Heilbronn

Der Tod von Michele Kiesewetter ist unvergessen

Am Experten-Gespräch zu den NSU-Mordtaten war das Interesse groß. Mit dabei war auch Clemens Binninger, Vorsitzender der Bundestags-Untersuchungsausschüsse zu den Morden.

18.04.2022 UPDATE: 19.04.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 45 Sekunden
Polizeipräsident Hans Becker, Gunter Haug, Clemens Binninger, einstiger Vorsitzender der Bundestags-Untersuchungsausschüsse zu den NSUMorden, und Filmemacher Peter Ohlendorf bei Kafeehaus-Gespräch „Wehret den Anfängen“. Foto: Brigitte Fritz-Kador

Von Brigitte Fritz-Kador

Heilbronn. Der 25. April ist in diesem Jahr ein trauriger Gedenktag für die Stadt Heilbronn, es ist der 15. Todestag von Michele Kiesewetter. Die junge Polizistin aus Thüringen war an diesem Tag im Einsatz in Heilbronn, "ausgeliehen" von der Bereitschaftspolizei Böblingen für die Aktion "Sichere City". Sie wurde das letzte Opfer des NSU-Mördertrios Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Vor dem Heilbronner Polizeipräsidium in der Karlstraße wird am kommenden Montag ein Baum gepflanzt, den die Stadt Zwickau, aus der die Täter stammen, allen Orten stiften, an denen sie Opfer hinterließen. Vergessen werden würde Michele Kiesewetter aber auch ohne Baum nicht.

Wie präsent die NSU-Mordtaten sind, zeigte sich kürzlich beim Kaffeehaus-Gespräch von "Wehret den Anfängen" – das Kaffeehaus Hagen war bis auf den letzten Stuhl besetzt. Gunter Haug, Leiter der Gruppierung, konnte mit Clemens Binninger, er war Obmann und Vorsitzender der beiden Bundestags-Untersuchungsausschüsse zum NSU-Komplex, mit Filmemacher Peter Ohlendorf und mit dem Heilbronner Polizeipräsident Hans Becker drei Gäste begrüßen, die aus verschiedenen Perspektiven den vielen Widersprüchlichkeiten und offenen Fragen, vor allem zu dem bis heute unaufgeklärten Mord an Kiesewetter, mit ihrem Wissen begegnen. Immer noch gibt es dazu auch eine Vielzahl von Vermutungen und Theorien. Ob und wie weit diese immer noch relevant sind, zeigte sich auch in der anschließenden Fragerunde.

Binninger saß für die CDU von 2002 bis 2017 im Bundestag, profilierte sich dort als Experte für Terrorismus, und er war zuvor Polizist, unter anderem eingeteilt als Personenschützer für Kurt Rebmann, den damals durch den RAF-Terror stark gefährdeten Generalbundesanwalt. Bei aller intimen Kenntnis der Vorgänge um den NSU und dessen Umfeld, hält er die notwendige Distanz und habe, sagt er auf Nachfrage, auch alle politische Unterstützung bekommen. Nur wenige können so faktenreich und sicher über die "27 Straftaten, mit zehn Mordfällen des NSU" berichten.

Filmemacher Ohlendorf , der schon vor zehn Jahren die verhängnisvolle Wirkung des "Rechts-Rocks" in seinem bis heute gezeigten und aktuellen Film "Blut muss fließen" unübersehbar vor Augen führte, blieb nicht ganz so cool, erinnerte auch daran "was den Opfern" auferlegt wurde, also auch den Angehörigen. Zur Erinnerung: Die ersten Ermittlungen, unter anderem als "Döner-Morde" eingestuft, liefen in die völlig falsche Richtung, obwohl es auch da schon Stimmen gab, die auf "Rechts" hinwiesen.

Vor dem Hintergrund, dass die Fülle von Pannen, Ermittlungsfehlern, Ignoranz und Nichterkennen der Brisanz der Taten Thema bleiben, bis sie aufgeklärt sind, stellt sich auch die Frage nach neuen Ermittlungsansätzen und -möglichkeiten. Binninger ist da eher skeptisch, aber wenn doch, dann über die Forensik. Es liegen bekanntlich immer noch weit über hundert ungeprüfte DNA-Spuren vor. Auch liege immer noch ein Verfahren gegen neun Verdächtige beim Generalbundesanwalt, wenn auch unter Zeitdruck, erinnert Binninger und sagt: "Haldenwang (Anm. d. Red.: Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz) hat noch viel zu tun!"

Positiv sei, dass im Koalitionsvertrag der "Ampel"-Regierung die volle Aufklärung der NSU-Morde verlangt wird. Als einen der größten Fehler sieht Binninger den Umgang mit Zeugen an. Die Tat geschah an einem sonnigen Aprilmittag, auf der Theresienwiese wurde das Frühlingsfest aufgebaut, das Riesenrad stand schon, da waren Menschen unterwegs. Warum verfolgte man nicht die Zeugenhinweise auf zwei blutverschmierte Männer und den, der seine blutigen Hände im Neckar wusch?

Wie viel "Sprengkraft" ein Gesprächsprotokoll hat, das Gunter Haug an diesem Abend erstmals öffentlich machte, wird sich zeigen. Vergangenen November sprach er mit Christoph Meyer-Manoras, der als Staatsanwalt die Ermittlungen leitete, bis sie das Landeskriminalamt übernahm. Er sieht den Fall bis heute so, dass er seine Karriere ruinierte, eigenes Versagen oder Ermittlungsfehler aber an keiner Stelle. Auf Gegenargumente reagiert er mit "alles Blödsinn". Für richtig hält er noch immer, ein vorliegendes Phantombild nicht zu veröffentlichen, neben der (Nicht-) Behandlung der Zeugen bis heute ein Hauptkritikpunkt an seiner Arbeit.

Polizeipräsident Becker versucht erst gar nicht, polizeiliche Pannen schön zu reden, sagt aber auch, dass kein Tag vergehe, an dem der Mord an der Kollegin nicht gegenwärtig sei. Das zeige sich beispielsweise, auch darin, dass man in Heilbronn, mehr als anderswo, auf die persönliche Sicherheit achte, denn "ein Angriff auf einen Polizisten ist immer auch ein Angriff auf die Sicherheit aller Bürger". Das hatte auch Binninger mehrfach betont. Eine der Lehren daraus waren strukturelle Änderungen zu internen Abläufen, etwa beim raschen Einsatz von Ermittlungsteams.

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