"Wir stehen vor einem Durchbruch"
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach über den Impfstoff-Kandidaten von Biontech. Der Epidemiologe rechnet mit weiteren Erfolgen.

Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Karl Lauterbach (57; Foto: dpa) ist Gesundheitsexperte der SPD und Epidemiologe.
Herr Lauterbach, die Europäische Union schließt mit Biontech einen Vertrag über den Kauf von 200 bis 300 Millionen Impfdosen. Eine gute Nachricht?
Das ist in der Tat eine sehr positive Nachricht. Wir stehen vor einem Durchbruch bei der Entwicklung eines Impfstoffes, wenn sich die guten Ergebnisse bestätigen. Bleibt es bei 90 Prozent Wirksamkeit wäre das eine Wende im Kampf gegen Covid-19. Die Wirksamkeit ist viel höher, als viele Experten erwartet haben. Nur mit einem wirksamen Impfstoff lässt sich Herdenimmunität darstellen. Ich habe nie am Erfolg von Impfstoffen gezweifelt. Weitere wirksame Impfstoffe werden in den nächsten Wochen wohl folgen.
Viele rechnen nun mit einem Erfolg im Kampf gegen die Pandemie. Ist diese Hoffnung begründet?
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Die nächsten Monate werden die schwierigsten sein. Wir warten auf den Impfstoff, müssen jedoch noch durchhalten, bis er in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht. Die Perspektive auf einen Impfstoff darf uns nicht dazu verleiten, weniger vorsichtig zu sein. Vielmehr müssen wir in dem aktuellen Shutdown die sozialen Kontakte um 75 Prozent reduzieren, um erfolgreich zu sein. Wenn die Erwartung eines Impfstoffes in den nächsten Wochen zu mangelnder Vorsicht führt, droht in den nächsten Wochen eine deutliche Überlastung unseres Gesundheitswesens. Es würde auch sehr viele vermeidbare Todesfälle und chronische Covid-Erkrankungen geben. Das müssen wir mit allen Mitteln verhindern.
Gesundheitsminister Jens Spahn spricht davon, dass 100 Millionen Impfdosen für Deutschland zur Verfügung stehen werden. Ist das ausreichend?
Wir sollten uns nicht auf einen einzigen Impfstoff fokussieren. Viele Fragen sind noch offen: Noch ist nicht klar, ob dieser Impfstoff bei allen Altersgruppen gleich gut wirkt. Wir wissen nicht, ob er die Infektion verhindert oder nur die Erkrankung, ob er schwere Krankheitsverläufe verhindert. Es ist zu früh, um darüber zu spekulieren, wie viele Impfdosen wir von diesem Wirkstoff benötigen.
Müssen wir uns auch andere vielversprechende Impfstoffe in ausreichenden Mengen frühzeitig sichern?
Wenn 2021 große Teile der Bevölkerung geimpft werden sollen, um Herdenimmunität zu erreichen, ist man auf mehr als einen Impfstoff angewiesen. Zunächst gilt es, die Studienergebnisse der anderen Impfstoffkandidaten abzuwarten.
Droht ein Streit über die Verteilung?
Die Debatte gehört in den Bundestag. Selbstverständlich müssen Risikogruppen und medizinisches Personal Vorrang haben. Die guten Nachrichten sind: Es gibt viele Impfwillige. Und wir sind in der Erwartung guter Impfstoffe. Je weniger wirksam der Impfstoff ist, umso mehr Menschen müssen wir impfen, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Bestätigen sich die 90 Prozent Wirksamkeit des Impfstoffes, dann erreichen wir die Herdenimmunität schneller.
Die Impfung gegen Covid-19 soll freiwillig sein. Die Masernimpfung ist verpflichtend. Wie passt das zusammen?
Wir brauchen gar keine Impfpflicht für Covid-19. Die ist nur notwendig, wenn man ohne Impfpflicht die Herdenimmunität nicht erreichen kann. Bei Masern müssen weit über 95 Prozent der Kinder geimpft sein, um gefährliche Ausbrüche zu verhindern. Diese Quote liegt bei Covid-19, wo zunächst auch nur Erwachsene geimpft werden, deutlich niedriger. Somit können wir ohne Impfpflicht auskommen. Die Zahl derjenigen, die sich impfen lassen wollen, ist sehr hoch.



