"Zwangsbeglückung wird es nicht geben"
Kultusministerin Eisenmann hatte zum "Ganztags-Gipfel" geladen - Vielfalt im Schulangebot wird wohl erhalten bleiben

Kultusministerin Eisenmann.
Von Andreas Böhme, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Den ganzen Tag in der Schule oder nur den halben? Immer oder nach Lust und Laune? Einen Tag pro Woche oder fünf? Zwei Gipfelgespräche des Kultusministeriums mit rund 500 Akteuren sollen Wege aus dem fortwährenden Streit zwischen Freiwilligkeit und Pflicht aufzeigen. Sicher ist jetzt schon: Die Vielfalt bleibt.
Ganztagesangebote sind nicht neu im Südwesten, es gibt sie seit mehr als vier Jahrzehnten. Im Gesetz steht die Ganztagesschule aber erst seit der letzten Legislaturperiode. Und während in der Politik noch weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass ein weiterer Ausbau notwendig ist, herrscht Vielfalt bei den Angeboten und vor allem den Wünschen der Eltern. Nach dem gestrigen ersten Gespräch (ein weiteres folgt am 15. Mai) stellte Kultusministerin Susanne Eisenmann schon klar: "Eine Zwangsbeglückung mit der verpflichtenden Ganztagesschule wird es nicht geben."
Aber was ist Ganztagesschule? Eine bloße Betreuung am Nachmittag, an der die Kinder flexibel teilnehmen, ist noch lange nicht Schule im klassischen Sinn. Unterricht, der den Nachmittag nutzt, muss verpflichtend sein, damit alle Schüler die Chance zu einem einheitlichen Wissenstand haben. Entsprechend kontrovers wurde in den Arbeitsgruppen debattiert. Schon die Interessen von Eltern aus städtischen Regionen sind anders als die von Eltern aus ländlichen. Die Arbeitsgruppe, die die Frage "Ganztagesschule oder Betreuung" debattierte, empfahl schlussendlich, das "oder" durch ein "und" zu ersetzen. Allein diese Forderung war konsensfähig.
Vor allem für die Vertreter der Schulträger ist klar: Flexibilität zwischen Unterricht und Betreuung an einer einzelnen Schule ist nicht zu leisten. Unter den Pädagogen hingegen herrscht die Ansicht vor, dass die zusätzliche Zeit am Nachmittag am besten durch "beständige, gesicherte und strukturelle Rahmenbedingungen" aus der Politik genutzt werden könne.
Reihenweise wurde alte Forderungen besprochen: Lehrer verlangen mehr Unterstützung bei der Verwaltung und der Integration behinderter Kinder. "Schulorganisation muss neu gedacht werden", fordert eine Schulleiterin. Und: 100 Prozent Lehrerversorgung reichten nicht, um Krankheitsfälle abdecken können. Hinzu komme der Wunsch nach Fortbildung, die Frage nach der Qualifikation der Betreuer, der Ruf nach mehr finanziellen Mitteln sowie nach Unterstützung durch Psychologen und Sozialarbeiter. Denn Ganztagesschule, formuliert eine Teilnehmerin, sei "eine Lebensgemeinschaft".
Ziel des Gipfels, so Eisenmann, war "im Gespräch mit allen Beteiligten über einen bedarfsgerechten und familienfreundlichen Ausbau der bestehenden Modelle zu beraten". Über einen Austausch von Argumenten ist man dabei allerdings nicht herausgekommen.
Derzeit bestehen Ganztagesangebote an 2070 von mehr als 5100 öffentlichen und privaten Schulen, das sind knapp 40 Prozent. Knapp 24 Prozent der Schüler nehmen diese Angebote wahr. Eine Schule, die mehr als Betreuung bietet, hat Vorteile, sagt Eisenmann: "Wir wissen, dass sich längere Lernzeiten und ein ganzheitlicher Bildungsauftrag positiv auf den Lernerfolg unserer Schüler auswirken." Und trotzdem kommt sie an den Wünschen von Eltern, Schulträgern und Lehrern nicht vorbei: "Wir wollen den Familien und den Schulen Wahlfreiheit und Flexibilität ermöglichen." Es bleibe also beim Angebotscharakter der Ganztagsschulen.
Doch darf das Nachmittagsprogramm wirklich so beliebig sein, wie Patrizia Filz, Bürgermeisterin aus Schöntal andeutet? "Den Eltern ist es egal, ob die Kinder in einer Ganztagesschule unterrichtet oder betreut werden", behauptete sie. Die Teilnehmer murrten vernehmlich.
Kann man diese Vielfalt in den Anforderungen harmonisieren oder gar, um geregelten Unterricht zu ermöglichen, rhythmisieren? Eisenmann will diese Angebotsvielfalt zunächst bilanzieren und dabei pädagogische Sichtweisen in den Vordergrund stellen: "Im Mittelpunkt müssen die Bedürfnisse unserer Kinder und Jugendlichen stehen."



