Sandra Detzer im RNZ-Interview

Grünen-Landeschefin setzt auf Kretschmann als Spitzenkandidat

Sie fordert die erdölfreie, klimaneutrale Gesellschaft - "Wir wollen einen radikalen Weg gehen - aber in kleinen, machbaren Schritten"

11.09.2019 UPDATE: 11.09.2019 19:30 Uhr 6 Minuten, 5 Sekunden

"Es kann sein, dass wir die CDU ein bisschen zu sehr geschont haben", kündigt Detzer härtere Auseinandersetzungen an. Foto: Sgries

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. Seit 2016 führt die Heidelbergerin Sandra Detzer (39) gemeinsam mit ihrem Co-Vorsitzenden Oliver Hildenbrand als Parteichefin die Südwest-Grünen. Sie rechnet fest damit, den kommenden Landtagswahlkampf mit dem amtieren Ministerpräsidenten zu bestreiten. "Wir gehen als Parteispitze stark davon aus und hoffen, dass wir mit dem Spitzenkandidaten Kretschmann auch in die Landtagswahl 2021 starten", sagte sie der RNZ.

Frau Detzer, an diesem Donnerstag, 11 Uhr, treten Sie zusammen mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor die Presse. Wird er 2021 erneut kandidieren? Was können Sie uns verraten?

Wir sind als Grüne Baden-Württemberg stark aufgestellt, auch dank eines sehr beliebten und bekannten Ministerpräsidenten an der Spitze. Wir gehen als Parteispitze stark davon aus und hoffen, dass wir mit dem Spitzenkandidaten Kretschmann auch in die Landtagswahl 2021 starten.

Damit wären ausgerechnet die Grünen die Partei, die auf das Altbewährte, Traditionelle setzt. Kommt Ihnen das nicht komisch vor?

Auch interessant
CDU-Wahlkampf: Was kann die Spitzenkandidatin vom Verlierer lernen?
Wenn nicht er, wer dann?: Viele erwarten, dass Kretschmann weiter machen will
Baden-Württemberg: Was der Grünen-Fraktionschef von der CDU erwartet

Es wäre schade, den besten Ministerpräsidenten, den dieses Land je hatte, nicht noch einmal ins Rennen zu schicken. Wir verbinden den Anspruch als Partei, progressiv zu sein, nach vorne zu blicken, mit der Erfahrung, die der Ministerpräsident mitbringt. Diese Mischung ist ein Erfolgsrezept.

Ist für Sie seit dem Sommer eigentlich der Wahlkampf schon eröffnet - seit die CDU ihre Spitzenkandidatin gekürt hat?

Nein. Wir setzen auf einen kurzen Wahlkampf. Wichtig für uns als Partei ist, dass in den kommenden Monaten trotzdem sichtbar ist, welche grünen Positionen wir vertreten, bevor man in die Kompromissfindung in der Koalition geht. Es kann sein, dass wir die CDU ein bisschen zu sehr geschont haben, weil sie ja eine harte Zeit hat - die personellen Querelen, der Umgang mit dem rechten Rand, die Konzeptionslosigkeit. Trotzdem haben wir in der Koalition auch als sehr unterschiedliche Partner vieles auf den Weg gebracht.

Wird der Doppelhaushalt nicht gerade doch auch aus wahltaktischen Gründen sehr genau abgeklopft?

Wir haben eine exzellente grüne Finanzministerin, sie sorgt dafür, dass die zentralen Zukunftsaufgaben nicht hintenrunterfallen. Es zeichnet sich ab, dass wir einen Schwerpunkt beim Klimaschutz setzen. Dabei unterstützt uns auch der Agrarminister der CDU. Bildung und gesellschaftlicher Zusammenhalt bleiben weiter Thema. Insofern erwarte ich keine großen Unterschiede zum vorherigen Haushalt.

Die Kultusministerin erleben Sie noch nicht als Wahlkämpferin?

Ich glaube, dass der Spagat zwischen Spitzenkandidatur und Ministeramt schwierig ist und noch schwieriger wird. Aber das hat sie gewusst. Augen auf bei der Berufswahl!

Der kommende Landesparteitag steht im Zeichen von "40 Jahre Grüne". Welchen Raum bekommt da die Zukunft?

Wir wollen nicht nur in Nostalgie zurückblicken. Wir wollen weiter innovative, gute Lösungen liefern für Probleme, die die Gesellschaft beschäftigen. Da ist insbesondere der Klimaschutz gerade eine Menschheitsfrage. Wir stehen vor entscheidenden Kipppunkten, an denen wir noch etwas an den Ausmaßen der Erderwärmung ändern können. Deshalb steht der Klimaschutz im Zentrum dieses Parteitags.

Mit welchem Ziel?

Wir brauchen ambitionierten Klimaschutz jetzt um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Am schnellsten geht das, wenn wir Klimaschutz zum Geschäftsmodell machen. Deshalb sind Verbotsdebatten irreführend: Mit einzelnen kleinen Maßnahmen und Verboten bekommen Sie nie die Dynamik hin, die Sie brauchen, um global zentrale Schritte vorwärts zu kommen.

Ist es politisch nicht ein etwas dürftiger Ansatz zu sagen: Liebe Wirtschaft, jetzt macht mal - ihr könnt damit auch Geld verdienen?

Im Gegenteil. Es ist hoch anspruchsvoll, weil Politik einen guten ordnungspolitischen Rahmen setzen muss, damit Anreize für eine klimafreundliche Wirtschaft funktionieren. Ein negatives Beispiel: Die Windkraft-Branche steht in den Startlöchern. Wir haben dort aktuell knapp 340.000 Arbeitskräfte. Doch die Bundesregierung hat den Ausbau gedeckelt und die Bedingungen so unattraktiv gemacht, dass wir Gefahr laufen, diese Arbeitsplätze zu verlieren. Das ist ein Beispiel, wie schlechte politische Regulierung den Klimaschutz und die Energiewende ausbremsen kann.

Ihr Leitantrag setzt einige Zielmarken, etwa für ein "fossilfreies Baden-Württemberg" bis 2040. Aber wo sind - jenseits der Wünsche - die politischen Hebel dafür?

Der ganz große politische Hebel, den wir sehen, ist die CO2-Bepreisung. Es stimmt, das entscheiden wir nicht im Land. Aber wir setzen große Erwartungen in das Klimakabinett am 20. September. Wenn dort die richtigen Entscheidungen getroffen werden, können sich die handelnden Unternehmen daran ausrichten. Zielvorgaben wie beim Ökolandbau sind aber wichtig, um zu illustrieren, wie die Richtung sein muss. Unterm Strich wollen wir die Regeln so gestalten, dass klimafreundliches Verhalten günstiger und klimaschädliches Verhalten teurer wird.

Sie schauen also zunächst zu, was CDU und SPD auf Bundesebene beschließen und lehnen sich im Land zurück?

Überhaupt nicht! Wir können eine erfolgreiche Bilanz vorweisen. Der Anteil von Photovoltaik auf Landesflächen hat sich verdoppelt. Der Zubau an Windkraft in Baden-Württemberg hat sich unter grüner Regierung fast verdreifacht. Wir haben die Verkehrswende eingeleitet, so dass Sie jetzt im Nahverkehr über Verbundgrenzen hinweg einfacher und billiger fahren können. Klar ist aber auch: Alleine kann Baden-Württemberg die gesamtgesellschaftliche Aufgabe nicht stemmen.

Das "Volksbegehren Artenvielfalt" wünscht sich aber deutlich mehr. Unterstützen Sie dieses Anliegen eigentlich?

Wir unterstützen das Volksbegehren mit großer Vehemenz. Es ist genial, wenn sich Leute zusammentun, um für mehr Artenvielfalt zu kämpfen. Die Grünen vor Ort sollen ausdrücklich unterschreiben. Gleichzeitig will ich als Landesvorsitzende betonen: Die grün-geführte Landesregierung macht schon sehr viel, weil wir als Grüne den Naturschutz schon seit 2011 ins Zentrum gerückt haben.

Viel ist bei den Grünen die Rede von einer "radikal" anderen Politik, auch von einem parteiinternen Umdenken. Was ist aber radikal daran, sich wieder auf den alten Markenkern Umwelt zu fokussieren?

Ich finde die Begrifflichkeit "radikal" manchmal irreführend. Sie suggeriert, man müsse alles anders machen, manchmal ist sogar vom Aussetzen der Demokratie die Rede. Aber der Wandel hin zu einer erdölfreien, klimaneutralen Gesellschaft, wie wir ihn beschreiben, der ist durchaus eine radikale Perspektive. Das wird die Gesellschaft komplett verändern. Als größte Regierungspartei wollen wir diesen ambitionierten und radikalen Weg erfolgreich gehen - aber in kleinen, machbaren Schritten. Das mag dröge erscheinen. Aber das ist es nicht.

Sie fürchten doch bloß, wieder in die Ecke der "Verbotspartei" gesteckt zu werden.

Das sehe ich anders. Wir sagen zum Beispiel klar, dass wir raus wollen aus dem erdölbasierten Verbrennungsmotor. Dass wir klimaschädliche Subventionen wie die Steuerbefreiung von Kerosin beenden wollen.

Aber Sie scheuen es doch, ganz klar zu sagen: Wir wollen den Diesel teurer machen.

Ich habe im Gegenteil den Eindruck, dass es von den Menschen geschätzt wird, wenn jemand eine klare Meinung vertritt. Da geben uns die Wahlergebnisse recht. Es ist eine falsche Annahme, dass immer die weichgespülte Position die erfolgreiche ist.

Ist es für die Partei nicht auch ein Rückschritt, dass Sie die thematische Breite wieder engführen auf die Klimapolitik?

Wir sind als Partei thematisch breit aufgestellt. Die letzten Parteitage beschäftigten sich mit Europa, mit Wohnen, mit gesellschaftlichem Zusammenhalt und Sicherheit. Jetzt wollen wir den aktuellen gesellschaftlichen Rückenwind für Klimaschutz nutzen, den beispielsweise "Fridays for Future" mit erzeugt haben. Man kann den Schülerinnen und Schülern gar nicht genug danken, denn machen wir uns nichts vor: Wenn nicht jeden Freitag so viele Jugendliche demonstrieren würden, würde das Klimakabinett vermutlich nicht tagen.

Sie haben in den Sommerferien das Thema Bildung aufgegriffen. Ist da nicht noch mehr Positionierung notwendig? Welche Schulpolitik will diese grün-schwarze Landesregierung eigentlich?

Wir Grüne wollen, dass es in Baden-Württemberg beste Bildung gibt. Ein moderner Leistungsbegriff berücksichtigt Faktenwissen und Persönlichkeitsentwicklung. Um beiden Komponenten gerecht zu werden, muss sich Schule, muss sich Unterricht verändern. Die große Herausforderung ist dabei der Umgang mit der Vielfalt der Schülerschaft.

Eine Antwort der CDU-Bildungspolitik auf die Herausforderung der Vielfalt lautet sinngemäß: Wir haben ein gegliedertes Schulsystem, in dem an spezialisierten Schulen auf Schüler mit den jeweiligen Begabungen eingegangen wird. Kein guter Ansatz?

Nein. Weil man mit der äußeren Differenzierung die Vielfalt nicht in den Griff bekommt. Selbst wenn man homogenere Gruppen wollte: Es geht nicht.

Aber die bestehende Lehrerschaft käme damit besser zu recht. Die Lehrer haben gelernt, ihre Klasse entweder zum Abitur oder zum Realschulabschluss oder zum Hauptschulabschluss zu führen.

Wir dürfen die Lehrerinnen und Lehrer beim schwierigen Umgang mit der Heterogenität in den Klassen nicht allein lassen. Egal in welcher Schulart. Ein Schlüssel sind beste Fortbildungsangebote. Wir wollen aber auch multiprofessionelle Teams stärken, also beispielsweise mehr Schulsozialarbeiter oder Jugendhelferinnen an die Schulen schicken. Gleichzeitig müssen wir die frühkindliche Bildung - und nicht nur Betreuung - ausbauen, damit unterschiedlichste Startchancen schon vor Schulbeginn aufgefangen werden können.

Müssen kleine Schulen auch geschlossen werden, wie es gerade bei den Haupt- und Werkrealschulen wieder zur Debatte steht?

Wir haben mit der regionalen Schulentwicklung eine ganz klare Regelung: Wenn Schulen zu klein werden, startet automatisch ein Prozess, wonach sie sich weiterentwickeln müssen - oder geschlossen werden. Kleinstschulen haben enorme Qualitätsprobleme, weil der Unterrichtsausfall sehr hoch ist, ebenso der fachfremde Unterricht. Grundschulen sind übrigens ganz bewusst nicht Teil der regionalen Schulentwicklung. Dort gilt weiterhin: Kurze Beine, kurze Wege. Wir wollen keine Grundschulen schließen. Aber wir wollen sehr wohl fördern, dass sich beispielsweise kleine Grundschulen zusammenschließen und sich eine Schulleitung teilen.

Wie lange sollen Grundschullehrer noch schlechter bezahlt werden als andere Lehrer?

Ich glaube nicht, dass die Mangelsituation in erster Linie an der Bezahlung liegt. Ich halte es für wichtiger, dass Lehrerinnen und Lehrer einen attraktiven Arbeitsplatz haben und sich an ihrer Schule wohlfühlen.

Also sind Gymnasien einfach deutlich attraktiver als Grundschulen, deswegen gibt es dort zu viele Pädagogen?

Der Grundschullehrerberuf ist schon mit der anspruchsvollste, weil Sie in der Grundschule die ganze Bandbreite der Vielfalt der Schülerschaft haben.

Und trotzdem wird am schlechtesten bezahlt.

Ja, das ist nicht stimmig. Und darum auch nicht auf ewig in Stein gemeißelt. Prioritär ist derzeit aber die Fortbildungsmöglichkeiten auszuweiten, multiprofessionelle Teams einzusetzen und Schulleiter zu entlasten.