Gefängnisse im Land

"Der Normalfall ist die Ausnahme"

Strafvollzug fordert mehr Personal und Haftplätz - Grund sind veränderte Arbeitsbedingungen

05.07.2017 UPDATE: 06.07.2017 06:00 Uhr 1 Minute, 30 Sekunden

Die Mannheimer Justizvollzugsanstalt. Archivfoto: vaf

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Früher, sagt Alexander Schmid, sei die Arbeit im Gefängnis eine ganz andere gewesen. Da seien unter den 40 bis 60 Häftlingen, für die ein Bediensteter zuständig ist, "zwei bis drei Problemfälle" gewesen. Heute dagegen sei "der Normalfall die Ausnahme". Die Folge: In einer Befragung haben zwölf Prozent der 4140 Strafvollzugsbediensteten im Land angegeben, im Dienst bereits Erfahrung mit körperlicher Gewalt durch Insassen gemacht zu haben

Die Gründe für die veränderten Arbeitsbedingungen seien vielfältig: erhöhte Gewaltbereitschaft, längere Haftzeiten, psychische Auffälligkeiten, das Dauerproblem Drogen und eine deutlich höherer Zahl an ausländischen Gefangenen (44,6 Prozent). Eine besonders problematische, weil sehr aggressive Gruppe seien Insassen aus den Maghreb-Staaten. Das sei ausdrücklich kein Flüchtlingsthema. "Wir haben es mit kriminellen Trittbrettfahrern zu tun."

Schmid arbeitet seit 26 Jahren im Strafvollzug, nebenbei führt er den Bund der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) Baden-Württemberg. Was er in seiner Justizvollzugsanstalt (JVA) Konstanz erlebt, speist er als Gewerkschafter in die Politik ein. Mindestens 1000 zusätzliche Haftplätze fordert er angesichts einer "dramatischen Überbelegung", dazu eine personelle Verstärkung: Gut 300 Stellen bis 2021 sollen es mindestens sein. Damit würde Baden-Württemberg bei der Anzahl der Bediensteten pro 100 Häftlingen im Ländervergleich vom zweitletzten Platz (den letzten belegt Bayern) auf den drittletzten - Nordrhein-Westfalen - aufschließen. Ein Mitarbeiter könne nicht weiter allein für bis zu 60 Inhaftierte zuständig sein. "Wir brauchen ein Tandem. Keine Polizeistelle fährt allein raus", sagt Schmid.

Die Chancen, dass seine Rufe gehört werden, stehen besser denn je. Am Mittwoch tagte zum zweiten Mal eine Arbeitsgruppe "Moderner Strafvollzug", die Experten wie Schmid einbezieht. In den vergangenen Monaten habe der Fokus der Politik fast ausschließlich auf der Polizei gelegen, sagt CDU-Rechtsexperte Bernhard Lasotta. "Aber wir benötigen auch einen guten Strafvollzug." Man wolle Vorschläge für grundlegende strukturelle Änderungen erarbeiten, kündigt der Grünen-Rechtsexperte Jürgen Filius an.

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Dazu soll ein medizinisches Gesamtkonzept gehören, das außer dem Bau eines neuen Haftkrankenhauses weitere dezentrale Angebote in großen JVAs vorsieht, dazu neue Resozialisierungsangebote und Ausbildungskonzepte. Bis 2018 wollen Filius und Lasotta Ergebnisse vorlegen, jetzt aber schon helfen, Weichen zu stellen. So stehen mögliche neue Stellen im Mittelpunkt des Interesses: Bei den laufenden Haushaltsberatungen für 2018/19 hat Justizminister Guido Wolf (CDU) 200 zusätzliche Vollzugsbediensteten beantragt, dazu kommen 51 Stellen für die Betreuung psychisch kranker Gefangener. Die Unterstützung durch den BSBD und die Regierungsfraktionen kann ihm nur recht sein.

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