Belebend oder der Todesstoß?
Die Vorschläge der SPD-Fraktion für die Belebung der Heilbronner Innenstadt lösen bei den Händlern heftige Reaktionen aus

Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. In Stuttgart rechnet man damit, dass "dank" Corona die Mieten in der Königsstraße um bis zu 50 Prozent sinken werden. Und was aber geschieht derzeit in Heilbronn? Die Kontroverse, die sich hier zum Thema "Innenstadtleben" gerade aufbaut, zeigt nicht nur die Ratlosigkeit der Handelnden auf, sondern auch grundsätzlich verschiedene Auffassungen. Die SPD-Fraktion geht bei ihrer traditionellen "Sommer-Pressekonferenz" immer mit einem ganzen Paket von Ideen, Wünschen und Vorstellungen an die Öffentlichkeit. Die unter "Die Innenstadt – Heilbronns vitales Herz" verbreiteten Vorschläge haben die im Verein Stadtinitiative vereinigten Händler aufgebracht: "Anstatt den durch die Corona-Pandemie sowieso schon schwer getroffenen Handel in Heilbronn mit entsprechenden Maßnahmen und Konzepten zu unterstützen, versucht die SPD nun den Todesstoß zu setzen."
Hintergrund
Die zu dieser Thematik vorliegenden Infos und Zahlen vom Deutschen Einzelhandelsverband (HDE) kann man nicht wegdiskutieren: "Die Lage verbessert sich, bleibt aber für viele Händler kritisch", sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Die Trendumfrage zeige, dass rund zwei
Die zu dieser Thematik vorliegenden Infos und Zahlen vom Deutschen Einzelhandelsverband (HDE) kann man nicht wegdiskutieren: "Die Lage verbessert sich, bleibt aber für viele Händler kritisch", sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Die Trendumfrage zeige, dass rund zwei Drittel der befragten Nicht-Lebensmittelhändler in der laufenden Woche (Anm. d. Red.: die letzte Juliwoche) mindestens 75 Prozent des Umsatzes der Vergleichswoche des Vorjahres erreichten. Hauptgrund seien die langsam ansteigenden Kundenfrequenzen. Viele Bekleidungshändler aber durchlebten nach wie vor schwere Zeiten. Die Forderung des HDE angesichts "vielerorts verödender Innenstädte" ist ein "Innenstadtfonds" von 500 Millionen Euro um die Stadtzentren zu unterstützen, die aktuelle Lage zu analysieren und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Niedergang vieler Zentren aufzuhalten. "Das Einkaufen ist für die meisten Menschen der Hauptgrund in die Innenstadt zu kommen. Doch viele Innenstädte sind in extremer Schieflage. Wenn die Kunden nicht mehr zum Bummeln kommen, stimmen die Umsätze nicht mehr", sagt Genth weiter. (bfk)
Die Kontroverse lösten vor allem die Vorschläge von SPD-Fraktionsführer Rainer Hinderer aus, die die Erreichbarkeit mit dem Auto betrafen: "Weitere verkehrsberuhigende Maßnahmen stehen für uns dabei nicht im Widerspruch zur Attraktivierung des Einkaufsstandorts – dafür gibt es mittlerweile hinreichend Belege aus anderen Großstädten, die ihre Zentren weitgehend autofrei gemacht haben." Man müsse "die Bürgerinnen und Bürger und Gäste mit einer hohen Aufenthaltsqualität anlocken, ohne dabei die Interessen der Wohnbevölkerung aus dem Auge zu verlieren". Bei der von Thomas Gauss geführten Stadtinitiative heißt es: "Mit Bestürzung und Fassungslosigkeit hat die Stadtinitiative die Forderungen der Heilbronner SPD zur Kenntnis genommen. Will die SPD sich nicht zum Steigbügelhalter amerikanischer Online-Riesen und zum Totengräber des individuellen Einzelhandels machen, sollte sie diese Position schnellstmöglich überdenken."
Und weiter: "Handel und Gastronomie sind durch die Corona-Krise sehr gebeutelt, will die SPD Heilbronn mit ihrer Forderung einer verkehrsfreien Innenstadt den Heilbronner Händlern und Gastronomen den Todesstoß verpassen?" Auch wenn die Besucherzahlen langsam wieder stiegen, so stecke doch auch die "zweite Welle" in vielen Köpfen, vor allem aber: "Innenstädte wie die von Heilbronn leben zu einem großen Teil vom Individualverkehr. Wenn eine Stadt dann noch als Oberzentrum fungiert, kommt vor allem dem Kundenpotenzial aus dem ländlichen Raum eine hohe Bedeutung zu. In vielen Bereichen ist das ÖPNV-Angebot völlig unzureichend, sodass die Menschen auf das Auto angewiesen sind." Alternativen wie das Fahrrad seien als Einkaufstransportmittel für diese Kunden aufgrund zu großer Entfernung, zu geringer Transportkapazität und oft auch witterungsbedingt ungeeignet.
Tatsächlich lesen sich die SPD-Vorstellungen ziemlich deutlich, beispielsweise wenn eine "beherzte Reduzierung" des fließenden und ruhenden Kfz-Individualverkehrs in der nördlichen Innenstadt (Areal zwischen Allee und Unterer Neckarstraße, Mannheimer Straße und Kaiserstraße) gefordert wird. Denn es sollen auch die Parkplätze an der Lothorstraße im Fußgängerzonenbereich (dies habe die Bauverwaltung längst zugesagt) wegfallen, weitere in dem genannten Gebiet um ein Drittel reduziert werden. Dem nicht genug: Die verbliebenen Parkplätze sollen von 6 bis 20 Uhr je zur Hälfte als Anwohner- und Kurzzeitparkplätze ausgewiesen werden.
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Was die SPD an positiv besetzten Ideen dazu liefert, ist nicht neu. Die Vorschläge kamen schon aufs Tapet, als man vor der Buga negative Auswirkungen auf das Innenstadtleben befürchtete, sie blieben da schon weitgehend Wunschdenken: Begrünung weiterer Innenhöfe, Schaffung von Ruhe- und Spielflächen, Schließung von Baulücken, besonders für die Wohnbebauung, ein besseres Leerstandsmanagement und dazu Pop-Up-Stores, Kunstateliers und -galerien – unter anderem temporäre Nutzungen statt Leerstand.
Die Stadtinitiative erinnert daran, dass in Heilbronn mehrere tausend Arbeitsplätze von Handel, Gastronomie und Dienstleistern in der Innenstadt abhängen. Nach einer aktuellen Schätzung des ifo-Instituts waren im Einzelhandel in Deutschland im Juli rund 240.000 Beschäftigte in Kurzarbeit (Vormonat: 400.000). Die Zahl ist damit zwar rückläufig, allerdings weiter auf hohem Niveau.



