Kultusministerin Eisenmann sorgt sich um die Rechtschreibkompetenz

"Schüler wollen wissen, was richtig oder falsch ist": Brief an Grundschullehrer, kein "Schreiben nach Gehör" mehr

15.12.2016 UPDATE: 16.12.2016 06:00 Uhr 1 Minute, 47 Sekunden

Kultusministerin Susanne Eisenmann.

Von Sören S. Sgries

Heidelberg/Stuttgart. Die Kultusministerin haut auf den Tisch - und Lehrervertreter reagieren empört. Als Reaktion auf das schlechte Abschneiden der baden-württembergischen Schüler beim IQB-Vergleichstest wendet sich Susanne Eisenmann in einem Brief an Schulleiter und Lehrer. Betreff: "Orthografie, Schriftspracherwerb und Schrift in der Grundschule". "Richtiges Schreiben ist ebenso wie Lesen und Rechnen eine Schlüsselkompetenz, die wieder gestärkt werden muss", erklärt die CDU-Frau darin den Pädagogen. Der Erwerb dieser Kompetenz dürfe weder vernachlässigt werden noch nebenbei erfolgen - und schon gar nicht "erst zum Ende der zweiten oder in der dritten Klasse".

Was die Ministerin im Blick hat, ist klar: "Umstrittene Methoden wie das Schreiben nach Gehör werden wir hinterfragen", hatte sie schon im Sommer, nach Bekanntwerden der Vera 8-Ergebnisse, verkündet. Jetzt kritisiert sie im Brief an die Lehrer die "schreib-und-tipp-wie-du-sprichst"-Methode. "Auf Fehler hinzuweisen ist unabdingbar. Die Schülerinnen und Schüler wollen wissen, was richtig oder falsch ist", sagt die Ministerin.

Doch setzen überhaupt so viele Lehrer auf eine solche Schreiblehr-Methode, wie es in der politischen Diskussion vermittelt wird? Reinold Funke, Professor für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, zeigt sich skeptisch. Seine Fachkollegen an PHs im Südwesten, die den Lehrernachwuchs ausbilden, äußerten sich zu 85 Prozent "distanziert bis kritisch" zu dieser Methode, so das Ergebnis einer eigenen Erhebung, erklärt Funke. Verbreitet beworben wurde "invented spelling" (erfundenes Buchstabieren), so die fachliche Bezeichnung, nur einige Zeit in Nordrhein-Westfalen oder Hamburg, wo deren "Erfinder" Jürgen Reichen unterrichtete.

In Baden-Württemberg sei die Methode "nicht sonderlich verbreitet". Eine umfassende Untersuchung gebe es zwar nicht. "Meine Erfahrung sagt mir aber", so Funke: "Vielleicht 5 Prozent der Lehrer setzen diese Methode in Reinform ein." Die allermeisten Lehrkräfte stützten sich im Kern ihres Unterrichts auf Fibeln. Und 60 bis 70 Prozent setzten Anlauttabellen als Ergänzung zu einer Fibel ein - Anlauttabellen gelten als ein "Kernelement" des "Schreibens nach Gehör". Und genau die hat Eisenmann auch im Blick, wie aus ihrem Schreiben hervorgeht. Ein "unangemessen langes Verharren der Schüler in der Phase der alphabetischen Stufe" fürchtet sie dadurch. Das soll enden.

Die politischen Reaktionen auf den Eisenmann-Vorstoß sind unterschiedlich. "Statt sich in die Arbeit der pädagogischen Profis mit wenig Sachverstand einzumischen, sollte sie lieber die Schulen ordentlich ausstatten", wettert die Lehrergewerkschaft GEW. Die Ministerin kenne offenbar "weder die kritisierte Methode, noch den Forschungsstand". Sandra Boser, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, warnt davor, den Lehrern die pädagogischen Freiheiten zu nehmen, die ihnen der Bildungsplan gewähre, "um erfolgreiche Konzepte zum Erlernen der Rechtschreibung zu entwickeln". CDU-Kollege Karl-Wilhelm Röhm sagt hingegen: "Es gibt bis heute keine wissenschaftliche Expertise, die die Wirksamkeit dieser Methode bestätigt."

Funke erklärt gelassen: "Es gibt keine Studie, die einen Vorteil belegt. Es gibt aber auch keinen Hinweis, dass Kinder noch in der vierten Klasse dadurch Nachteile in ihren orthografischen Fähigkeiten hätten."

Hintergrund

Der Fall Hussein K.

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Der Fall Hussein K.

Der Weg des mutmaßlichen Mörders einer Studentin in Freiburg als Flüchtling durch Europa wirft jeden Tag neue Fragen auf. Die Eckdaten:

Januar 2013: Hussein K. kommt im Strom etlicher Flüchtlinge nach Europa. Er gibt sich als Afghane aus.

Mai 2013: Auf der Ferieninsel Korfu überfällt Hussein K. eine Studentin und wirft sie eine hohe Klippe hinab. Das Opfer überlebt schwer verletzt.

Februar 2014: Wegen versuchten Mordes wird Hussein K. in Griechenland zu zehn Jahre Haft verurteilt.

Oktober 2015: Hussein K. wird vorzeitig aus der Haft entlassen. Er profitiert von einem Gesetz zur Entlastung der übervollen Gefängnisse.

12. November 2015: Hussein K. kommt als Unbegleiteter Minderjähriger Ausländer (UMA) nach Freiburg, er bittet um Asyl. Papiere hat er keine.

Februar 2016: Hussein. K stellt einen förmlichen Asylantrag. Die Bearbeitung verzögert sich, hat keine Priorität.

16. Oktober 2016: In Freiburg wird die Leiche einer Studentin gefunden. Die 19-Jährige wurde Opfer eines Sexualverbrechens.

3. Dezember 2016: Die Polizei präsentiert Hussein K. als Tatverdächtigen. Er sei 17 Jahre alt, was inzwischen bezweifelt wird.

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