Die Industrie fürchtet die Landes-Maut
Der grün-schwarze Koalitionsvertrag sieht eigentlich eine Abgabe für Landes- und Kommunalstraßen vor. Doch angesichts gestiegener Kosten schert die CDU nun aus.

Von Theo Westermann, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Bei den Speditionen und Wirtschaftsverbänden sorgt das Thema Maut auf Landes- und Kommunalstraßen schon seit Wochen für Ärger. Als vor einigen Tagen Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) stolz sein Bündnis mit Verbänden und Unternehmen der Speditionsbranche zum Umstieg auf klimaneutrale Antriebe vorstellte, warnte der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BIHWK) im Nachgang ausdrücklich vor einer Landesmaut.
"Ich ärgere mich, dass ich damals nicht gleich konkret zur Landesmaut etwas gesagt habe", sagt Micha Lege, Präsident des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg, am Montag gegenüber unserer Redaktion. Er saß damals mit auf dem Podium und warnte mit Blick auf die Bundesmaut generell vor massiven Zusatzbelastungen. Der Minister nahm es schweigend zur Kenntnis.
Für das Projekt einer Landesmaut für Lkw konnte Hermann in den vergangenen Monaten kein anderes Bundesland gewinnen. Nun will er "eine geeignete landesrechtliche Regelung" umsetzen, wie es der Koalitionsvertrag vom Mai 2021 vorsieht. Allerdings verweigerte ihm nach Informationen unserer Redaktion das grün geführte Finanzministerium bereits eine entsprechende Anschubfinanzierung im Doppelhaushalt 2023/24.
Vergangene Woche brannte bei dem Thema Maut tatsächlich die Hütte. Brandbeschleuniger war ein mautkritisches Interview des CDU-Verkehrsexperten Thomas Dörflinger im SWR sowie der zeitgleiche Beschluss des Bundestags, der eine Verdoppelung der Maut auf Autobahnen und Bundesstraßen und eine Ausweitung auf weitere Fahrzeugklassen billigte. Nach dem jüngsten Streit über das Mobilitätsgesetz wurde erneut deutlich, wie weit die Stuttgarter Koalition aus Grünen und CDU beim Thema Verkehr auseinander ist. Es folgte ein Sturmlauf sämtlicher Organisationen der Speditionsbranche im Südwesten – verstärkt noch durch scharfe Kritik der einflussreichen Verbände Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), BIHWK sowie Handwerk BW.
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Inzwischen sitzt Micha Lege wieder an seinem Schreibtisch in Geislingen an der Steige, wo er die Geschäfte der Spedition Wiedmann & Winz mit rund 100 eigenen Lkw und 400 Mitarbeitern führt. Aktuell berechnet er gerade die Zusatzkosten ("Irgendjemand muss das bezahlen") der Bundesmaut für seine Kundschaft: "Vor diesem Hintergrund kommt eine zusätzliche Maut im Südwesten zur völligen Unzeit." Die Transport- und Logistikdienstleister seien bereits bis zum Anschlag belastet, genauso deren Kunden, genauso die Verbraucher, mahnt Lege.
Auch Vertreter des Bundesverbands Güterkraftverkehr BGL Süd und des Verbandes Verkehrsgewerbe Baden warnten vor einer "baden-württembergische Sonderregelung in der derzeitigen Krise", sahen einen Schlag gegen den ländlichen Raum, massive Standortnachteile sowie einen Verlust von Arbeitsplätzen.
"Das gleichzeitige Timing mit dem Bund hat die Branche völlig aufgebracht", so der CDU-Verkehrsexperte Dörflinger gegenüber unserer Redaktion. Die CDU stehe zum Koalitionsvertrag. Aber wie in anderen Bereichen müsse man feststellen: "Seither ist viel geschehen." Die Rahmenbedingungen hätten sich geändert.
Die Grünen-Verkehrsexpertin Silke Gericke sagte ihrerseits: "Wir prüfen, eine Lkw-Maut nach Schweizer Vorbild in Baden-Württemberg umzusetzen." Das Lkw-Mautsystem in der Schweiz gilt für alle Fahrzeuge über 3,5 Tonnen auf allen Straßen und basiert auf der Strecke, Gesamtgewicht und Emissionsklasse. Gemessen wird im Prinzip mit einer On-Board-Unit, gedacht noch hauptsächlich für Schweizer Fahrzeuge, gestützt auf GPS-Daten. Eine automatisierte Datenerhebung für alle wird aktuell vorbereitet.
Der Plan ist aber noch nicht wirklich weit gediehen. Der Koalitionsvertrag mit den Vereinbarungen zur Maut für die insgesamt rund 10.000 Kilometer Landes- und Kommunalstraßen sei weiterhin "uneingeschränkt maßgeblich", teilte eine Sprecherin des Verkehrsministeriums mit. Die internen Vorbereitungen für einen Gesetzentwurf liefen. Einen Zeitplan zur Einführung gebe es aber noch nicht.