"Der Würgegriff der Ampel wird uns viel Luft für Wichtiges nehmen"
Der Kanzler zaudere und zögere, statt schnell zu helfen. FDP-Finanzminister Lindner sei zum "Schuldenkönig" mutiert. Leistungen für Ukraine-Flüchtlinge kürzen?



CDU-Fraktionschef im Landtag Baden-Württemberg
Von Sören S. Sgries
Heidelberg. Ein steiler Aufstieg: Als Manuel Hagel 2016 erstmals in den Landtag einzog, machte ihn CDU-Chef Thomas Strobl gleich zum Generalsekretär. Inzwischen steht der 34-Jährige an der Spitze der Landtagsfraktion und gilt als potenzieller CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2026 – auch wenn er Fragen danach beharrlich ausweicht.
Herr Hagel, vor rund einem Jahr wurde die CDU im Bund in die Oppositionsrolle befördert. Ist die Umstellung gelungen?
Die Bundestagswahl war eine Niederlage, da gibt‘s nichts zu beschönigen. Jetzt kann man mit so einer Niederlage auf zwei Wegen umgehen: Man kann schmollen, resignieren und die Schuld bei anderen suchen. Oder man nimmt das Ergebnis an, krempelt die Ärmel hoch, drückt das Kreuz durch und packt an. Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden. Sich neu aufzumachen ist anstrengend – aber es ist diese Anstrengung wert.
Ist es für die Südwest-CDU besonders anstrengend, da jetzt in Bund und Land unterschiedliche Rollen eingenommen werden müssen?
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Nein. Wir sind das in der Landesregierung gewohnt. In der letzten Legislaturperiode waren die Grünen in Berlin in der Opposition, jetzt sind wir es. Das beeinträchtigt die Stabilität, die Verlässlichkeit und die Kreativität unserer Koalition in keiner Weise.
Zumal der grüne Ministerpräsident sich ja eher gegen die Ampel-Regierung stellt als an deren Seite, oder?
Unser Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat seine hohe Authentizität ja auch daher, dass er sich wenig an Parteiräson gebunden fühlt – was ja insbesondere für seine eigene Partei gilt. Er spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist – nicht nur dialektisch, sondern auch inhaltlich. Das ist eine sympathische Eigenschaft.
Ist er also in Opposition zur Ampel-Regierung?
Er vertritt in erster Linie die Interessen Baden-Württembergs. Das ist sein Job. Den macht er gut. Da sind wir uns 100-prozentig einig und er hat unsere ganze Unterstützung.
Mit der Folge, dass er nach Ministerpräsidentenkonferenzen in der Tonlage klingt wie CDU-Kollegen wie Hendrik Wüst?
Das deutet darauf hin, dass er auf dem richtigen Weg ist. (lacht) Es ist aber auch wirklich neu, dass die Bundesregierung die Länder mit solch einer Ignoranz in der Sache, mit solch einer Arroganz im Umgang behandelt. In dieser dramatischen Lage geht es darum Kräfte zu bündeln. In der Bundesregierung geht es leider viel zu oft um Parteitaktik und darum, ein sehr brüchiges Ampelbündnis irgendwie notdürftig zusammen zu halten. Die letzte MPK war da sinnbildlich. Wir Länder waren bereit zu Kompromissen. Der Kanzler konnte sich nicht entscheiden, hat gezaudert und gezögert. Das Ergebnis ist, dass es nun ein neues Treffen in zwei Wochen gibt. Da wird wissentlich Zeit verspielt – Zeit, die viele Menschen mit geringem Einkommen und unsere Unternehmen nicht haben.
Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Das endlich auch mal entschieden und danach gehandelt wird. Wir müssen die Energiepreise senken, und das schnell. Nur so kommen die Menschen einigermaßen gut durch den Winter. Und wir müssen unsere Wirtschaft und Industrie stabilisieren, um so Millionen Jobs zu sichern. Das ist doch jetzt die Aufgabe. Es geht um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Bei mir war eine Frau in der Bürgersprechstunde, die hat mir ihren Rentenbescheid hingelegt: 900 Euro. Und ihre Nachzahlung für die Wohnung: 1400 Euro. Sie hatte Tränen in den Augen. Um diese Menschen geht es. Die kann man doch nicht noch zwei Wochen im Unklaren lassen. Wir können uns dieses langsame Trippeln im Kreis nicht mehr leisten. Jetzt ist Führung gefragt.
Lassen Sie uns auf die Bundes-CDU schauen: Beim Landesparteitag am kommenden Wochenende in Villingen-Schwenningen wird Friedrich Merz als Redner erwartet. Überzeugt er Sie als Oppositionsführer?
Ja, sehr. Es ist notwendig, dass zwischen den Parteien Konturen und Unterschiede erkennbar sind. Seit die Ampel-Regierung am Start ist, sehe ich, wie alle wirtschaftlichen Fragen im Grunde immer mit planwirtschaftlichen Ansätzen bekämpft werden. Das hat zur Folge, dass wir die Situation deutlich schlechter im Griff haben als unsere europäischen Nachbarn. Wir haben eine zweistellige Inflation. Preise explodieren. Wir brauchen darauf keine Antworten von Gestern, sondern neue Antworten, marktwirtschaftliche Antworten. Von daher ist auch für uns die Rolle als Opposition mit hoher staatspolitischer Verantwortung verbunden.
Helfen denn "marktwirtschaftliche Antworten" der Rentnerin, die bei Ihnen im Büro Hilfe sucht?
Wichtig ist, dass soziale Härten abgemildert werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Staat nicht jede Härte wird abfedern können. Aus diesem Gedanken heraus ist die Gießkanne der SPD das falsche Instrument. Hilfen müssen zielgenau bei den Menschen ankommen, die sie auch wirklich brauchen. Die 300 Euro Energiegeld gehen doch beispielsweise auch an viele Menschen, die sie gar nicht brauchen. Andere aber brauchen dafür deutlich mehr als diese Summe, damit ihnen geholfen ist. Für alle in diesem Land das Gleiche führt dazu, dass es am Ende eben für keinen das Richtige ist.
FDP-Chef Christian Lindner lässt sich also als Finanzminister zu "planwirtschaftlichen" Instrumenten verleiten?
Ich hatte mehr Hoffnungen in die Rolle der FDP im Bund gesetzt. Christian Lindner ist, seit die FDP regiert, vor allen Dingen eines geworden: ein Schuldenkönig. Mit welcher Leichtigkeit da über die Aussetzung der Schuldenbremse gesprochen wird, über Sondervermögen mit inzwischen ja summiert rund 360 Milliarden Euro Neuverschuldung außerhalb des Haushalts. Da hätte ich mir etwas mehr liberale Durchsetzungskraft gewünscht. Die auf Pump finanzierten Entlastungspakete heute sind die Belastungspakete für künftige Generationen.
Die grün-schwarze Landesregierung hat die Corona-Haushalte doch genauso gestaltet – und profitiert jetzt von schuldenfinanzierten Rücklagen.
Genau deshalb haben wir diese Reserven und Rücklagen doch gebildet. Wir waren doch im Ungewissen, ob diese dann auch benötigt werden. Das ist doch der Sinn von Vorsorge. Und: Wir haben danach auch wieder Schulden zurückgezahlt. So, wie wir es versprochen haben. Dennoch bilden wir erneut mit über einer Milliarde Euro einen Puffer für den Herbst und Winter, für Risiken, die wir noch nicht kennen. Das sind wir den Menschen schuldig. Das ist verlässliches Arbeiten.
Bekommt Baden-Württemberg damit auch das neue Entlastungspaket des Bundes geschultert?
Ich befürchte: Der Würgegriff der Ampel wird uns viel Luft für Wichtiges nehmen. Wir stellen derzeit den Doppelhaushalt auf, mit einem Volumen von über 100 Milliarden Euro. Davon haben wir eine Milliarde Euro quasi als Airbag vorgesehen. Und wir haben einen Spielraum von rund 340 Millionen Euro für die politische Gestaltung. Allein das politische Paket der Bundesregierung von 65 Milliarden Euro – käme es, wie die Scholz-Regierung möchte – würde das Land Baden-Württemberg einmalig mit rund vier Milliarden Euro belastet. Allein die Nachfolge des Neun-Euro-Tickets würde uns strukturell pro Jahr mit 200 Millionen Euro treffen. Um das ohne Ausgleich bei den Regionalisierungsmitteln zu finanzieren, müssten wir die Taktung im Öffentlichen Nahverkehr reduzieren. Heidelberg hat da mit dem Drei-Euro-Ticket im Grunde vorgemacht wie es geht.
Friedrich Merz hatte kürzlich mit der Rede vom "Sozialtourismus" für Aufregung gesorgt. Ist das der richtige Ton für die CDU, die ja eigentlich nicht mehr am rechten Rand fischen will?
Ob der Begriff der richtige war, darüber kann man diskutieren. Aber die inhaltliche Diskussion sollten wir schon in der Lage sein zu führen. Das darf eben gerade nicht nur an den extremen Rändern stattfinden. Was Friedrich Merz zum Ausdruck bringen wollte war doch: Menschen, die aus Not, Tod und Elend Schutz bei uns suchen, wollen wir diesen Schutz gewähren. Wenn allerdings diese Personen dann mehrfach zurückreisen in Gebiete, aus denen sie geflohen sind, um dort Urlaub zu machen, ist doch die Frage zulässig, inwieweit das noch von unserem Asylrecht gedeckt ist. Das muss man ansprechen können, um es entlang von Fakten zu diskutieren.
Sehen Sie denn Migration als ein Thema, das diesen Herbst und Winter ernsthafte Probleme bereiten wird?
Viele Kommunen hissen bereits die weiße Fahne. Wir haben die Flüchtlingszahlen von 2015 und 2016 überschritten. Problematisch ist der Rechtskreiswechsel, dass Geflüchtete aus der Ukraine Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II statt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Unser dringender Appell an die Bundesregierung ist, diesen Rechtskreiswechsel auf gar keinen Fall auf alle auszuweiten. Das wäre ein enormer Pushfaktor für Migrationsbewegungen in unser Land. Es wäre viel mehr geboten, dass auch für die begünstigten Flüchtlinge mit einer Stichtagsregelung wieder abzuschaffen. Es wird hier ein staatliches Leistungsversprechen abgegeben, dass uns geradewegs in eine staatliche Überförderung führt.
Sehen Sie auch größeres Verwerfungspotenzial für die grün-schwarze Landesregierung?
Nein. Der Ministerpräsident hat sich in der Sache ja schon sehr klar geäußert. Unterschiedliche Meinungen sind in einer Koalition normal. Die Grüne Partei, insbesondere die Grüne Jugend sind hier anderer Auffassung – das sollte der Partner für sich klären.
Beim Klimaschutzgesetz sehen Sie sich aber als eine harmonische Einheit?
Unsere Umwelt und unser Klima zu schützen ist mit das beherrschende Thema dieses Jahrzehnts. Wir nennen das "Bewahrung der Schöpfung". Wir dürfen in dieser Frage vor unseren Kindern nicht versagen. Ich habe einen Sohn, der ist vier. Wenn der in 20 Jahren fragt: Papa, warum hat das damals mit der Energiewende nicht geklappt? Dann will ich nicht sagen müssen: Wir fanden halt Windräder nicht so schick. Es ist gut, dass wir Baden-Württemberg zum Klimaschutzland Nr. 1 machen wollen. Dem Idealismus der Grünen den Pragmatismus von uns Konservativen zur Seite zu stellen, bringt diesen Zug nicht nur aufs Gleis, sondern mit Volldampf in die richtige Richtung. Das Klima hat hier zwei starke Partner. Unser Land wird sich positiv verändern – und das so, dass alle mitkommen.