Studierende leiden unter den Kontakt-Beschränkungen
"Keiner fordert unkontrollierte Partys". Aber mehr persönliche Begegnungen werden herbeigesehnt. Rainer Holm-Hadulla befragte Heidelberger Studierende zu ihrer Lage.

Von Jana Esken
Heidelberg. Rainer M. Holm-Hadulla ist Psychiater, Psychotherapeut und Psychoanalytiker und hat sich als Kreativitätsforscher einen Namen gemacht. Im Zuge einer Studie zu "Wohlbefinden, Gesundheit und Bewältigungsstrategien in der Covid-19 Pandemie" hat er Ende Mai über 2000 Studierende der Universität Heidelberg online zu ihrem Befinden während der Corona-Pandemie befragt. 1000 Studierende verfassten zusätzliche freie Texte zu ihrer Situation und zu möglichen Verbesserungen. Die Auswertung der Texte ist in Arbeit, aber bereits jetzt gibt es erste Ergebnisse. Der Grundtenor: Die Studierenden leiden unter den Kontaktbeschränkungen – und haben ganz konkrete Verbesserungsvorschläge.

Prof. Holm-Hadulla, wie geht es Studierenden während der Corona-Pandemie?
Die allermeisten Studierenden gehen sehr rational mit der Situation um. Aber sie leiden unter den pandemiebedingten Einschränkungen und sehnen sich nach mehr sozialen Kontakten. Am häufigsten wünschen sich Studierende, dass möglichst bald wieder persönliche Begegnungen an der Universität ermöglicht werden: Präsenzlehre, zumindest in kleinen Formaten, kontrollierte Öffnung von Bibliotheken, Mensen, Cafés, Sportstätten und kulturellen Veranstaltungen.
Warum wünschen sich so viele Präsenzunterricht?
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Die Universität dient ja nicht nur dem Wissenserwerb, sondern auch der Persönlichkeitsentwicklung in sozialer Bezogenheit. Besonders die Studienanfänger befinden sich in einer entwicklungspsychologisch sensiblen Phase. Sie verlassen das Elternhaus und ihre schulische Peer-Group, begegnen Lehrenden und Studierenden mit anderen Denk- und Lebensstilen. Bei vielen löst dies eine kreative Neugestaltung ihres Lebens aus und es entwickeln sich neben akademischen Interessen Freund- und Liebschaften, die sie oft das ganze Leben begleiten. Wenn dies alles fehlt, führt dies nicht nur zu Leistungseinbußen, sondern auch zu Entwicklungsverzögerungen und mitunter auch zu psychischen Störungen.
Worunter leiden die Studierenden am meisten?
Am häufigsten wurde beklagt, dass sich die Studierenden in ihrer spezifischen Lebensphase von Politik, Wirtschaft und Medien nicht ausreichend gesehen und anerkannt fühlen. Der größte Teil leidet unter den pandemiebedingten sozialen Einschränkungen, die zu Einsamkeit, Motivationsverlust, Zukunftsängsten und depressiven Verstimmungen führten. Ca. 30 Prozent berichten über depressive Verstimmungen. Bei ca. 18 Prozent sind diese stark ausgeprägt und mit Antriebs- und Hoffnungslosigkeit verbunden. Bewegungsmangel und dysfunktionaler Mediengebrauch wird an zweiter Stelle berichtet, gefolgt von Angststörungen. Diese scheinen aber weniger mit den Infektionsrisiken als mit den sozialen Einschränkungen zusammenzuhängen. Schädlicher Gebrauch von Alkohol und Drogen wird sehr selten berichtet.
30 Prozent sind erschreckend – Gab es schon vorher häufig Depressionen unter Studierenden?
Der Anstieg von depressiven und Angststörungen bei Studierenden während der Pandemie deckt sich mit großen Untersuchungen aus USA, UK und China. Vor der Pandemie wurden geringere psychische Beeinträchtigungen bei Studierenden registriert. Ein zusammenfassender Artikel aus der renommierten Fachzeitschrift Nature spricht von einer Pandemie von Angst und Depression unter Studierenden.
Sie haben die Studierenden auch gefragt, was ihre Situation verbessern könnte.
Die allermeisten Studierenden sind mit den Corona-Regeln einverstanden. Weniger als 1 Prozent lehnen die Vorsichtsmaßnahme generell ab und Impfgegner melden sich überhaupt nicht zu Wort. Die meisten Studierenden äußern pragmatische Verbesserungsvorschläge und hoffen auf die positiven Effekte der Impfungen und Verbesserung der sozialen Begegnungsmöglichkeiten. Kein einziger der Befragten hat unkontrollierte Lockerungen oder große Partys gefordert. Ich gehe davon aus, dass, wenn man jetzt die Kontaktbeschränkungen lockert, Studierende eine sehr dankbare Gruppe darstellen, die sehr vernünftig damit umgehen. Mit ihnen lässt sich wahrscheinlich am besten umsetzen, was der Präsident der Bundesärztekammer fordert: Professionelle Routine statt Daueralarm.
Soziale Kontakte sind für Menschen jedes Alters wichtig – warum fokussieren Sie sich auf Jüngere?
Das war über Jahrzehnte mein hauptsächliches Arbeitsfeld. Kinder, Jugendliche und junge Menschen haben andere Kontaktbedürfnisse und brauchen andere soziale Bewegungsmöglichkeiten als Ältere. Dies habe ich im letzten Jahr in der FAZ mit dem Artikel "Kontakte sind Nahrung" näher begründet. Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass für alle Altersgruppen Einsamkeit und körperlicher wie sozialer Bewegungsmangel die größten Krankheitsrisiken darstellen. Überhaupt sollten wir nicht unterschiedliche Altersgruppen gegeneinander ausspielen. Unsere Studie bezieht sich nun einmal auf Studierende und diese wünschen sich dringend die Anerkennung ihrer erheblich eingeschränkten Studien- und Lebenssituation.
Was hätten Sie als politischer Entscheidungsträger anders gemacht?
Ich möchte lieber in die Zukunft schauen und empfehlen, die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Pläne zur vorsichtigen Rückkehr zum Präsenzunterricht umzusetzen, die im Rektorat der Universität Heidelberg vorliegen. Ich kann mir nur wenige Bevölkerungsgruppen vorstellen, bei denen man so gut an die Pandemie angepasste soziale Begegnungen wieder ermöglichen kann. Studierende sind auch häufig bereit, an entsprechender Begleitforschung teilzunehmen. Daneben würde ich mich den Forderungen der Studierenden anschließen, die Kapazitäten für die psycho-soziale Beratungsstelle des Studierendenwerks ausbauen, den Zugang zur Psychotherapie zu erleichtern und auch die Beratung von Studierenden für Studierende zu fördern.



