Gedenkveranstaltung in Berliner Synagoge
Die Veranstaltung setzte ein Zeichen gegen Antisemitismus. Auch Kanzler Scholz zeigte dabei seine Solidarität.

Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin
Berlin. Die kleine Synagoge Beth Zion ist von der Brunnenstraße aus nicht zu sehen. Selbst viele Berliner wissen nicht, dass sich im Hof des schmucklosen weißen Hauses eine der wenigen erhaltenen Synagogen aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus befindet. Juden-Feinde waren da offenbar besser informiert. Am 18. Oktober wurden Brandsätze in seine Richtung geworfen. Zehn Tage nach dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel.
Seither steht vor dem Gebäude noch mehr Polizei als früher. Und seither sieht man kaum noch Mitglieder der orthodoxen Gemeinde, die nach dem Verlassen des Gebäudes Kippa oder Hut aufbehalten. Noch vor wenigen Wochen war dies ein Ort, wo der Passant den Eindruck bekommen konnte, dass jüdisches Leben sichtbarer ist denn je. Der 7. Oktober änderte das. Seither haben Juden in Deutschland Angst.
Hier also, an diesem Ort, fand gestern die zentrale Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht statt. Diese stand natürlich unter dem Eindruck der Ereignisse in Israel, aber noch mehr unter den Ereignissen auf deutschen Straßen. Kanzler Olaf Scholz erinnerte in seiner Ansprache an die Nacht vor 85 Jahren, als die Synagoge geplündert wurde.
"Keine Nachbarn oder Augenzeugen waren zur Stelle, die den Tätern in den Arm fielen. Niemand stellte sich schützend vor dieses Haus." Dass es nicht in Schutt und Asche gesunken sei, verdanke sich nur "der Banalität der konkreten Bebauung". Weil es von anderen Häusern umgeben ist, legten die Nazis hier kein Feuer.
Auch interessant
Dann schlug er den Bogen ins Heute. "Wenn 2023 wieder Türen und Wände mit Davidsternen beschmiert werden, um Bürger jüdischen Glaubens auszugrenzen und ihre Wohnungen und Geschäfte zu markieren; wenn die Terroristen der Hamas für die Ermordung, die Quälerei, die Entmenschlichung ihrer Opfer auf unseren Straßen und Plätzen gefeiert werden; wenn jüdische Frauen und Männer Angst haben, offen ihre Religion, ihre Kultur, ihren Alltag zu leben; 85 Jahre nach den Pogromen von 1938 – dann gerät in der Tat etwas aus den Fugen."
Dass etwas aus den Fugen gerate, hatte zuvor der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, beklagt: "Ich erkenne in den vergangenen Wochen zuweilen dieses Land nicht wieder." Auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zeigten sich zutiefst beunruhigt über die Zunahme antisemitischer Straftaten: "Es ist beschämend, dass jüdische Menschen in Deutschland erneut um ihre Sicherheit fürchten müssen und sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Die gesamte Gesellschaft muss solidarisch mit den jüdischen Mitbürgern sein."
Jede Form von Antisemitismus vergifte die Gesellschaft, so wie jetzt islamistische Demonstrationen, sagte Scholz. "Wir dulden Antisemitismus nicht, nirgendwo." Der Kanzler versprach, die antisemitischen Hetzer strafrechtlich zu verfolgen, im Staatsbürgerschaftsrecht zu regeln, dass Antisemitismus einer Einbürgerung entgegenstehe. Wer antisemitisch handle, riskiere seinen Status.
Im Bundestag hatte zuvor in der Debatte zur Pogromnacht Innenministerin Nancy Faeser (SPD) weitere Verbote von Organisationen in Aussicht gestellt, die die Hamas unterstützten. "Wer Massenmord rechtfertigt, kann sich auf den Schutz der Meinungsfreiheit nicht berufen." Faesers Worte blieben insgesamt blass. Mit jeder weiteren propalästinensischen Demonstration, die in antisemitische Hetze ausartet, macht sich der Staat ja ein Stück weit unglaubwürdiger. Das kratzt auch an ihrer Autorität.
Die Rede, die jedoch den meisten Eindruck machte, hielt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Denn er konnte als Kind türkischer Einwanderer wohl am ehesten die Probleme darstellen, vor denen Deutschland und die hierzulande lebenden Muslime stehen. Er habe als Kind neben einer deutschen auch eine türkische Schule besucht, schilderte er. Da habe er erfahren, wie unterschiedlich man mit Geschichte umgehen könne. "Kein Kind wird als Antisemit geboren. Wir, die Gesellschaft, machen sie dazu."
Im Idealfall geschehe die Vermittlung der Werte in der Familie. "Im Ernstfall, und den haben wir jetzt gerade, gegen ein Milieu, in dem Antisemitismus und Judenhass zur Normalität gehören." Das bedeute auch, dass künftig nicht mehr das jüdische Kind die Schule wechseln müsse, sondern diejenigen, die es drangsalierten. Muslimische Dachverbände kritisierte Özdemir dafür, sich auf Deutsch gegen Antisemitismus zu äußern und auf Türkisch und Arabisch das Gegenteil zu behaupten. "Es gibt Frieden und Freiheit für die Palästinenser nur mit dem Staat Israel, und nicht gegen ihn."