Mail des Wahlvorstands raus: "Heute Nacht kein Ergebnis", heißt es darin. "Das Ergebnis ist zu knapp." Auch die ursprünglich für Dienstagmorgen, 10 Uhr, angesetzte Pressekonferenz wird abgesagt. Aus informierten Parteikreisen heißt es noch zur Geisterstunde, Breymaier und Castellucci seien gleichstark – beide Kandidaten lägen knapp unter 50 Prozent.
"Wow. Allein das ist schon ein riesiger Erfolg für Lars Castellucci gegen die Amtsinhaberin, nachdem ihm das vorher kaum jemand zugetraut hatte", twittert Bastian Fleig, einst stellvertretender Regierungssprecher in grün-roten Jahren.
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Im Lager von Leni Breymaier hingegen herrscht blankes Entsetzen. Rund 20 Stimmen hat der Herausforderer in der ersten Auszählung die Nase vorn, wird hinterher bekannt. Für die Parteichefin eine Katastrophe. Nach zwei Jahren im Amt müsste der Rückhalt deutlich größer sein. Vom weitgehend unbekannten Vize aus der Wieslocher Provinz geschlagen – das darf nicht sein. Und schon gar nicht kann man auf dieser Basis einfach weitermachen.
Am Dienstagvormittag machen die nächsten Gerüchte die Runde. Angeblich soll es Gespräche gegeben haben, angesichts des knappen Wahlausgangs Platz zu machen für einen neutralen Dritten, der sich auf dem SPD-Parteitag vor den Delegierten zur Wahl stellt. Wahlverliererin Breymaier sei dafür, der Herausforderer dagegen, wird verbreitet.
Castellucci twittert um 12.59 Uhr: "Ich beteilige mich nicht an taktischen Spielchen. Der Respekt vor den Mitgliedern erfordert, jetzt das Ergebnis abzuwarten und dann zu entscheiden."
Der guten Ordnung halber: Ich habe weder Angebote abgelehnt noch Angeboten zugestimmt. Ich beteilige mich nicht an taktischen Spielchen. Der Respekt vor den Mitgliedern erfordert, jetzt das Ergebnis abzuwarten und dann zu entscheiden. #servicetweet @spdbawue #Mitgliederbefragung
— Lars Castellucci (@larscastellucci) 20. November 2018
Eine halbe Stunde später geht die Einladung zur Pressekonferenz mit Leni Breymaier raus. Um 14 Uhr. "Zur Bewertung der Mitgliederbefragung". Ein Ergebnis der zweiten Auszählung ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu erwarten. Damit ist klar: Breymaier wird ihren Rückzug verkünden.
Das Ergebnis sei "schwierig", sagt sie vor der versammelten Landespresse. "Die Partei ist ziemlich zerrissen. Und zwar mittendurch." Offenkundig hätten weder sie noch ihr Herausforderer Lars Castellucci mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen haben. Grund seien die vielen Enthaltungen und ungültigen Stimmen.
"Das ist für mich keine Basis, diesen Landesverband zu führen." Zurücktreten will sie außerdem von ihren Ämtern in Bundesvorstand und -präsidium. Gleichzeitig verkündet Breymaier, dass auch ihre umstrittene Generalsekretärin, die 33-jährige Luisa Boos, nicht mehr kandidieren werde. Deren politische "Überlebenschancen" im Landesverband galten schon zuvor als gering.
Beobachter haben am Dienstag den Eindruck, dass die Parteichefin fast ein bisschen erleichtert wirkt, dass sie jetzt einen Schlussstrich unter zwei harte Jahre an der Parteispitze ziehen kann. Die 58-Jährige selbst sagt, immerhin bleibe jetzt wieder mehr Zeit für Familie und Freunde. Heftig ist der Schlag dennoch. "Ich habe in meinem Leben noch nie eine Wahl verloren. Noch nie", so Breymaier. "Das ist jetzt echt neu." Als um 18 Uhr das offizielle Endergebnis vorgestellt wird, ist Breymaier schon nicht mehr auf der Bühne – obwohl sie letztlich doch die Nase vorn hat.
Nicht einfach dürfte die kommende Woche daher für Castellucci werden. Er will weiter ins Amt. Trotz knapper Niederlage. Tatsächlich gibt es aber schon Versuche, einen "lachenden Dritten" an die Spitze der Partei zu heben. Offen fordert beispielsweise der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup, dass Fraktionschef Andreas Stoch diese Rolle übernehmen müsste. Aktiv wirft aber niemand seinen eigenen Hut in den Ring.
Letztlich entscheiden wird der Landesparteitag am Samstag in Sindelfingen. Erfahrene Strippenzieher halten es für recht unwahrscheinlich, dass dort noch eine Überraschungskandidatur erfolgreich sein könnte. Wer sollte das sein?, fragen sie. Und: Wäre es wirklich gut, wenn die SPD so mit Castellucci umginge, einem Kandidaten, der die offene, ehrliche Auseinandersetzung gewagt hatte?
Update: 20. November 2018, 20.19 Uhr