Ministerpräsident im RNZ-Interview

Kretschmann will für Windkraft "wieder mehr Platz für den gesunden Menschenverstand"

Der Grünen-Ministerpräsident will Windkraft-Ausbau weiter beschleunigen: "Nicht alles blödsinnige Regeln. Aber es sind zu viele."

21.02.2023 UPDATE: 21.02.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 45 Sekunden
Walter Müller (r.), der Vorsitzende des Landesverbands Baden-Württemberg gegen Windkraftanlagen, im Gespräch mit Winfried Kretschmann. Foto: Sgries
Interview
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Winfried Kretschmann

Ministerpräsident Baden-Württembergs

Von Sören S. Sgries

Walldürn/Seckach. Es ist ein überschaubares Grüppchen, das dem Ministerpräsidenten an diesem Freitagabend entgegentritt. Rund 25 Personen frieren vor dem Dorfgemeinschaftshaus in Seckach-Zimmern. "#Grüner Mist" steht auf den Plakaten. "Nein zu dieser irren Politik." Und: "Energiewende ist nichts." Einer hat eine Karte vom Waidachswald dabei: An den Punkten, wo hier zwischen Schefflenz und Adelsheim Windräder gebaut werden könnten, sind Kugelschreiber-Minen in die Pappe gerammt.

Das Anliegen: Windkraft verhindern. Es ist das komplette Gegenteil zu dem Programmpunkt vier Stunden zuvor, als Winfried Kretschmann auf einem Acker bei Altheim zum Spatenstich für ein neues Windrad antrat – und es vor allem darum ging, wie Genehmigungsverfahren beschleunigt, bürokratische Hürden abgebaut werden können.

Herr Kretschmann, mit Blick auf die Demonstration vor der Tür: Seit wie vielen Jahren hören Sie sich inzwischen entsprechende Bedenken gegen Windkraftanlagen an?

Praktisch seit ich denken kann. Die Debatte ist uralt, seit es die ersten Windräder gab. Die Grundsatzdebatte, ob wir Windkraft wollen, die ist aber abgeschlossen. Natürlich kann man lokal darüber diskutieren, wo die Windräder am besten hinkommen, aber die Frage, ob wir sie brauchen oder nicht, ist definitiv entschieden. Das diskutieren wir nicht mehr. Mich hat heute darum viel mehr bewegt, die bürokratischen Hemmnisse beim Ausbau von Windparks zu sehen. Das ist es, was mich umtreibt. Wir müssen die Verfahren beschleunigen, es den Projektierern einfacher machen.

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Den Ausbau beschleunigen, die Bremsen lösen: Das fordern Sie ja jetzt aber auch schon seit Ihrer ersten Amtszeit. Frustriert Sie das nicht selbst, dass Sie da offenbar nicht vorangekommen sind?

Wir hatten ja den Hochlauf der Windkraft nach den ersten drei Jahren meiner Regierungszeit. Da haben wir die Strommenge aus Windkraft im Land verfünffacht. Danach ist der Zubau neuer Windenergieanlagen durch die Änderung von Ausschreibungs- und vielen anderen Regelungen im Bund leider abgestürzt - in Baden-Württemberg wie in ganz Deutschland. Das hat Robert Habeck jetzt gesetzlich geändert. Wir leisten unseren Beitrag, indem wir die Planungs- und Genehmigungszeiten drastisch kürzen und die Flächen für Erneuerbare Energien ausweiten. Da bin ich zuversichtlich, dass der Hochlauf in spätestens zwei Jahren wieder beginnen wird und dann wieder mehr als 100 Anlagen im Jahr gebaut werden.

Haben Ihre Regierungen nicht trotzdem Fehler gemacht? Bürokratische Hemmnisse hätten Sie ja schon längst abgebaut haben können – unabhängig von Regeln auf Bundesebene.

Wir haben uns erst einmal auf andere Dinge konzentriert. Unser Kampf für eine Südquote hat uns Jahre gekostet, unter anderem wegen der EU. Nun gibt es andere südfreundliche Regelungen. Man kann natürlich sagen, wir hätten das parallel machen müssen. Das haben wir nicht getan, ist auch eine Ressourcenfrage. Man konzentriert sich eben immer auf bestimmte Dinge in bestimmten Phasen. Jetzt arbeiten wir aber im Gleichklang mit dem Bund. Wir haben die Behörden aufgerüstet, mit richtigen Kompetenzteams in den Regierungspräsidien. Wir haben mehr Flächen ausgewiesen. Die Bremsen sind gelöst.

Walter Müller (r.), der Vorsitzende des Landesverbands Baden-Württemberg gegen Windkraftanlagen, im Gespräch mit Winfried Kretschmann. Foto: Sgries

Sie glauben also: Jetzt läuft es?

Wir haben es schon hinbekommen, die Planungs- und Genehmigungszeiten zu halbieren. Es geht aber noch besser. Was wir heute gesehen haben, dass in weniger als sechs Monaten solch eine Genehmigung erfolgt, das ist die Benchmark. Darüber freue ich mich, dass der Neckar-Odenwald-Kreis da die Standards setzt. Die Landkreise ziehen inzwischen auch immer mehr mit, sodass ich ganz zuversichtlich bin.

Eine Genehmigungszeit von 169 Tagen in Altheim: Das klingt rekordverdächtig. Bei der Schilderung der Hürden hingegen, die in der Zeit genommen werden mussten, müssen Ihnen doch aber die Gesichtszüge entglitten sein.

Daran sieht man mal, welches dicke Brett wir da bohren, wenn wir die Genehmigungszeiten weiter beschleunigen wollen. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass wir generell überreguliert sind. 70 Jahre lang hat man immer neue Gesetze draufgepackt. Jetzt haben wir die Grenze erreicht, dass es einfach nicht mehr sinnvoll ist. Wir müssen wieder einfacher werden, schneller und pragmatischer. Wir brauchen mehr Flexibilität, mehr Öffnungsklauseln, damit wir auch zugunsten eines Projekts entscheiden können. Artenschutz und Sicherheitsfragen haben ja ihre Berechtigung. Aber in der Summe führt es dazu, dass wir nicht weiterkommen. Darum müssen wir diesen Dschungel lichten.

Der Fall dieses Windrads landet jetzt bei Ihnen in der Anekdotenkiste? Viele Hürden, aber letztlich geht es doch, wenn man nur will?

Nein. Ich bewundere die Energie der Projektierer, die trotz der vielen Steine, die ihnen im Weg liegen, ihren Humor behalten. Aber ich habe das nicht anekdotisch genommen, sondern ich nehme das ernst. Wir werden uns anschauen, was da alles an Hindernissen aufgezählt wurde - und die Hindernisse, wo es geht, wegräumen.

Vieles klang wirklich absurd.

Es sind nicht alles blödsinnige Regeln. Aber es sind zu viele. Wir brauchen wieder mehr Platz für den gesunden Menschenverstand, sodass die Behörden auch standortangemessen reagieren können. Wir brauchen mehr Spielraum. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Standort Deutschland wieder flotter machen werden, weil wir viele Bremsen lösen. Bei den LNG-Terminals haben wir es ja gemerkt: Es kann auch schnell gehen, wenn es schnell gehen muss. So schnell muss es auch mit den regenerativen Energien vorangehen. Beim Kampf gegen den Klimawandel ist Tempo angesagt.

Lohnt sich für Sie denn der politische Aufwand, wenn Sie sich für die Windkraft verkämpfen? In einem Punkt haben die Bürgerinitiativen ja recht: Im Norden weht mehr Wind. Und in einem einzigen schleswig-holsteinischen Küstenlandkreis stehen schon heute mehr Windräder als in unserem gesamten, 25 Mal so großen Bundesland. Das holt Baden-Württemberg doch nie auf.

Wir werden zwar nicht autark werden. Aber wir müssen selber auch eigenen Strom produzieren – schon weil wir sonst deutlich mehr als die jetzt geplanten großen Gleichstrom-Übertragungstrassen aus dem Norden brauchen. Und das lohnt sich auch. Sonst würde es die Projektierer nicht machen. Unsere Industrie braucht den Strom aus dem Norden, später Wasserstoff aus sonnen- und windreichen Gegenden. Wir brauchen Windräder aber nicht nur im Norden, sondern auch im Süden. Das sollten auch die Bürgerinitiativen endlich verstehen. Zumal der Strombedarf weiter steigen wird.

Im Herbst Ihrer politischen Karriere wird das aber sicher kein Gewinnerthema mehr für Sie: Bis 2026 wird Baden-Württemberg bestimmt nicht glänzen bei der Windkraft.

Aber bei der Photovoltaik liegen wir auf Platz vier, also deutschlandweit vorne mit dabei. Das bauen wir aus und auch bei der Windkraft werden wir weiter aufholen. Mein ehrgeiziges Ziel ist es, dass der Hochlauf für jeden erkennbar noch kommt, solange ich regiere.

Bei der Firma AZO in Osterburken waren die großen Sorgenthemen eher der Fachkräftemangel, der Flächenmangel, der schlechte Mobilfunkausbau. Beschäftigt die Energiesicherheit unsere Firmen gar nicht so sehr?

Energie braucht man immer, überall. Aber der spezifische Energieverbrauch unserer Kernbranchen – Fahrzeugbau, Maschinenbau, Anlagenbau –, der ist viel geringer als in der chemischen Industrie oder in der Stahlindustrie. Deshalb sind sie davon weniger betroffen. Da machen die Lieferkettenprobleme bei Halbleitern oder der Fachkräftemangel mehr Sorgen. Bei einem Bäcker sähe das ganz anders aus. Oder in der Papierindustrie.

Kann denn der Kampf um Fachkräfte gelingen?

Nach einer Weiterbildungsoffensive gehen wir in eine Fachkräfteoffensive. Wir müssen weiter daran mit vereinten Kräften arbeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Aber leider klemmt es auch da, bei den Erzieherinnen, bei Lehrerinnen und Lehrern. Die demografische Entwicklung stellt eine große Herausforderung dar. Es werden 7 Millionen Menschen in der Bundesrepublik bis 2035 aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Ich hoffe, dass wir einen Großteil davon auch durch Einwanderung ersetzen können. Andere Dinge werden wir durch Automatisierung, durch künstliche Intelligenz ersetzen müssen, sonst verlieren wir an Wertschöpfung. Das dürfen wir nicht. Darum strengen wir uns auf allen Ebenen an, innovativ zu sein.

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