RNZ-Interview

Klima-Ökonom von Weizsäcker fordert realistische Preise

"Die ökologische Wahrheit kommt zu kurz". Er forder weniger Urlaubsflüge und Fleisch.

03.06.2022 UPDATE: 05.06.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 23 Sekunden
Senkung der Kraftstoffsteuern
Die Preise für Kraftstoffe werden an einer Tankstelle angezeigt. Foto: dpa
Interview
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Ernst Ulrich von Weizsäcker
(82) Ehrenpräsident des Club of Rome

Von Benjamin Auber

Heidelberg. Ernst Ulrich von Weizsäcker (82) ist Ehrenpräsident des Club of Rome. In seinem Buch: "So reicht das nicht!", fordert er eine neue Klimapolitik.

Herr von Weizsäcker, können Sie uns eine kluge Idee vorstellen, wie wir das Klima retten können?

Wir müssen diejenigen Länder ins Boot holen, die am Klimaschutz momentan kein Interesse haben. Diese Länder verursachen 50 Prozent der Treibhausgas-Emissionen. Wenn wir das nur in Deutschland oder Westeuropa perfekt machen, werden wir insgesamt verlieren.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Klimafrage mit diesen Ländern zu lösen?

Nach dem Budget-Ansatz des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltfragen müssten wir allen Ländern der Welt ein gleichgroßes Pro-Kopf-Budget von Atmosphären-Verschmutzung zugestehen. Ein großer Teil der Industrieländer hat diese Lizenzen aber bereits verfrühstückt. Wir müssten Länder wie Bangladesch oder Kamerun recht viel Geld bieten, um Lizenzen für unsere restlichen Treibhausgasemissionen zu kaufen, auch um das Autofahren mit Verbrennermotoren zu kompensieren. Dann wäre es ein Anreiz für diese Länder, sich von der Kohle zu verabschieden und auf Photovoltaik zu setzen deutlich höher.

Liegt die Lösung darin, dann komplett auf Elektro-Autos umzusteigen?

Klar ist das für Deutschland vorübergehend der richtige Ansatz. Aber auf der Erde fahren noch eine Milliarde Verbrenner auf den Straßen. Wer würde sich davon ein hübsches Elektro-Auto aus Deutschland kaufen? Nicht mal zehn Prozent. Es braucht deshalb auch dringend den klimaneutralen Verbrenner, den wir gar nicht auf dem Schirm haben. Mit klimaneutralem Methanol könnte man im gewissen Umfang Benzin und Diesel ersetzen. Technisch ist das möglich, das zeigen die Chinesen.

Wie sieht die Welt in 50 Jahren aus, wenn wir in der Klimafrage den Weg aber genauso weitergehen?

Ganz fürchterlich kann das enden, wenn das Grönland-Eis und die Hälfte der Antarktis ins Meer rutscht. Dann werden alle Küstenstädte unter Wasser stehen.

Glauben Sie nicht, dass der technische Fortschritt die Wende bringen kann?

Natürlich können wir das. Aber Wälle rundum die Hafenstädte zu bauen, ist zwanzigmal teurer als die Vorsorge.

Sie sagen, dass die Preise die "ökologische und ökonomische Wahrheit sagen müssen". Können Sie das erklären?

Das ist die Primitiv-Aussage jedes guten Ökonomen. Preise sind dazu da dem Käufer mitzuteilen, was es gekostet hat das betreffende Produkt herzustellen. Aber die ökologische Wahrheit kommt immer noch zu kurz, weil auf die Zukunft nicht gerne Rücksicht genommen wird.

Sollten wir nicht derzeit alles versuchen, um die Preise niedrig zu halten?

Die hohen Preise sind die unvermeidliche Folge unserer Entschlossenheit, uns von Importen von Gas, Öl du Kohle aus Russland unabhängiger zu machen. Man kann denjenigen Familien und Betrieben, die dadurch in große Schwierigkeiten kommen, Geld zuweisen, aber die Energie künstlich zu verbilligen, ist klimapolitisch verkehrt.

Ist es aber richtig, wenn wir über längere Laufzeiten von Kohlekraftwerken und im Ausland über den Bau von Mini-Atomkraftwerken nachdenken?

Politisch ist das nachvollziehbar, weil unsere Industrie momentan noch davon abhängt, fossile Energie zu verbrennen. Auf die Idee zu kommen, Mini-Atomkraftwerke zu bauen, ist eine Einladung für Terroristen, ein Chaos anzurichten. Das ist nun wirklich nicht die Antwort auf die Lösung der Probleme.

Wie wollen Sie in dieser Gemengelage die globalisierte Wirtschaft zähmen? Sie nennen es "Neue Ökonomie" ...

Inzwischen weiß jeder, dass die totalisierte Globalisierung ein Denkfehler war. Wer Computer-Chips nur noch aus Taiwan beziehen kann, wird auf Dauer scheitern. Gewisse Reserve-Produktionen müssen wir unbedingt bei uns behalten oder neu aufbauen. Auch manche Dienstleistungen und Reparaturbetriebe sollten nicht globalisiert bleiben.

Was können wir als Individuum überhaupt ausrichten?

Vernünftige Bescheidenheit ist angesagt. Die Idee, routinemäßig nach Teneriffa zu düsen, ist vermutlich von gestern. Und Fleisch in einem angemessenem Maße zu kaufen, damit nicht so viel weggeschmissen wird, muss endlich bei jedem angekommen sein. Das sind Verhaltensänderungen, die absolut zumutbar sind.