Hitlers eifrige Bürokraten in Baden-Württemberg
Es gibt erste Ergebnisse im Forschungsprojekt zum Nationalsozialismus – Die Landesverwaltungen hatten ein beträchtliches Maß an Eigenverantwortung

Die Vorsitzenden der Historikerkommission Wolfram Pyta (l., Stuttgart) und Edgar Wolfrum (M., Heidelberg) mit Wissenschaftsministerin Theresia Bauer.
Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Gab es von 1933 bis 1945 nicht doch eine besondere badische Wider᠆ständigkeit, eine spezielle württembergische Opposition? Der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck urteilte in der Landespressekonferenz bündig: "Reine Folklore", sagte er nach dreijähriger Forschung. "Da ist eben leider nicht viel."
Auch die These, den Landesbehörden sei die nationalsozialistische Agenda allenfalls übergestülpt worden, wurde als Mythos enttarnt: Es sei in hohem Maß zu einer "ideologischen Selbstmobilisierung" und zu vorauseilendem Handeln gekommen, erklärte Scholtysecks Stuttgarter Kollege Wolfram Pyta.
Beim 2014 von Wissenschaftsministerium initiierten Projekt "Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus" wurde erstmals systematisch die Rolle der Landesverwaltungen untersucht. Die vollständigen Ergebnisse sollen 2018 in zwei Sammelbänden veröffentlicht werden. Doch schon die 80-seitige Zusammenfassung, die nun als Broschüre vorliegt, räumt mit manch populärer Entschuldigung auf.
"Unsere Recherchen haben ergeben, dass es die Nationalsozialisten bei der Machtübernahme insgesamt bei punktuellen Eingriffen in den Personalbestand der Ministerialbürokratie beließen", sagte etwa der Heidelberger Historiker Edgar Wolfrum. Die Behörden im damaligen Baden und Württemberg seien auch ohne personelle Rochaden "verlässliche Instrumente der nationalsozialistischen Repressionspolitik" gewesen - und sogar "quasi unentbehrlich" dafür.
Zur Kommission gehören neben den genannten Universitätsprofessoren ihre Kollegen Sylvia Paletschek (Freiburg), Christiane Kuller (Erfurt) und Frank Engehausen (Heidelberg). Die Öffentlichkeit konnte die Fortschritte schon früh über eine spezielle Website begleiten und sich dabei auch einbringen.
Die Rolle der Länderregierungen im Nationalsozialismus ist bislang generell wenig untersucht. Die Kommissionsmitglieder betonten, dass es entgegen verbreiteter Annahmen damals durchaus Handlungsspielräume gab, zum Teil sogar sehr weitreichende, etwa im Baden unterstellten Elsass. Der südwestdeutsche Beamtenapparat habe sich den neuen Machthabern willig zur Verfügung gestellt, durchaus aber auch in Eigeninitiative gehandelt.
Demokratie sei verletzlich, folgerte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. Sie leitete aus den Erkenntnissen die Verpflichtung ab, "nicht zu glauben, dass es irgendwann einen bestimmten Punkt gibt, eine rote Linie, die überschritten wird, ab der man dann intervenieren muss, sondern sich seiner Verantwortung immer bewusst zu sein". Das gelte insbesondere in einer Zeit, in der Systemgegner verstärkt versuchten, Oberwasser zu gewinnen.
Die Studie thematisiert auch, dass viele Beamte ihre Karriere nach 1945 fortsetzen konnten. Der Aspekt steht aber nicht im Zentrum. Statt Einzelbiografien zu untersuchen, wollte die Kommission nach den Leitvorstellungen fragen: Der Blick auf Routineabläufe und administrative Selbstbilder soll helfen zu klären, weshalb der Apparat im Kaiserreich und der ersten deutschen Demokratie genauso "funktionieren" konnte wie im NS-Staat.
Das Wissenschaftsministerium hat das Projekt mit insgesamt 200.000 Euro unterstützt, doch den Löwenanteil der Kosten hat mit 1,45 Millionen Euro die Baden-Württemberg-Stiftung getragen.