Kanzler Olaf Scholz macht ein Angebot, das sie kaum ablehnen können
Scholz fordert den Deutschland-Pakt und überrumpelt damit die Opposition. Welche Strategie hat der Kanzler?

Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin
Berlin. Das erste Wort zu haben, ist im Bundestag ein Privileg. In der Generaldebatte in der Haushaltswoche ist das nicht das Privileg des Kanzlers, sondern des Oppositionsführers. Friedrich Merz spricht also als Erster an diesem Mittwoch. Doch Merz‘ Vorteil entpuppt sich als Nachteil. Denn Scholz hat dem Parlament etwas mitgebracht. Etwas, von dem Merz offensichtlich nichts wusste.
Der Kanzler bietet allen demokratischen Akteuren im Land einen "Deutschland-Pakt" an. "Die Bürgerinnen und Bürger sind diesen Stillstand leid. Und ich bin es auch." Nur gemeinsam lasse sich der Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit abschütteln, der sich über Jahre hinweg auf das Land gelegt habe.
Die Liste der Adressaten ist lang. Scholz erwähnt die Regierungschefs der Länder, die Landräte, Bürgermeister, auch Verbände und Gewerkschaften. Das Angebot richtet er namentlich aber auch an Friedrich Merz. Der davon kalt erwischt wird.
Merz hatte zuvor eine Rede gehalten, die die Pläne der Union als Gegenmodell zur Politik der Ampel formulierte. "Wir würden sofort alle Gesetze stoppen, die diesen wahnsinnigen Bürokratieaufwand immer weiter erhöhen." Er nannte das Gebäudeenergiegesetz und das Kindergrundsicherungsgesetz. Die Union würde das Bürgergeld wieder ändern, "damit sich Arbeit mehr lohnt als der Bezug von staatlichen Transferleistungen". Anreize für Frühverrentung würde die Union streichen und zur Reduzierung der Migrationsströme mehr Kontrollen an den Grenzen durchführen.
Seine Leute goutierten die Aufzählung mit viel Applaus. Noch nie hatte Merz so deutlich gemacht, was unter der Union anders laufen würde. Doch dann kam Scholz mit seinem Deutschland-Pakt. In der ersten Reihe schrieb CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt daraufhin seine Rede um. Auf die neue Lage musste nun er eingehen.
Man sei bereit, einen Pakt einzugehen. Dobrindt nannte als Bedingung aber eine andere Migrationspolitik. Dennoch: Die Union ist nun unter Zugzwang. Zwar hat die Deutschland-Pakt-Rede von Scholz nicht die Tragweite seiner Zeitenwende-Rede nach dem Angriffs Russlands auf die Ukraine. Doch sie leitet eine neue, auf die Innenpolitik hin orientierte Phase ein. Damit verband er einerseits das Bekenntnis, dass die Ampel zu viel gestritten habe. Andererseits ist es der Versuch, alle an der Belebung der Wirtschaft zu beteiligen.
Das wird bei den Bürgern Erwartungen wecken. Erwartungen, denen die Regierung gerecht werden muss, aber auch die von ihr Eingeladenen. Für die Union ist das schwierig. Sie hat sich gerade erst freigeschwommen – Merz Rede war dafür der Beweis. Nun soll sie den Schulterschluss mit der Regierung suchen. Dabei haben ihre Strategen analysiert, dass ihre Umfragewerte auch deshalb nicht besser werden, weil viele Menschen keinen Unterschied mehr zwischen den Parteien machen. Scholz’ Angebot ist aus Unions-Sicht geradezu unmoralisch.
Und dann sind da noch die Länder.Sie fühlen sich schlecht und von Scholz von oben herab behandelt. Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) oder Stephan Weil (SDP) aus Niedersachsen zeigten sich hingegen offen. Druck von außen gibt es bereits. FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte die Landespolitiker, die gestern eine Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz in Brüssel abhielten, auf, sich zu bekennen. Bund und Länder müssten zusammenarbeiten, um Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen.
Jüngst hatten die Länder Kritik am Wachstumschancengesetz, das diesem Ziel dient, geübt. Die Länder sollen zwei Drittel der Kosten tragen. Gefragt wurden sie vorher nicht. Das Angebot des Deutschland-Pakts kommt also zu einer Zeit, da die Beziehungen zwischen den staatlichen Akteuren alles andere als gut sind.
Und schließlich sind da die Inhalte. Der Deutschland-Pakt ist kein in sich geschlossenes Reformwerk, sondern mehr eine Kommunikationsplattform. Wer sich auf ihn rhetorisch einlässt, wird sich bald schwerer tun, Kritik an der Regierung zu äußern. Und wer kann im Prinzip schon was gegen einen Pakt für Deutschland haben? Eben. Auch deshalb hat die Union im Bundestag wohl erst mal Ja dazu gesagt. Genau das dürfte das Kalkül des Kanzlers sein. Obwohl Scholz derzeit nur aus einem Auge blickt, sein taktischer Weitblick hat ihn nicht verlassen.