Lebensqualität wie auf Platz in der Toskana
Bei Städtebau-Kongress orientiert sich Vordenker Jan Gehl an einem 1000 Jahre alten Vorbild

In dem Dreieck Bildungscampus - Experimenta - Neckarbogen wird bis 2019 etwa eine halbe Milliarde Euro verbaut. Vor allem was sich auf dem Gelände der Heilbronner Bundesgartenschau tut, findet die Zustimmung des weltweit renommierten Stadtplaners Jan Gehl aus Kopenhagen. Foto: Guzy
Von Hans Georg Frank
Spätestens seit dem Städtebau-Kongress in Heilbronn hat der Städtebau eine brisante politische Bedeutung bekommen. Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen habe sich auch auf das Ergebnis der Bundestagswahl ausgewirkt, erklärte Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, bei dem Kongress. Wohnungen müssten schnell, aber auch in hoher Qualität bereitgestellt werden.
Hintergrund
Die Kräne an vielen Stellen des Stadtbildes zeigen es deutlich: In Heilbronn herrscht aktuell ein Bauboom, der "eine unglaublich spannende und dynamische Phase der Stadtentwicklung" (Oberbürgermeister Harry Mergel) kennzeichnet. Neben 400 Millionen Euro für das SLK-Klinikum
Die Kräne an vielen Stellen des Stadtbildes zeigen es deutlich: In Heilbronn herrscht aktuell ein Bauboom, der "eine unglaublich spannende und dynamische Phase der Stadtentwicklung" (Oberbürgermeister Harry Mergel) kennzeichnet. Neben 400 Millionen Euro für das SLK-Klinikum werden in dem Dreieck Bildungscampus - Experimenta - Neckarbogen eine halbe Milliarde Euro verbaut, rechnete Baubürgermeister Wilfried Hajek (CDU) aus. "Wir treiben den Strukturwandel stark voran", sagte er. Dabei bekämen auch die Bürokraten in der Verwaltung reichlich zu tun, seien doch 90 Änderungen von Bebauungsplänen notwendig geworden. (hgf)
Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD) erinnerte daran, dass trotz aller Großprojekte der "Kernauftrag" nicht vergessen werden dürfe: "Gute Lebensqualität für alle Menschen, gleich wo sie ihre Wurzeln haben." Im Rathaus müsse hinterfragt werden, ob sich die Menschen noch sicher fühlten, ob sie genügend in Überlegungen einbezogen würden, ob Verwaltung und Gemeinderat "noch das notwendige Mitgefühl für die Anliegen unserer Bürgerschaft" aufbrächten.
Bei dem internationalen Kongress mit 420 Teilnehmern in der Aula des Bildungscampus, über den die RNZ bereits im Zusammenhang mit dem Experimenta-Architekten Matthias Sauerbruch berichtete, stand die Innenentwicklung der Städte im Vordergrund. Jan Gehl (81) aus Kopenhagen, angekündigt als "berühmtester Stadtplaner der Welt", kritisierte den Modernismus der 1960er Jahre als fatale Fehlentwicklung. Auch die Ausrichtung auf das Auto sei falsch gewesen. Architekten hätten "das Gefühl für den richtigen Maßstab komplett verloren". Eine Folge seien "zu viele Flächen für zu wenige Menschen".
"Lebenswert, nachhaltig, gesund", so müsse die Stadt der Zukunft sein. Dabei orientiert sich der weltweit aktive Däne am Campo in Siena. Der toskanische Platz aus dem 11. Jahrhundert sei "einer der besten der Welt" - "wir brauchen mehr davon". Geht es nach Gehl, sollen die Menschen als "gesellige Wesen" mehr und einfacher zusammenkommen: "Man soll sich nicht abschotten, das ist dann auch gut für die Demokratie."
Der motorisierte Individualverkehr spielt nach Ansicht des Experten eine immer unwichtigere Rolle: "Die Ära des Automobils neigt sich dem Ende zu." Gehl will Platz schaffen für Fußgänger, er propagierte vor allem den Umstieg auf das Fahrrad. In seiner Heimatstadt Kopenhagen radelten bereits 41 Prozent der Berufstätigen zum Arbeitsplatz. Dazu gehörten Mitglieder der Regierung, wenn sie einen Termin bei der Königin hätten.
Was sich auf dem bebauten Gelände der Heilbronner Bundesgartenschau tut, entspricht den Vorstellungen des Vordenkers: "Hier erkenne ich einiges wieder." Auf dem 40 Hektar großen Areal namens Neckarbogen entsteht ein "urbaner Verdichtungsraum". Dort seien "zukunftsfähige Mobilität, innovative Energieversorgung und ein funktionierendes soziales Zusammenleben" zuhause, versprach OB Mergel. 3500 Bürger sollen dort hinziehen, 1000 Arbeitsplätze entstehen.
Ganz wird das Auto allerdings nicht ausgesperrt, dagegen wehrten sich Investoren, die um profitable Geschäfte fürchteten. Buga-Geschäftsführer Hanspeter Faas will gleichwohl mit den Projekten anecken. Die Bundesgartenschau 2019 müsse eher ein Störfall, denn ein Selbstzweck sein, dann könne sie den Bürgern auch die Angst vor dem Wandel nehmen. Heilbronn versprach Faas unter diesen Umständen "ein quantitatives und qualitatives Wachstum".