Jenseits des Eigenheims

Baden-Württemberg müht sich um mehr bezahlbaren Wohnraum

Im Vergleich mit anderen Bundesländern schneidet der Südwesten schlecht ab

22.05.2017 UPDATE: 23.05.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 3 Sekunden

Bedarf an Sozialwohnungen gibt es vor allem im städtischen Bereich - die politischen Entscheider kommen eher vom Land. Foto: W. Steinberg

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Mit der Wohnraum-Allianz hat die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg ein Thema auf die Agenda gesetzt, das der Landespolitik lange nur eine Fußnote wert war: der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum und der Beitrag, den das Land dazu leisten kann. Die Schätzungen über die Anzahl der Wohnungen, die landesweit fehlen, schwanken. Sie beginnen bei einem Bedarf von 50.000 Wohneinheiten pro Jahr, der Verband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen (VBW) kommt sogar auf bis zu 75.000. Nur etwa die Hälfte wurde in den vergangenen Jahren tatsächlich gebaut, für 2015 etwa hat das Statistische Landesamt knapp 38.000 fertiggestellte Wohnungen registriert.

Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut.

Um umzusteuern, hat das Land die Mittel für die Wohnraumförderprogramme in diesem Jahr auf 250 Millionen Euro aufgestockt. 2016 lag die Vergleichssumme noch bei 205 Millionen Euro, vor 2011 sogar unter 50 Millionen Euro. In der Wohnraum-Allianz suchen zugleich Kommunen, Wohnungsbau- und Kreditwirtschaft, Natur- und Umweltschutzbehörden und die Landespolitik gemeinsam nach Wegen aus der Misere. "Nur gemeinsam mit allen Akteuren kann es uns gelingen, eine Wende herbeizuführen", sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU).

Was vor allem fehlt, sind preisgünstige Wohnungen. 57.400 sozial und preislich gebundene Mietwohnungen gab es 2016 in Baden-Württemberg. Dagegen listet die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Linken für Berlin 116.500 gebundene Wohneinheiten auf, für Hessen knapp 100.000, für Hamburg 81.800. Ganz oben auf der Liste stehen Nordrhein-Westfalen mit über 450.000 und Bayern mit rund 140.000 Einheiten.

"Sowohl im gewachsenen Bestand als auch bei den aktuellen Zahlen ist Baden-Württemberg weit von der Spitzengruppe entfernt", sagt der Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds, Ulrich Ropertz. Der Grund sei ganz simpel: "Andere Länder stecken da mehr eigene Mittel rein, dort ist das Thema für die Politik offensichtlich relevanter."

Tatsächlich weist das Nachbarland Bayern für den sozialen Wohnungsbau eine staatliche Fördersumme von rund 380 Millionen Euro aus, im - bevölkerungsreichsten Bundesland - Nordrhein-Westfalen fließen sogar 1,1 Milliarden Euro.

Den Grundstock bilden bisher immer Bundesmittel, die Länder stocken dann auf. Im Fall von Baden-Württemberg gehen 165 Millionen auf den Bund zurück, also der Großteil der Summe. Im Zuge der Föderalismusreform ist die Zuständigkeit für die Wohnbauförderung auf die Länder übergegangen, noch bis 2019 zahlt der Bund Kompensationsmittel. Die hat Berlin infolge der Flüchtlingskrise, die den Druck auf den Wohnungsmarkt verstärkt hat, zuletzt stark erhöht. Ab 2020 sollen den Ländern anstelle dieser Zuschüsse zusätzliche Erlöse aus der Umsatzsteuer zustehen. Das heißt, der soziale Wohnungsbau hängt dann ganz an der jeweiligen Landesregierung und der Priorität, die sie dem Thema zumisst.

Dass Stadtstaaten wie Hamburg und Berlin mehr Geld für die Förderung von Sozialwohnungen tun, erklärt Ropertz damit, dass Probleme dort in der Regel präsenter seien als in Flächenländern. Woran aber liegt es, dass sowohl das lange SPD-regierte Nordrhein-Westfalen wie auch das CSU-dominierte Bayern dem Thema historisch wie aktuell eine viel größere Bedeutung beimessen als die baden-württembergische Landespolitik?

"Das Ideal vieler Menschen in Baden-Württemberg ist das Eigenheim mit Garten", sagt der Tübinger Politikwissenschaftler und versierte Landeskundler Hans-Georg Wehling. Historisch sei das Phänomen durch die Tradition der Erbteilung erklärbar. In Altwürttemberg war es Sitte, das Erbe zu teilen, womit den Bauern ein immer kleineres Stück Land zur Verfügung stand, das sie bewirtschaften konnten. "Das Eigenheim, und sei es noch so klein gewesen, war daher ein wichtiges Element der Grundsicherung - genauso wie der Garten zur Eigenversorgung", sagt Wehling. "Das hat man verteidigt."

Diese Tradition hat das Land geprägt. Nicht umsonst ist Baden-Württemberg Heimat bedeutender Bausparkassen wie Schwäbisch Hall, Wüstenrot, LBS oder Badenia. Und nicht ohne Grund gilt der Südwesten als "Land der Häuslebauer". Die Landespolitik hat diese Grundstimmung gepflegt und lange vor allem den Eigenheim-Bau gefördert. Um fast alle größeren Städte im Südwesten gibt es daher heute große Pendlerkreise. Zwischen 2006 und 2012, das zeigt eine Studie von Immowelt AG, sind 77 Prozent der Fördergelder des Landes in den Neubau und Erwerb von Wohneigentum geflossen, nur 14 Prozent in den Bau von Sozialwohnungen, der Rest in Sanierungsmaßnahmen.

Dass der Bau von Sozialwohnungen lange vernachlässigt worden ist, liegt aber auch an einem anderen Phänomen: Die Wohnungsnot ist vor allem ein Problem der Ballungsräume, die Landespolitik aber wird oft von Akteuren bestimmt, die selbst in der Fläche zuhause sind. Seit der Verschärfung der Misere durch die Flüchtlingskrise aber lässt sich der Handlungsbedarf nicht länger ignorieren.

Erste Maßnahmen sind eingeleitet. So hat das Land in der sozialen Mietwohnraumförderung die Möglichkeit einer längeren Bindungsdauer von bis zu 30 Jahren geschaffen. Die Einkommensobergrenze für eine Familie mit zwei Kindern ist auf 65.000 Euro angehoben worden. Damit, so die Hoffnung, können mehr Menschen erreicht werden und zugleich Vorbehalte von Investoren wegen vermeintlich durchweg sozialschwacher Mieter ausgeräumt werden. Weitere Stellschrauben diskutiert die Wohnraumallianz - einige wie eine Entschlackung der Landesbauordnung zwecks Kostensenkung auch innerhalb der Landesregierung durchaus kontrovers.

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