In Therapie mit Terroristen: Das Sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg
Dalia Kasubek war einst Patientin im Sozialistischen Patientenkollektiv - Von den Untergrundumtrieben hatte sie jedoch nichts gemerkt - Buchvorstellung am Freitag

Dalia Kasubek (damals Michel) in der Zeit nach der Schließung des SPK 1973. Foto: privat
Von Klaus Welzel
Das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) existierte in Heidelberg in der Rohrbacher Straße von Februar 1970 bis Sommer 1971. Gegründet wurde es vom frisch gekündigten Oberarzt der Universitätspsychiatrie, Dr. Wolfgang Huber. Seine These lautete, dass die kapitalistische Gesellschaft krankmache. Die klassische Psychiatrie sei lediglich dazu da, Patienten wieder tauglich für das System zu therapieren.
Huber selbst und einige Mitglieder des "inneren Kerns" wurden im November 1971 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu teils langen Gefängnisstrafen verurteilt, nachdem die Polizei bei einer Razzia Waffen und gefälschte Papiere in Wohnungen einiger SPK-Mitglieder gefunden hatte.
Wir sprachen mit Dr. Dalia Kasubek, die Patientin des SPK war und heute als Amtsärztin und Psychotherapeutin in Frankfurt arbeitet. Sie wird auch am Freitag bei der Vorstellung von Christian Pross’ Buch "Wir wollten ins Verderben rennen" in der Universität dabei sein.
Frau Kasubek, wie wurden Sie Patientin des Sozialistischen Patientenkollektivs?
Ich litt damals an depressiven Zuständen, Angstzuständen und Schlafstörungen und wurde von einigen Ärzten nur mit Beruhigungsmitteln behandelt. Auf Empfehlung eines Freundes kam ich zu Dr. Huber in Behandlung. Er machte mit mir eine Einzeltherapie - und das hat mich sehr fasziniert, weil zum ersten Mal jemand mit mir sprach. Die Therapie hat mir schnell geholfen. Unter anderem deutete er Träume - heute weiß ich, dass er das nicht immer nach der ärztlichen Kunst gemacht hat. Aber dadurch, dass er mit mir gesprochen hat, bin ich meine Symptome erst einmal losgeworden.
Wie ging es Ihnen dabei emotional?
In der Psychotherapie gibt es ja das Phänomen der Übertragung, dass der Patient gegenüber dem Therapeuten ein Liebesgefühl entwickelt. Das war bei mir ziemlich deutlich.
Dann brach die Universität ja mit Dr. Huber und kündigte ihm. Das war dann der Beginn des Sozialistischen Patientenkollektivs.
Mit der Kündigung Hubers durch die Universität war meine Therapie abgebrochen - das, was mir so gut getan hatte. Huber hatte mir mittlerweile das Du angeboten, was Therapeuten natürlich auf keinen Fall machen sollten. Und er sagte, dass sich Patienten jeden Mittwoch bei ihm treffen würden, um Marx, Engels, Bakunin und Hegel zu lesen. Und er fragte, ob ich Lust hätte, dazuzukommen. Natürlich bin ich darauf angesprungen. Ich war damals schon fertig mit dem Studium und das, was man heute Arzt im Praktikum nennt. Ich bin da also mittwochs immer hin und war damit im so genannten "inneren Kreis".
Letzten Endes handelte es sich beim SPK um ein gesellschaftspolitisches Experiment, bei dem die Hauptakteure sich radikalisierten. Wie konnten Sie aussteigen?
Das war eigentlich kein Ausstieg. Das SPK wurde letztlich aufgelöst durch die Räumungsklage des Kultusministeriums. Aber dieser Auflösung kam die Verhaftung von Huber, seiner Frau und mehreren vom inneren Kreis zuvor, sodass das das Ende des SPK war.
Waren Sie auch verhaftet worden?
Ja. Der verschmähte Freund einer weiteren Frau aus dem inneren Kreis war zur Polizei gegangen und sagte, die Mitglieder des inneren Kreises bereiteten die Revolution vor.
Einige vom inneren Kreis waren an der Geiselnahme in der deutschen Botschaft von Stockholm beteiligt, andere werden mit den RAF-Attentaten im Herbst 1977 in Verbindung gebracht. Hatten Sie damals eine Ahnung?
Nein. Ich habe zwar gemerkt, dass da etwas Illegales im Gang war. Ich war Mitglied im Arbeitskreis Fototechnik und bekam eine Infrarotkamera, mit der man auch nachts Aufnahmen machen konnte. Ich sollte in der Nacht Polizeiobjekte fotografieren und bekam dann auch ein mobiles Fotolabor. Aber ich war so unpraktisch veranlagt - oder vielleicht war es ein innerer Widerstand, sodass ich dazu nicht in der Lage war. Man nahm mir dann alles wieder weg.
Sind sie im Nachhinein erschrocken?
In den letzten Monaten des SPK gab es eine ungute Radikalisierung und Intoleranz nach außen. Ich fühlte mich nicht wohl. Aber anders als andere bin ich eben nicht ausgestiegen, stattdessen gab es die Räumung und die Prozesse.
Haben Sie wieder von Dr. Huber gehört?
Nein. Ich habe auch nie von anderen gehört, dass Sie wieder mit ihm Kontakt hatten.
Info: Buchvorstellung gemeinsam mit Zeitzeugen, Freitag, 18 Uhr, Hörsaal 13, Neue Uni, Grabengasse 3, Anmeldung: info@psychiatrie-verlag.de.