40 Jahre Grüne im Südwesten

"Wir haben dauernd auf den Deckel gekriegt"

Andreas Graf von Bernstorff und Andreas Werner blicken zurück

01.10.2019 UPDATE: 03.10.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 24 Sekunden

"In der Heidelberger Szene gab es heftige Flügelkämpfe", erinnern sich Andreas Werner (l.) und Andreas Graf von Bernstorff (r.). Foto: vaf

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. Zu den bekanntesten Sprüchen, mit denen die "Grünen" sich selbst loben, gehört sicherlich dieser: "Wir sind nicht rechts, nicht links, sondern vorn." Ein Selbstverständnis als progressive Kraft, das ebenso alt ist wie die Partei selbst. 40 Jahre nämlich. Am 30. September 1979 wurde die Landespartei in Baden-Württemberg in Sindelfingen gegründet.

"Am Anfang war das ein ziemliches Gewürge", erinnerte sich Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn, einer der Parteigründer, kürzlich beim vorgezogenen "Jubiläumsparteitag" in Sindelfingen. "Es war die größte Leistung, dass wir es ausgehalten haben und zusammengeblieben sind", räumte der 64-Jährige ein. "Es gab extrem viele Formelkompromisse." Den bekannten Satz ("nicht rechts, nichts links"), zählte er explizit dazu. "Ein Spruch, der zwar beklatscht wurde, auch heute noch - aber letzen Ende hat es nicht ganz gestimmt."

Die Gründungsgeschichte der Grünen als Ringen um die richtige Richtung - diesen Eindruck bestätigen auch Andreas Werner und Andreas Graf von Bernstorff im Gespräch mit der RNZ, in dem sie auf die grünen Anfänge in Heidelberg zurückblicken. Wie die Partei werden konnte, was sie heute ist: Aus ihren Schilderungen lässt es sich erahnen.

Da ist zunächst die "innere Befriedung" des bunten Grüppchens, das sich Ende der 70er zusammenfand. "In der Heidelberger Szene gab es heftige Flügelkämpfe", sagt Werner. Der 68-jährige Mediziner kam aus dem Umfeld der Studentenbewegung, von der "undogmatischen Linken". Am Anfang dominierte eine Diskussionskultur, "wo diejenigen siegten, die am längsten aufbleiben können", erinnert er sich. Die Folge: Wer am nächsten Morgen arbeiten musste, wer vielleicht Familie hatte - der drohte in den Debatten unterzugehen. "Es gab die Strategie, möglichst lange zu diskutieren", sagt Werner. Wie das Problem gelöst wurde? Es wurde schließlich durchgesetzt, dass Abstimmungen nach 22 Uhr nicht mehr zulässig sind.

Ein zweiter Punkt, den Andreas Graf von Bernstorff hervorhebt: Schon früh seien die Südwest-Grünen auch in Milieus präsent gewesen, die sicherlich nicht zu den großen Freunden der jungen "Anti-Parteien-Partei" gehörten. Und er, der linke Student mit dem Türöffner-Namen für konservative Kreise, sprang gerne ein.

So erinnert sich der 74-Jährige noch gut daran, wie er beispielsweise beim Landesjagdverband auf Versammlungen war. "Wir haben nicht gedacht, dass wir die zu Wählern machen können", sagt er. "Aber wir wollten die Stimmung neutralisieren. Wollten, dass die aufhören, uns ’Scheißkommunisten’ zu nennen." Auch dass die Grünen im Landtag - Bernstorff selbst war 1984 bis 1986 Abgeordneter - die kleinen "Zwergschulen" auf dem Land verteidigten, die doch eigentlich als "reaktionär" galten, sieht er als Pluspunkt. "Solche Dinge haben uns in Baden-Württemberg stärker gemacht als in anderen Bundesländern. Wir waren auf der Höhe unserer Zeit." Auch wenn sie auf Demonstrationen noch jederzeit mit Prügeln rechnen mussten - "wir haben dauernd auf den Deckel gekriegt", so Werner.

Zu den Höhepunkten der Parteigeschichte zählen die beiden Urgesteine nicht nur den Wahlabend im März 2011 in Baden-Württemberg ("umstürzend"). Sondern vor allem die erste Regierungsbeteiligung schon 1985 in Hessen. "Das war Herzklopfen", erinnert sich Werner. Und auch die Regierungsbeteiligung 1998 im Bund war natürlich eine große Sache. Aber auch schmerzhaft. Nicht nur wegen der Debatten um die Kriegsbeteiligung im Kosovo 1999. Auch der Trend zur Deregulierung, dieser "neoliberale Schlag" unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder ("Agenda 201") habe ihm nicht gefallen, sagt Bernstorff. "Es war bitter, dass die Grünen da mitscheiterten."

Er selbst war da aber auch schon in anderer Position unterwegs: Bei Greenpeace kümmerte er sich verantwortlich um Kampagnen gegen Giftmülltransporte - international vernetzt. Bei den Grünen wäre das damals, als Bernstorff 1989 den Job als Berater im Landtag gegen einen bei der Umweltorganisation tauschte, noch nicht möglich gewesen. Das wäre heute auch anders, ist er sich sicher. Seine Partei: Sie ist in 40 Jahren nicht nur deutlich größer, sondern auch professioneller geworden.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.