Für ländliche Gebiete lohnt sich das Neubaugebiet nicht immer

Attraktiv für junge Familien: So wird neuer Baugrund gesehen - Gerade im ländlichen Raum kann er aber zum Standortnachteil werden

31.03.2015 UPDATE: 01.04.2015 12:00 Uhr 2 Minuten, 34 Sekunden
Symbolfoto: dpa

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. Wie lockt eine alternde, darum schrumpfende Gemeinde am einfachsten junge Familien an? Ganz klar: Mit günstigem Baugrund in einem neu ausgewiesenen Baugebiet am Ortsrand - so dachte man lange Zeit in den Rathäusern. Falsch gedacht, heißt es jetzt sinngemäß in einer Auskunft des Bundesumweltamts. Stattdessen könnte sich das vermeintlich so attraktive Neubaugebiet als Kostenfalle erweisen, letztlich gar als "Standortnachteil" wirken.

Das ist die Essenz, die sich aus einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung durch Chris Kühn, Grünen-Abgeordneter und wohnungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, ziehen lässt. Insbesondere für den ländlichen Raum sind das alarmierende Auskünfte, wie der Tübinger Abgeordnete darlegt. Auch in der Landesregierung ist man sich der Problematik bewusst, strebt eine Grundsteuer-Reform auf Bundesebene an, die gezielter steuerliche Anreize für die Innenentwicklung ermöglichen soll.

Hintergrund

Flächenverbrauch in Deutschland

Unter "Flächenverbrauch" wird der Zuwachs von Siedlungs- und Verkehrsfläche verstanden, also vereinfacht gesprochen die Umwandlung von z. B. landwirtschaftlicher Fläche oder Waldfläche in Baufläche. Deutschlandweit

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Flächenverbrauch in Deutschland

Unter "Flächenverbrauch" wird der Zuwachs von Siedlungs- und Verkehrsfläche verstanden, also vereinfacht gesprochen die Umwandlung von z. B. landwirtschaftlicher Fläche oder Waldfläche in Baufläche. Deutschlandweit wurden 2013 pro Tag rund 73 Hektar Land umgewidmet - etwa die Fläche von 104 Fußballfeldern. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2020 den Flächenverbrauch auf 30 Hektar täglich zu begrenzen.

In Baden-Württemberg lag der Flächenverbrauch 2012 bei 6,7 Hektar pro Tag - ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (6,3), der durch die gute wirtschaftliche Lage sowie die Zunahme an Single-Haushalten und größeren Wohnungen erklärt wird. Bis 2020 soll die Zahl auf 3 Hektar sinken. Langfristig heißt das Ziel "Netto-Null". sös

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Die zentrale Erkenntnis, die das Bundesumweltministerium formuliert, klingt dabei zunächst wenig aufsehenerregend: Auf je mehr Einwohner sich die sogenannte "Siedlungs- und Verkehrsfläche" (SuV) verteile, also zum Beispiel Infrastrukturflächen wie Straßen aber auch Gebäude, desto höher sei die "Flächeneffizienz", heißt es darin. Der Infrastrukturaufwand sei niedriger, die Kostenlast verteile sich, so die Überlegung.

In einem einfachen Beispiel: Wird eine Straße von 100 Pkw am Tag befahren oder nur von zehn - der grundsätzliche Aufwand für Straßenbau und -unterhalt ist der gleiche. Aber für 100 Pkw "lohnt" es sich mehr - und umgelegt auf alle Nutzer wären die Kosten für den einzelnen deutlich geringer.

Die "Mehr Auslastung ist besser"-Logik gilt jedoch auch umgekehrt. "In stagnierenden oder schrumpfenden Regionen erhöht sich in der Gesamtsicht mit Flächenausweisungen und neuen Infrastrukturen die Kostenbelastung pro Kopf der Bevölkerung oder pro Arbeitsplatz", führt das Ministerium aus. "Diese zusätzlichen Kosten müssen letzten Endes über höhere Steuern oder Gebühren von allen getragen werden." Dies könne sich, wird gewarnt, "zu einem weiteren Standortnachteil der Region auswachsen". Die Hoffnung, mit dem neuen Siedlungsgebiet quasi automatisch die Bevölkerungsentwicklung umkehren zu können, ist trügerisch.

Die Bundesregierung beobachtet gerade in vielen "ohnehin dünner besiedelten, in peripher liegenden oder in altindustriellen Regionen" einen deutlichen Anstieg der SuV-Fläche pro Einwohner - und "die Ursache dafür liegt nur teilweise in Abwanderung". Stattdessen gebe es eine über den Bedarf hinausgehende, nicht nachhaltige Ausweisung neuer Siedlungsflächen.

"Aus ökonomischer Sicht besorgniserregend" sei es, dass es diese Entwicklung selbst in stark schrumpfenden Regionen gebe, heißt es im Bericht. Problematisch nicht nur, wenn sich nicht genügend neue Nutzer finden - also das Neubaugebiet beispielsweise nicht wie gewünscht verkauft wird -, sondern auch wenn "in der Folge im bisherigen Bestand die Nutzungen ausgedünnt werden oder gar Leerstände auftreten".

Auch vom baden-württembergischen Verkehrsministerium wird auf RNZ-Anfrage davor gewarnt, dass "ehemals neue Baugebiete demografisch zunehmend leer laufen und untergenutzt werden" könnten. Verlässliche Zahlen gibt es zwar nicht. Aber den Trend, wonach es im ländlichen Raum eine deutlich höhere "Flächenumnutzung" (siehe Hintergrund) gebe: Zwischen 2004 und 2012 wurde jährlich durchschnittlich 1 Quadratmeter für jeden "Großstädter" umgenutzt. Aber 6 Quadratmeter in den kleinsten Gemeinden. Erklären lässt sich das zwar auch dadurch, dass Flächen in den Ballungsräumen deutlich intensiver genutzt werden - es entstehen mehrstöckige Häuser, es wird in Bebauungslücken nachverdichtet.

Dennoch: Eine "bestandsorientierte Siedlungsentwicklung und ökonomisch effiziente Flächennutzung" müsse künftig im kommunalen Fokus stehen, heißt es aus dem Ministerium. Maßnahmen der Innenentwicklung und der Verzicht auf "fiskalisch nicht rentable Neubaugebiete" wird empfohlen.

Wie das funktionieren soll? Mit der rechtlichen Rahmensetzung, aber auch mit Beratungsangeboten für die Kommunen. Und es wird auf Bundesebene eine Änderung bei Grund- und Grunderwerbssteuer angestrebt, durch die Anreize für Innenentwicklung und Bestandserwerb gesetzt werden. "Die Landesregierung setzt sich dafür ein, die anstehende Reform der Grundsteuer mit dem Ziel des Flächensparens zu verbinden", heißt es. Ziel sei es, beispielsweise ein "zoniertes Satzungsrecht" zu ermöglichen. Die Gemeinden könnten dann Steuern "spreizen" - und zwar zugunsten der Bestandsbauten im Ortskern, die derzeit leerlaufen, weil eine Sanierung teurer wäre als Grunderwerb und Neubau am Ortsrand. Häuslebauen - gar nicht so einfach.

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