Lehrermangel im Südwesten

"Ich kann mir keine Lehrer backen"

Kultusministerin Eisenmann vermisst Flexibilität - Versetzungen in Mangelregionen geplant - Kritik an Bundes-Einmischung in Bildung

31.08.2018 UPDATE: 02.09.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 12 Sekunden
Kultusministerin Susanne Eisenmann sucht nach möglichst schnellen Wegen aus dem chronischen Lehrermangel im Land. Foto: dpa

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Kultusministerin Susanne Eisenmann (53) über Lehrermangel, Ärger mit der Bundesregierung und Probleme mit der Bildungsplattform "Ella".

Frau Ministerin, die Ferien neigen sich dem Ende zu. Wie sehr graut es Ihnen vor dem Beginn des neuen Schuljahrs?

Mir graut es nicht. Die Vorbereitungen haben viel Zeit in Anspruch genommen: Lehrerversorgung, Unterrichtsabläufe, neue Schwerpunkte - mit all diesen Dingen befasse ich mich ja schon lange.

Vielen Eltern graut es sehr wohl. Sie fürchten, der Lehrermangel nimmt dieses Jahr noch zu.

Auch interessant
Qualität des Unterrichts: Kauder warnt vor drohendem Bildungsnotstand
Es fehlen 40.000 Lehrkräfte: Schlimmster Pädagogenmangel seit Jahrzehnten
Nur Gymnasiallehrer im Überfluss: Tausende Pädagogen voraussichtlich ohne Stelle
Bildungsplattform "Ella": Ministerin Eisenmann verärgert über Verzögerungen
"Mosbacher Bildungsgespräch": "Schiff" Bildungspolitik schwimmt auch durch schwere See

Wir werden auch dieses Schuljahr bei der Lehrerversorgung nicht optimal aufgestellt sein. Ich kann das Problem benennen und erklären, wo es herkommt. Wichtiger ist aber, an Lösungen für die Zukunft zu arbeiten - wir haben etwa die Ausbildungskapazitäten bei der Lehrerausbildung erhöht. Ich kann mir aber keine Lehrer backen. Wir haben nun einmal eine Pensionierungswelle und steigende Schülerzahlen. Auf beides wurde zu spät reagiert.

Vergangenes Jahr fehlten zum Schulbeginn landesweit rund 400 Lehrer. Wie viele sind es diesmal?

Wir sind in der Endphase der Besetzung. Die genauen Zahlen bekommen wir nächste Woche. Die Situation wird aber ähnlich angespannt sein wie letztes Jahr. Aber Sie müssen auch sehen: Wir haben zum neuen Schuljahr etwa 5500 Lehrerstellen zu besetzen. Davon wurden 4100 durch Pensionierungen frei. In normalen Jahren wären es halb so viele.

Sie reaktivieren Pensionäre und schlagen sich mit anderen Notmaßnahmen durch. Wie geht es voran?

Die Maßnahmen waren dringend nötig, sonst wäre die Lage noch prekärer. Was aber immer ein bisschen untergeht: Wir haben Regionen mit sehr guter Versorgung, aber auch Landstriche, wo Lehrer nicht hinwollen. Im Landkreis Tuttlingen beispielsweise herrscht landesweit der größte Mangel. Es gibt Lehrer, die lieber befristet in Karlsruhe arbeiten als unbefristet im unkündbaren Beamtenverhältnis in Tuttlingen.

Die Attraktivität von Städten gegenüber dem Land ist doch nicht neu. Warum zahlen Sie keine Zulagen für Mangelregionen?

Ich bezweifle, dass das erfolgreich wäre. Wir haben etwa ein Überangebot an Deutschlehrern für Gymnasien. Die haben keine feste Stelle. Ihnen bieten wir an, mit einer berufsbegleitenden Zusatzqualifikation an Grundschulen auszuhelfen und dann nach drei Jahren als Beamte zurück in den Gymnasialbereich zu wechseln. Das haben wir tausenden Lehrern angeboten, nur knapp 200 haben angenommen. Mobilität und Flexibilität sind im Berufsleben heute unverzichtbar, aber das geografische Beharrungsvermögen von Junglehrern ist erstaunlich.

Sie könnten Beamte ja versetzen.

Das tun wir auch. Wir müssen die Unterrichtsversorgung landesweit gewährleisten. Deshalb versetzen wir verbeamtete Lehrer aus gut versorgten Orten in Mangelregionen, und schaffen somit freie Stellen an attraktiveren Orten für Junglehrer, die nirgends sonst hinwollen. Das ist ungerecht, aber es geht nicht anders.

Volker Kauder, CDU-Fraktionschef im Bundestag, spricht schon von "Bildungsnotstand". Hat er Recht?

Den Begriff kann ich nicht nachvollziehen, das ist schlicht Unsinn. Wir haben immer noch eine ordentliche Unterrichtsversorgung und arbeiten daran, dass wir in zwei bis drei Jahren wieder optimal aufgestellt sind. Und im Gegensatz zu anderen Ländern ist der Anteil von nicht ausgebildeten Lehrern bei uns sehr gering.

Der Bund will sich stärker im Bildungsbereich engagieren. Was haben Sie dagegen?

Ich bin für 4500 Schulen verantwortlich, und alle wollen zurecht vor Ort mitgestalten und legen Wert auf Berücksichtigung regionaler Besonderheiten. Ich wüsste nicht, wie das besser funktionieren würde, wäre ein Bundesminister für alle 40.000 Schulen in Deutschland zuständig. Außerdem stellt sich dann die Frage, auf welchem Niveau eine Bundes-Bildungspolitik stattfände: auf dem von Berlin oder Bayern?

Der Bund will die digitale Bildung fördern. Warum stockt das so?

Der Digitalpakt ist das ideale Beispiel, warum nichts besser oder schneller wird, nur weil es der Bund übernimmt. Wir diskutieren das Thema seit mehr als zwei Jahren, ohne dass etwas passiert, und das liegt nicht an den Ländern.

Das Geld für den Digitalpakt soll fließen - nach einer Grundgesetzänderung.

Es gibt eine fertig ausgehandelte Grundlage des Digitalpakts. Der Bund investiert fünf Milliarden Euro für die digitale Ausstattung, die Länder übernehmen die inhaltlichen und pädagogischen Aufgaben. Das Geld könnte, wie gemeinsam verhandelt, auf Basis von Artikel 91c des Grundgesetzes sofort fließen. Wir brauchen keine Grundgesetzänderung.

Auch im Land stockt die digitale Bildung. Glauben Sie noch an das Gelingen der Bildungsplattform "Ella"?

Unser Dienstleister ITEOS hat angekündigt, wie vereinbart fristgerecht etwas Schriftliches einzureichen. Das müssen wir jetzt prüfen. Grundsätzlich brauchen wir jedenfalls eine Bildungsplattform.

Das Projekt scheint schlecht organisiert. Warum haben Sie nicht früher eingegriffen?

Wann denn? Die Strukturen sind gesetzlich vorgegeben. Die Behörde BITBW in der Verantwortung des Innenministeriums ist für die technische Projektsteuerung und Umsetzung zuständig. Dafür zahlt mein Ministerium jährlich Millionen an BITBW. Von dort kam zu keinem Zeitpunkt ein Hinweis, dass die Projektsteuerung nicht rund läuft.

Hätten Sie nicht früher merken müssen, dass es Probleme gibt?

Erst durch meinen Projektstopp und das dann von mir in Auftrag gegebene Gutachten sind die Probleme sichtbar geworden. Kann sein, dass ich früher hätte misstrauisch werden können, aber dafür gab es keinen Anlass. Mir wurde immer rückgemeldet: Alles läuft nach Plan. Das stimmte offenbar nicht. Jetzt müssen wir sehen, wie wir weitermachen.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.