Plus Mahnung zu Ausgabendisziplin

Rechnungshof kritisiert Wucherpreise beim Stromtanken und "leere" Master-Studiengänge

Studiengänge ohne Studierende und die teuersten E-Ladestellen im Land. Der Rechnungshof listet Fälle der Verschwendung auf.

22.07.2024 UPDATE: 22.07.2024 20:00 Uhr 3 Minuten, 38 Sekunden
Masterstudiengänge mit zu wenig Studenten hat der Landesrechnungshof ins Visier genommen. Diese dauerhaft anzubieten, sei wirtschaftlich nicht vertretbar, lautet die Kritik. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Von Tanja Wolter, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Wo versickern Steuermittel ohne erkennbaren Effekt? Welche Förderprogramme haben einen höheren Bürokratieaufwand als tatsächlichen Nutzen? Einmal im Jahr legt der Landesrechnungshof seine "Denkschrift" vor, um die Landesregierung zu Ausgabendisziplin anzuhalten. Förderprogramme, die Digitalisierung und der Klimaschutz standen diesmal im Fokus.

> Haushaltspolitik: Im Doppelhaushalt 2025/2026, über den die Koalition gerade verhandelt, klafft eine Lücke von rund 10 Milliarden Euro, die bisher nur zu einem Teil mit Überschüssen aus Vorjahren gedeckt werden kann. Für 2027 rechnet die Regierung mit einem weiteren Loch im Volumen von 3,3 Milliarden Euro. Die Lage sei "prekär", sagte Rechnungshof-Präsidentin Cornelia Ruppert bei der Präsentation der Denkschrift am Montag in Stuttgart. Sie rief die Landesregierung zur "Priorisierung von Aufgaben auf.

Der Rechnungshof stellt zudem den Umgang mit den inzwischen auf 9,6 Milliarden Euro angewachsenen sogenannten Haushaltsresten infrage. Das sind zu einem großen Teil Mittel aus dem kommunalen Investitionsfonds für Bauvorhaben, die wegen Planungsverzögerungen oder fehlender Fachkräfte nicht abgerufen wurden. Das Land sollte bei der Haushaltsaufstellung mehr darauf achten, "was man tatsächlich über die Rampe bekommt", mahnte die Behördenchefin.

> Digitalpakt Schule: Die mit Bundesmitteln finanzierten Investitionen wirken, hat der Rechnungshof in einer Online-Umfrage unter Schulen herausgefunden. Es werden demnach deutlich mehr digitale Medien im Unterricht genutzt, auch die digitalen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler haben sich verbessert. Beim Verfahren sehen die Prüfer aber erhebliche Mängel: So konnten die Schulträger ihre Anträge nicht online stellen. Vor allem aber wurden und werden trotz des Lehrkräftemangels Lehrerinnen und Lehrer für IT-Aufgaben eingesetzt, die eigentlich die Schulträger erfüllen müssten.

> Hochschulen und Universitäten: Hier haben die Kontrolleure die Auslastung der insgesamt rund 700 Masterstudiengänge im Land überprüft. Das Ergebnis: Während in den angewandten Wissenschaften die Nachfrage gut ist, gibt es im Bereich der Geisteswissenschaften einzelne Studiengänge, die kaum nachgefragt sind. Als Beispiele werden Philologie, Ägyptologie, Islamische Studien oder Judaistik genannt. 13 der insgesamt 147 geisteswissenschaftlichen Studiengänge hätten in einem Zeitraum von sieben Jahren im Durchschnitt nur einen einzigen Studienanfänger pro Jahr oder noch weniger erreicht. Der Rechnungshof empfiehlt, solche Studiengänge an einem Universitätsstandort zu konzentrieren.

> Ladepunkte für Dienstwagen: In ihrem Klimaschutzgesetz hat sich die Landesregierung verpflichtet, bis 2030 jeden vierten Stellplatz in Landeseigentum zu elektrifizieren. Laut Rechnungshof müssten dafür noch mehr als 13.000 Ladepunkte eingerichtet werden. Kosten: 78 Millionen Euro. Bisher wurden gerade mal knapp 600 solcher Ladepunkte eingerichtet. Das Ziel sei unerreichbar, aber auch unwirtschaftlich, stellten die Prüfer fest. Denn das Tanken an einem Ladepunkt des Landes kostet – bei einer durchschnittlichen Fahrleistung von maximal 500 Kilometer pro Monat und Dienstwagen –umgerechnet 2,80 Euro pro Kilowattstunde, also siebenmal so viel wie an einer öffentlich zugänglichen Ladesäule. Der Grund: Das Land muss pro Ladesäule an die landeseigene Parkraumgesellschaft Baden-Württemberg (PBW) 129 Euro "Miete" sowie 60 Euro pro Fahrzeug für eine Flatrate-Karte zahlen. Vorschlag: Auf Wallboxen umsteigen, die für die vorhandenen Hybrid-Dienstwagen ausreichen – oder in der Umgebung öffentlich tanken.

> Photovoltaik-Batteriespeicher: Von 2018 bis 2021 hat das Umweltministerium "Netzdienliche Photovoltaik-Batteriespeicher" gefördert, um so bei den Bürgern einen Anreiz für PV-Anlagen zu schaffen. Letztlich wurden insgesamt 16 Millionen Euro bewilligt. Ein Kritikpunkt ist hier, dass das Verfahren nur teilweise digitalisiert war, was zu einem hohen Aufwand führte. Auch konnten bei einer Neuauflage des Programms 2021 Anträge gestellt werden, als die Förderbedingungen noch gar nicht veröffentlicht waren. "Dies führte zu einer Antragsflut und Mitnahmeeffekten", heißt es in der Denkschrift. Für einen Durchschnittsfall (9kwh Speicherkapazität) sollen 1800 Euro an Fördermitteln geflossen sein.

> 60 Milliarden Euro Schulden hat das Land-Baden-Württemberg aktuell. Das ist nach Angaben des Landesrechnungshofs der höchste Wert in der Geschichte des Landes. Im vergangenen Jahr wurden knapp 1,3 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Das entspricht den Regeln der Schuldenbremse, die bei ungünstiger Konjunktur eine Kreditaufnahme ermöglicht.

Update: Montag, 22. Juli 2024, 20 Uhr


Rechnungshof kritisiert unbeliebte Master-Studiengänge

Stuttgart. (dpa) Der Rechnungshof kritisiert das Land für zu viele Masterstudiengänge, die niemand absolvieren möchte. Nach Angaben der Finanzkontrolleure kam bei einer Überprüfung von mehr als 700 Masterstudiengängen an Universitäten und Hochschulen heraus, dass es in Baden-Württemberg mehr als 120 Studiengänge gibt, für die sich jährlich weniger als zehn Personen einschreiben. 

Es sei wirtschaftlich nicht vertretbar, diese Studiengänge dauerhaft anzubieten, kritisieren die Prüfer. "Die dafür vorgehaltenen Ressourcen erzeugen nur wenig Nutzen und fehlen an anderer Stelle, vor allem in den dauerhaft überausgelasteten Bereichen", heißt es in dem Bericht.

Einige der wenig nachgefragten Studiengänge gebe es landesweit gleich mehrfach in gleicher oder ähnlicher Form, teilte der Rechnungshof mit. Besonders betroffen seien geisteswissenschaftliche Fächer an den Unis in Tübingen, Freiburg und Heidelberg. Dem Bericht zufolge geht es um die Bereiche Geschichte, Sprache und Kultur sowie Religion.

Als Beispiel führen die Prüfer zwei Masterstudiengänge im Bereich Ägyptologie an, die im Schnitt von weniger als einem Studienanfänger pro Jahr begonnen werden. Ähnlich sieht es bei zwei Masterstudiengängen der Judaistik aus.

"Gesetzgeber und Landesregierung sollten nach unserer Auffassung sicherstellen, dass die Hochschulen auf die schwache Nachfrage durch Verzicht auf diese Studiengänge, ihre Aufhebung oder die Konzentration von Fächern an einzelnen Hochschulstandorten reagieren", sagte die Präsidentin des Rechnungshofs, Cornelia Ruppert.

Die Kontrolleure schlagen vor, dafür im Landeshochschulgesetz festzuschreiben, dass Unis auf schwache Nachfrage künftig zwingend reagieren müssen. 

Welche Studiengänge angeboten würden, sei eine Entscheidung der Hochschulen, teilte das Wissenschaftsministerium mit. "Wirtschaftliche Aspekte spielen dabei ebenso eine Rolle wie wissenschafts- und forschungspolitische", hieß es. Man dürfe nicht einzige die Auslastung als entscheidendes Indiz für die Wirtschaftlichkeit und Bedeutung eines Studiengangs heranziehen.

"Viele Studiengänge sind nicht allein zu betrachten, sondern es bestehen teils umfängliche Verknüpfungen mit dem Lehrangebot anderer Angebote. Zudem sind Studiengänge regelmäßig an Forschungskapazitäten geknüpft und dienen der Profilbildung des gesamten Studienangebots." Von einem gesetzlichen Automatismus distanziere man sich deswegen deutlich. 

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