Protest bei SLK-Kliniken Heilbronn

Pflegenotstand als Dauerzustand

Mitarbeiter sehen sich am Ende der Belastbarkeit - Ver.di kritisiert die Mitarbeiterbelastung als "grenzwertige Bedingungen"

24.08.2017 UPDATE: 25.08.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 7 Sekunden

Unüberhör- und -sehbar: Bei der Wahlkampfveranstaltung mit Angela Merkel auf dem Heilbronner Kiliansplatz gab es lautstarke Proteste der Pflegekräfte. Foto: Endres

Von Brigitte Fritz-Kador

Angela Merkel in Heilbronn: Zu denen, die das Bild von eitel Sonnenschein am Kiliansplatz trüben, gehören auch Mitarbeiter der Heilbronner SLK-Kliniken, die ihre Protestplakate wegen der drangvollen Enge nicht wirkungsvoll positionieren können, von der Bundeskanzlerin aber dennoch bemerkt und mit ein paar Sätzen angesprochen wurden.

Dabei ist gerade auch die Politik gefragt, hier etwas zu ändern. Was die SLK-Mitarbeiter auf die Straße treibt, kann man als Dilemma zwischen Ausbeutung und Selbstausbeutung beschreiben. Das hat ihre Gewerkschaft Ver.di zum Anlass genommen, Klartext zu reden, zu dem, was man Pflegenotstand nennt. Die beiden neuen SLK-Kliniken Plattenwald und Gesundbrunnen haben dagegen möglicherweise Hoffnungen geweckt, die sich nicht erfüllten.

Als "grenzwertige Bedingungen" beschreibt Verdi-Gewerkschaftssekretär Arne Gailing das Dilemma: Einerseits werden die Pflegekräfte bis zum "Geht-nicht-mehr" gefordert, andererseits aber lassen sie dies aus Verantwortung gegenüber den Patienten auch zu. Dabei geht es nicht nur darum, dass ein Mitarbeiter mit Schrittzähler dokumentiert, dass Pflegekräfte bis zu 18 Kilometer am Tag laufen und dabei noch jede Menge Überstunden auflaufen: 80 bis 130 Überstunden pro Mitarbeiter, da ist das ganze System selber krank und da helfen auch keine Leiharbeiter. "Das Stammpersonal in den Krankenhäusern ist durch die steigende Arbeitsverdichtung, die hohe Verantwortung und die dünne Personaldecke am Ende der Belastbarkeit" stellt Ver.di fest.

Es ist das Thema "Überstunden", das das Fass jetzt wohl zum Überlaufen gebracht hat, nachdem die SLK-Kliniken mit ganz anderen Zahlen dazu an die Öffentlichkeiten gingen. Gailing, selbst Krankenpfleger von Beruf, sagt: "Die Arbeit mit Menschen, die Hilfe brauchen ist eine wunderbare", sie erfülle mit Stolz und Zufriedenheit, aber dazu gehörten auch Rahmenbedingungen, in denen ein "menschenwürdiger Umgang" gewährt sei und "die Versorgung nicht zum Akkord verkommt". Allein wenn man die neuen Hygienevorschriften genau befolgt, summiert sich das auf Stunden hoch.

Mehrarbeit wird in der Regel ausbezahlt, wobei im übrigen Halbtagskräfte davon erst profitieren, wenn sie wie Ganztagskräfte arbeiten, aber mehr Geld mindert nicht die Belastung. Die SLK-Kliniken haben nach eigenen Angaben 4006 Beschäftigte. Das ergibt nach Gewerkschaftsberechnung 72.108 Überstunden (Monatssoll: 168 reguläre Arbeitsstunden). Ver.di sind Stationen bekannt, bei denen 35 Beschäftigte fast 3300 Überstunden haben und dabei für 72 Betten zuständig sind. Es müsse gehandelt werden, sagt Gailing, denn sonst "kollabiert das System unkontrolliert". Die Überbelastung des Pflegepersonals zeigt sich auch so: Die durchschnittliche Verweildauer im Beruf nach der Ausbildung liegt bei nur vier bis sechs Jahre, nur ein Bruchteil kann sich überhaupt vorstellen, ihn bis zum Rentenalter auszuüben. Dementsprechend ist der Anteil der Frühverrentung und Arbeitsunfähigkeit besonders hoch.

Irgendwie scheint das ganze Elend mit der Einführung der Fallpauschalen begonnen zu haben - das war eine politische Entscheidung und seit das Krankenhaus-Finanzierungsgesetz für keinen der Kostenträger mehr verbindlich ist, werden Effizienzsteigerungen durch Personalkostenminimierung eben auf dem Rücken des Personals ausgetragen werden und fließen - laut Ver.di - die Gelder der Krankenkassen statt vollständig in die Krankenversorgung, immer mehr in Bauvorhaben.

Es ärgert die Gewerkschaft, dass die öffentliche Hand an sprudelnden Steuerquellen vorbei, seit 25 Jahren gegen geltendes Recht in der Finanzierung verstößt. Deshalb auch die Forderung nach einem Sofortprogramm mit gesetzlich festgelegter Personalausstattung. Wie notwendig das ist, belegte Arne Gailing auch mit dieser Zahl: Aktuell seien 64 Prozent der Pflegekräfte in der Nacht allein für mehr als 26 Patienten verantwortlich.

Allerdings: Wertschätzung, und auf die kommt es den Pflegemitarbeitern auch an und die vermissen sie in den Stellungnahmen der SLK-Kliniken, kostet kein Geld.

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