Baden-Württemberg

Unis und Hochschulen stellen sich auf rein digitales Semester ein

Die neuen Corona-Maßnahmen stellen auch die Hochschulen im Land vor neue Herausforderungen.

30.10.2020 UPDATE: 30.10.2020 19:28 Uhr 4 Minuten, 30 Sekunden

Symbolfoto: dpa

Von Sören S. Sgries

Stuttgart/Heidelberg. Die offizielle Corona-Verordnung des Landes liegt am Freitag noch nicht vor – die Verwaltung braucht noch Zeit für die Detailarbeit. Doch auf die Grundlinien hat sich das Landeskabinett geeinigt. Und da gibt es durchaus eine kleine Überraschung, die das Wissenschaftsministerium um kurz vor 11 Uhr per Pressemitteilung verkündet.

Präsenz könne es an den Hochschulen nur geben, "wo es epidemiologisch verantwortbar und zwingend erforderlich ist, um eine erfolgreiche Durchführung des Studienverlaufs im Wintersemester sicherzustellen", verkündet Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) kurz vor Semesterbeginn am Montag. "Online-Lehre ist bis Ende November die Regel." Weiterhin möglich könnten aus Sicht des Ministeriums insbesondere Prüfungen, Laborpraktika, praktische Ausbildungsanteile oder Präparierkurse, etwa im Medizinstudium, sein. Alles andere, so die Botschaft der Mitteilung, werde zumindest im November nicht möglich sein. Reduktion des Präsenzbetriebes "auf das absolut notwendige Minimum ist unumgänglich", so Bauer.

Das ist deutlich weniger, als die Hochschulen eigentlich erwartet hatten. Erste Veranstaltungen für die Erstsemester haben in den vergangenen Tagen bereits stattgefunden. Am Montag sollte das Wintersemester offiziell starten – und das zwar nicht im Normalbetrieb. Aber doch mit dem Wunsch "so viel Präsenzveranstaltungen durchzuführen wie irgend möglich". So jedenfalls stand es in einem Konzept, auf das sich die Landesrektorenkonferenz (LRK) bereits im Sommer geeinigt hatte.

Vor allem Studienanfänger und diejenigen, die kurz vor einer Abschlussprüfung stehen, sollten Vorrang haben, hieß es damals. Denn gleichzeitig war man sich natürlich bewusst, dass keinesfalls "Normalbetrieb" möglich sein würde. Vorlesungen mit teils mehren hundert Teilnehmern, ständig wechselnde Zusammensetzung – da lässt sich weder der vorgesehene Mindestabstand noch die sichere Nachverfolgung von Infektionsketten garantieren.

Vom Vorsitzenden der LRK, dem Hohenheimer Universitätsrektor Stephan Dabbert, heißt es am Freitag, die Universitäten wollten "die Vorgabe der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten, die zwischenmenschlichen Kontakte um mindestens 75 Prozent zu reduzieren, für ihren Bereich deutlich übererfüllen". Gleichzeitig sei der erneute Digitalbetrieb der Lehre "schmerzlich" für viele – insbesondere für Erstsemester. Man hoffe daher darauf, "baldmöglichst wieder schrittweise in den Präsenzbetrieb überzugehen".

Offiziell reagiert man also besonnen, zeigt Verständnis für die Maßnahmen. Doch vor Ort ist auch Resignation, ist Unmut zu spüren – etwa wenn der Heidelberger Uni-Rektor Bernhard Eitel beklagt, die Bedürfnisse der Studienanfänger würden "überhaupt nicht gesehen". Und hinterfragt, warum der große Aufwand, mit dem Hygienekonzepte aufgestellt wurden, nun nichts mehr wert sei – aber andernorts dutzende Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer sitzen dürften.

Tatsächlich sollen Kitas und Schulen – also andere Bildungseinrichtungen – auch laut gemeinsamem Beschluss der Regierungschefs bundesweit explizit geöffnet bleiben. Die Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts hat dort Priorität.

Gegenüber der RNZ erklärte Bauer am Freitagabend, die Einschränkungen an den Hochschulen seien wichtig, um die Infektionswelle zu brechen, und so den Lockdown zu verhindern. "Diese gemeinsame Kraftanstrengung ist nötig, damit Kitas und Schulen und das Wirtschaftsleben so weit wie möglich offen gehalten werden können", so Bauer. Dafür danke sie den Hochschulen sehr. An der Reduktion des Präsenzbetriebes führe leider kein Weg vorbei.

Mit Blick auf die Erstsemester sagte die Ministerin, sei dies "zweifellos nicht optimal für den Studienstart, aber es ergibt Sinn, um Voraussetzungen für hoffentlich bessere Bedingungen in den Folgemonaten zu schaffen". Sie wünsche den Betroffenen, dass das Infektionsgeschehen schon im Dezember mehr direkte Begegnungen zulasse. "Das Studium braucht die reale Begegnung, das werden die Erstsemester von heute hoffentlich auch bald kennen und lieben lernen."

Update: Freitag, 30. Oktober 2020, 19.27 Uhr


Stuttgart. (dpa-lsw) Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) hat die Universitäten und Hochschulen im Land auf ein Semester mit noch weniger Präsenz eingestimmt. Die kurzfristig notwendige Reduktion des Präsenzbetriebes auf das absolut notwendige Minimum sei unumgänglich, teilte die Ministerin am Freitag in Stuttgart mit. Es sei unumgänglich, die Kontakte aller drastisch zu reduzieren, damit die Infektionswelle jetzt gebrochen werde.

Online-Lehre sei damit bis Ende November die Regel. "Präsenz kann es nur geben, wo es epidemiologisch verantwortbar und zwingend erforderlich ist, um eine erfolgreiche Durchführung des Studienverlaufs im Wintersemester sicherzustellen", sagte die Ministerin laut einer Sprecherin. Zu möglichen Veranstaltungen in Präsenz zählen aus Sicht des Ministeriums Prüfungen, Laborpraktika, praktische Ausbildungsanteile oder Präparierkurse, etwa im Medizinstudium.

Die Hochschulen hatten in den vergangenen Monaten viel Zeit und Arbeit in Lehrkonzepte gesteckt, um ein Semester im Digitalen wie auch in Maßen in Präsenzform ermöglichen zu können. Ministerin Bauer warb angesichts der nun anstehenden Einschränkungen um Verständnis. Sie danke allen Hochschulverantwortlichen und Lehrenden, die mit größtem Engagement und Sorgfalt ihre Planungen für das Wintersemester bereits erstellt hätten und diese nun in einer weiteren Kraftanstrengung nochmals kurzfristig ändern müssten. "Ich wünsche mir sehr, besonders für die Erstsemester, dass das Infektionsgeschehen dann im Dezember wieder mehr Präsenzveranstaltungen und direkte Begegnungen zulässt, denn Hochschule und Studium kommen auf Dauer nicht ohne das aus."

Die Hochschul- und die beiden Landesbibliotheken sollen unter Einhaltung besonderer Schutzmaßnahmen auch im November geöffnet bleiben und so das wissenschaftliche Arbeiten laut Ministerium weiter ermöglichen.

Die Universitäten im Land werden ihren Betrieb nun entsprechend anpassen. Der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der baden-württembergischen Universitäten, Stephan Dabbert, teilte mit, die Universitäten hätten Verantwortung für ihre über 160 000 Studierenden und ihre vielen tausend Forschenden, Lehrenden und Mitarbeiter. Schon deshalb, aber auch aus Verantwortung für die Gesellschaft insgesamt, täten sie alles, um die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die Vorgabe, die zwischenmenschlichen Kontakte um mindestens 75 Prozent zu reduzieren, würden sie dabei deutlich übererfüllen.

Der erneute Digitalbetrieb der Lehre sei für viele ihrer Mitgliedergruppen schmerzlich, sagte Dabbert, der Rektor der Universität Hohenheim ist. "Das gilt in besonderem Maße für die Erstsemesterstudierenden, für die derzeit kaum Möglichkeiten bestehen, den Semesterbetrieb direkt vor Ort zu erleben." An der Universität Hohenheim hatte es etwa am Donnerstag nur vereinzelt Einführungsveranstaltungen in Präsenzform für neue Studierende gegeben.

Auch die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) sehen sich vor einem fast ausschließlich digitalen Wintersemester. Einige Hochschulen im Land, die sich in besonders betroffenen Gebieten befänden, seien den Schritt zur rein digitalen Lehre bereits vorsorglich vor dem nun gefällten Beschluss des Wissenschaftsministeriums gegangen, teilte der Geschäftsführer der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften Baden-Württemberg, Benjamin Peschke, mit.

Der Vorstand der HAW-Rektorenkonferenz, Bastian Kaiser, betonte aber, dass ein Hochschulbetrieb ohne Präsenz, mittlerweile im zweiten Semester in Folge, nicht ohne erhebliche negative Folgen bleiben werde. "Die konkreten Folgen für die Kompetenz- und für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Leute werden wir erst nach und nach beurteilen können. Wir tun, was wir können (...), aber die in diesem Lebensabschnitt besonders wichtigen sozialen Kontakte, Erfahrungen und den Erwerb der damit verbundenen Kompetenzen, können wir digital nicht vollständig ersetzen."

Die hochschulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Gabi Rolland, sieht vor allem die Studierenden durch die erschwerten Bedingungen geschwächt: "Die Qualität der Lehre wird ohne Präsenzveranstaltungen leiden", teilte sie am Freitag mit. Viele Studierende hätten zudem existenzielle finanzielle Sorgen. Rolland forderte deshalb die Fortführung des Nothilfefonds und die anteilige Übernahme des Beitrags für das Semesterticket vom Land. "Angesichts der fehlenden Präsenzveranstaltungen werden die meisten Studierenden das Semesterticket ohnehin nur wenig nutzen."

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