Virologe gibt Entwarnung bei Affenpocken
Der Freiburger Virologe Hengel gibt Entwarnung bei Affenpocken. Dennoch sei eine bessere Vorbereitung nötig.



(61) Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum in Freiburg
Von Benjamin Auber
Heidelberg/Freiburg. Professor Hartmut Hengel (61) ist Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum in Freiburg.
Herr Hengel, ist die derzeitige Aufregung um die Affenpocken berechtigt oder nur Panikmache?
In Panik würde ich auf keinen Fall geraten. Es ist aber notwendig, dass wir uns die Ereignisse genau anschauen und weitere Infektionsketten verhindern. Dieser Ausbruch wird aber nicht die Dimensionen einer Pandemie erreichen. Daher kann man in dieser Hinsicht Entwarnung geben.
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Die Inkubationszeit und die Erkrankungsdauer der Infektion sind relativ lange und deswegen sind 21 Tage sinnvoll. Affenpocken, die auf der Haut auftreten, sind erst dann nicht mehr infektiös, wenn die Krusten abgefallen sind.
Der Ausbruch außerhalb Afrikas ist ungewöhnlich und bei Corona wurde ganz am Anfang auch kolportiert, dass keine Masken nötig wären ...
Das Affenpocken-Virus ist auch schon in der Vergangenheit vereinzelt außerhalb Afrikas aufgetreten und insgesamt viel besser einschätzbar als der damals völlig neue Sars-Cov-2-Erreger. Allerdings, so muss man feststellen, waren die Affenpocken-Infektionsketten zwischen Menschen seinerzeit nicht so ausgedehnt wie jetzt. Die Infektionsdynamik wird aber deutlich geringer sein als bei Sars-Cov-2, weil die Affenpocken nicht durch Aerosolpartikel, sondern durch Hautkontakt und Sekrete übertragen werden.
Wie gefährlich sind Affenpocken für die Menschen, die sich infizieren?
Das hängt vom Immunstatus ab. Generell ist für Gesunde diese Infektion nicht sehr gefährlich, obwohl sie natürlich krank werden. Affenpocken verlaufen in der Regel als selbstlimitierende Infektion, indem das Immunsystem den Erreger vollständig eliminiert. Für Immungeschwächte, Kleinkinder oder wenn das Virus in die Augen gelangt, stellt sich die Situation anders da. Bei Immunschwäche kann es zu Todesfällen kommen, etwa in Verbindung mit dem HI-Virus – eine Situation, die wir aus Afrika kennen.
Was wissen Sie über unterschiedliche Varianten, die im Umlauf sind?
Für den aktuellen Ausbruch wird die westafrikanische Variante verantwortlich gemacht, die leichter als die zentralafrikanische verläuft. Wir werden mit Hilfe von Genom-Sequenzierungen schnell erkennen, wie die Infektionsketten verlaufen und mit wie vielen Virusvarianten wir es zu tun haben. Ich gehe aber davon aus, dass wir es mit nur einer Variante zu tun haben werden.
Wie hoch ist das Ansteckungsrisiko und wie wird das Virus übertragen?
Durch direkten Hautkontakt und Sekrete oder in seltenen Fällen durch größere Tröpfchen. Bei dem aktuellen Ausbruch ist primär ein Teil der MSM-Community (MSM steht in der Medizin für "Männer, die Sex mit Männern" haben; Anm. der Redaktion) mit vielen wechselnden Partnern betroffen.
Woran merkt der Betroffene, dass man an Affenpocken erkrankt ist?
Klinische Symptome sind Hauterscheinungen in Form von einem Ausschlag mit Bläschen, Haut- und Schleimhautgeschwüren und im weiteren Krankheits- Verlauf Krusten. In der Regel sind die Erscheinungen lokal begrenzt. Wir finden virale Nukleinsäure in geringeren Mengen auch im Blut, Urin und im Lymphgewebe. Typischerweise entwickeln die Patienten auch Fieber.
Für wen wäre jetzt eine Pockenimpfung ratsam?
Die Pockenimpfung, die es in Deutschland aber nicht mehr gibt, wäre grundsätzlich gegen die Affenpocken wirksam. Glücklicherweise gibt es eine gute immunologische Kreuzreaktion zwischen verschiedenen Pockenviren. Vor 50 Jahren geimpfte Menschen sind aber nicht automatisch geschützt, sie haben aber einen milderen Verlauf. Ich rechne damit, dass wir bei der Notwendigkeit einer Immunität gegen Affenpocken ein Umdenken sehen werden und es für medizinisches Personal, Laborpersonal und Risikogruppen künftig eine Impfempfehlung geben wird.
Müssten wir nicht generell besser auf Pocken ausgerichtet sein, um direkt darauf reagieren zu können?
Ja, die Vorbereitung auf Pockeninfektionen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der kriegerischen Auseinandersetzung in der Ukraine, sollten wir überdenken. Wir wissen, dass echte Pocken die heftigste und gefährlichste biologische Waffe sind, die wir kennen. Es wäre daher klug, wenn wir einer möglichen Gefahr durch eine strategische Bevorratung mit Impfstoffen und Medikamenten gezielt begegnen würden.