Schleudersitz Verteidigungsministerin

Christine Lambrecht gibt Medien die Schuld am Rücktritt

Wer kommt nach dem Lambrecht-Rücktritt als Nächstes? Die Erwartungen sind hoch. Für Kanzler Scholz kann die Personalie zum Befreiungsschlag werden.

17.01.2023 UPDATE: 17.01.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 33 Sekunden
Juli 2022: Christine Lambrecht begegnet dem Bundeswehrroboter mit Vorsicht. SPD-Chef Lars Klingbeil (r.) schaut gelassen zu. Archiv-Foto: AFP

Von Mareike Kürschner, RNZ Berlin

Berlin. Es ist ein Abschied voller Bitterkeit. Die schriftliche Erklärung, mit der Christine Lambrecht am Montagmorgen per E-Mail ihren Rücktritt als Verteidigungsministerin verkündet, besteht nur aus fünf Sätzen. Der zentrale lautet: "Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürger Deutschlands kaum zu."

Mit anderen Worten: Die Medien sind schuld, jedenfalls in Lambrechts Welt. Mit diesen Medien will die scheidende Ministerin am Montag dann auch lieber nichts mehr zu tun haben. Auf eine Erklärung vor laufenden Kameras – wie sonst üblich – verzichtet sie. Erstmal abtauchen. Eine skurrile Amtszeit voller Pleiten und Pannen nimmt ein skurriles Ende.

Wer nun den amerikanischen Verteidigungsminister Lloyd Austin am Donnerstag im Bendlerblock empfängt und Deutschland in Ramstein einen Tag darauf bei der nächsten Ukraine-Konferenz vertritt? Zu Beginn der Woche weiß das keiner – außer dem Kanzler. Zumindest tut er so.

Die Nachricht von Lambrecht kursierte bereits über das Wochenende, die Meldung über den Abgang war nur noch Formsache. Schon längst konzentrierte sich die Berichterstattung auf die Nachfolge. Für Scholz kann die Personalie zum Befreiungsschlag werden – wenn sie gut durchdacht ist.

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"Ich habe eine klare Vorstellung", sagte der Kanzler am gestrigen Montag bei einem Besuch des Rüstungskonzerns Hensoldt in Ulm über die Nachfolge. "Das wird sehr schnell für alle bekannt werden, wie das weitergehen soll." In Scholz‘ Terminplan bleibt für die Ernennung eigentlich nur der heutige Dienstag. Am Mittwoch ist Kabinettssitzung, danach fliegt er zum Weltwirtschaftsforum nach Davos.

Und am nächsten Tag wird bereits der Amerikaner im Bendlerblock erwartet. Allein diese Eckdaten drängen den Kanzler zu einer schnellen Entscheidung. Auch in der Frage der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine erhöhen die internationalen Partner weiter den Druck auf die Bundesregierung. Deutschland, das Führungsnation in der Nato sein will, kann nicht führungslos auf dem Verteidigungsposten in die nächsten Tage gehen. Eine Schonfrist bekommt der oder die Neue nicht.

Gesucht wird jemand mit Prokura, der ein Haus wie das Verteidigungsministerium leiten kann, und Fachwissen über das Militär mitbringt. Nur wenige kommen da in Frage, der Kanzler scheint fündig geworden zu sein.

Gehandelt werden die Namen der Wehrbeauftragten Eva Högl, des Arbeitsministers Hubertus Heil, des Kanzleramtschefs Wolfgang Schmidt und des SPD-Chefs Lars Klingbeil. Gut möglich ist aber auch eine Entscheidung zugunsten eines Fachmanns aus dem Militär. Dem könnte wiederum das politische Gespür fehlen.

Zuletzt wurden die Entscheidungen in Sachen Waffenlieferungen an die Ukraine allein im Kanzleramt gefällt. Dass Deutschland "zum Jagen getragen werden muss", ist ein Vorwurf, der eher an Scholz als an Lambrecht geht. Vermutlich hätten aber auch mehr Impulse aus dem Bendlerblock diese Entscheidungen beeinflussen können.

Scholz lag mit der ihm loyalen, aber am Militärischen desinteressierten Lambrecht im "Schleudersitzministerium" daneben. Trotz aller lobenden Worte dürfte ihm das bewusst sein. Einen weiteren Missgriff kann er sich nicht erlauben. International sind die Erwartungen an den Wechsel groß. "Ich hoffe, dass ihr Nachfolger das nötige Format mitbringt, um Deutschland zu einer Führungsrolle innerhalb der Nato zu verhelfen", sagte der ehemalige Oberkommandeur der US-Truppen in Europa, Ben Hodges.

Natürlich darf gemutmaßt werden, dass Lambrecht ohne den Ukraine-Krieg und die Zeitenwende den Job schon irgendwie gemacht hätte. Doch "irgendwie" reicht in Zeiten eines Krieges mitten in Europa nicht.

Die Verteidigungsministerin stand medial im Fokus – damit umgehen konnte sie nicht, wie am Ende der Rücktrittsfarce auch ihre kurze Pressemitteilung zeigte: Selbstkritik findet sich in den wenigen Zeilen nicht. Es ist ein Spiegel ihrer Amtszeit.

Für den oder die Neue gilt jedenfalls: Die seit Jahren überfälligen Reformen im Wehrressort müssen endlich in Gang gebracht werden, wenn Deutschland seiner Führungsrolle in Europa gerecht werden will. Dafür müssen Beschaffung und Abgabe von Kriegsgerät Hand in Hand gehen – und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie es derzeit praktiziert wird.

Spätestens in Ramstein werden die Nato-Partner eine klare Antwort zur Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern an die Ukraine fordern. Wegducken hinter der Ansage, keine Alleingänge zu unternehmen, kann sich Scholz nach der Kampfpanzer-Ankündigung der Briten nicht mehr.


Die Pannen im Amt

Seit ihrem Amtsantritt als Verteidigungsministerin im Dezember 2021 stand Christine Lambrecht unter Beobachtung. Dabei hat die SPD-Politikerin nicht immer eine gute Figur gemacht: 

> Dienstgrade: Ob sie sich alles sofort merken müsse, will Lambrecht gleich zu Amtsantritt bezüglich der soldatischen Dienstgrade gefragt haben. Als zivile Ressortführung müsse sie nicht jeden sofort mit Dienstgrad ansprechen. 

> Pumps: Lambrecht ist bekannt dafür, dass sie gern hochhackige Schuhe trägt. Bisweilen wird das als unangebracht angesehen – unter anderem im April 2022, als sie deutsche Truppen in der Wüste Malis besucht

> Helme: Als Russland im Januar 2022 Truppen an der ukrainischen Grenze aufmarschieren lässt, verkündet Lambrecht, dass Deutschland 5000 militärische Schutzhelme liefere. Dies sei ein "ganz deutliches Signal: Wir stehen an Eurer Seite", sagt sie. Bei den Ukrainern kommt das nicht gut an.

> Sylt-Urlaub: Im April 2022 nimmt Lambrecht in einem Regierungshubschrauber ihren volljährigen Sohn mit. Am nächsten Tag geht es in den Sylt-Urlaub. Lambrecht schießt ein Foto ihres Sohnes im Heli, das dieser bei Instagram veröffentlicht. Laut Ministerium hatte sie den Mitflug beantragt, die Kosten bezahlt.

> Hessen-Wahl: Im Mai 2022 plaudert Lambrecht interne Gedanken über die Zukunft der Bundesinnenministerin aus: "Ich setze darauf, dass Nancy Faeser nicht nur Spitzenkandidatin wird, sondern auch die erste Ministerpräsidentin in Hessen." 

> Silvester-Video: Unter dem Lärm von Raketen und Böllern blickt Lambrecht per Instagram-Video in der Silvesternacht auf 2022: "Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte. Viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen."